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Kerzen und Blumen liegen in einem Wald im südlichen Nordrhein-Westfalen.

© dpa/Oliver Berg

Update

Ermittlungen im Fall Luise: Keine weitere Suche nach der Tatwaffe geplant

Um die mutmaßlichen Tatverdächtigen von Freudenberg zu schützen, könnten viele Details zur Tat unter Verschluss bleiben. Die Strafbarkeit Minderjähriger auszuweiten, lehnen Experten ab.

| Update:

Nach der Tötung der zwölfjährigen Luise haben die Ermittler die Suche nach der Tatwaffe bis auf Weiteres aufgegeben. „Weitere Suchen sind derzeit nicht in Planung“, sagte Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss von der Staatsanwaltschaft Siegen am Montag.

Man habe alles Menschenmögliche getan, die Tatwaffe zu finden und sehe wenig Möglichkeiten, sie noch zu finden.

In dem Fall wird es laut den Ermittlern möglicherweise keine offiziellen Antworten zum Tatgeschehen geben.

„Wir können auch die rechtlichen Grenzen, die uns gesetzt sind, nicht überschreiten, nur weil die Bevölkerung meint, ein Anrecht zu haben, alle Hintergründe zu kennen“, sagte Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss von der Staatsanwaltschaft Siegen am Freitag. Hintergrund ist der Persönlichkeitsschutz der Minderjährigen.

„Wir werden natürlich vollumfänglich aufklären“, betonte von Grotthuss. Sollten sich die beiden geständigen Mädchen als Täterinnen bestätigen, „dann werden wir keine Aussagen zu Tatabläufen oder Motivlagen machen.“

„Wenn wir Auskunft erteilen können und dürfen, tun wir das sicherlich“, sagte von Grotthuss. In so einem speziellen Fall – Opfer und Tatverdächtige sind Kinder – müsse man auch mal akzeptieren, dass es gewisse Informationen gebe, die nicht für die Öffentlichkeit seien. „Damit muss man letztlich irgendwo leben“, sagte er.

Jeder meint, auch den Anspruch zu haben, alles wissen zu dürfen.

Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss, Staatsanwaltschaft Siegen

Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren hatten gestanden, Luise am 11. März in einem Waldstück an der Grenze von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erstochen zu haben. Gegen Strafunmündige könne man nicht ermitteln, „sodass eigentlich die Akte zu schließen wäre“, sagte von Grotthuss.

Die Ermittler dürften sich aber nicht dem Vorwurf aussetzen, im Zuge der Ermittlungen mögliche andere strafrechtliche Sachverhalte zu übersehen. Es gibt demnach aber derzeit keine Hinweise darauf, dass andere Personen als die beiden Mädchen beteiligt waren. „Natürlich werden wir auch hinterfragen, ob die Geständnisse, die wir bekommen haben, belastbar sind und sich tragfähig zeigen“, sagte von Grotthuss.

Ermittler gehen gegen Falschmeldungen vor

Polizei und Staatsanwaltschaft gingen am Freitag mit einer Mitteilung gegen Falschmeldungen in der Sache in die Offensive. „Offenkundig gibt es besonders in den sozialen Medien Spekulationen, die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken“, hieß es.

Die Ermittler baten, sich daran nicht zu beteiligen „und die Diskussionen über die Hintergründe des Vorfalls, auch zum Schutz der Angehörigen, nicht zu befeuern.“ Außerdem wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Social-Media-Kanäle der beiden Tatverdächtigen geschlossen.

In sozialen Netzwerken hatte es auf den Profilen teils anonymer Nutzer zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die Tatverdächtigen gegeben. Laut Polizei wird laufend geprüft, ob strafrechtlich Relevantes gepostet wird.

Aber sprießen die Gerüchte nicht gerade wegen des Informationsvakuums? „Jeder meint, auch den Anspruch zu haben, alles wissen zu dürfen. Man muss aber sagen: Es gibt Grenzen, zum Beispiel den Persönlichkeitsschutz“, sagte Oberstaatsanwalt von Grotthuss. „Das müssen wir dann auch aushalten, dass wir sagen: ‘Da gibt es halt keine weiteren Informationen.’“

Dass die Identitäten der beiden Mädchen bekannt wurden, macht es den Ermittlern demnach zudem schwerer, Einzelheiten zu nennen. „Wie wollen Sie ein Motiv herausgeben, ohne dass Rückschlüsse auf Personen gezogen werden?“, sagte von Grotthuss.

Tatverdächtige nicht mehr in Freudenberg

Die tatverdächtigen Mädchen haben unterdessen gemeinsam mit ihren Familien Freudenberg verlassen. Sie seien vom Jugendamt außerhalb des häuslichen Umfeldes untergebracht worden, sagte ein Sprecher des Kreises Siegen-Wittgenstein am Freitag. Zuvor hatte die „Siegener Zeitung“ berichtet. Landrat Andreas Müller (SPD) sagte der Zeitung: „Wir haben ein entsprechendes Angebot zur gemeinsamen Unterbringung unterbreitet. Das Angebot wurde angenommen.“

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen warnte am Freitag vor Spekulationen und vorschnellen Erklärungsversuchen. Es sei jetzt wichtig, „wie es die ermittelnden Behörden gerade auch tun, mit Besonnenheit zu agieren.“ Empathie und Rücksichtnahme für die Angehörigen des Opfers und der Schutz der beteiligten Mädchen und ihrer Familien sollten vor allem im Mittelpunkt stehen. „Auch minderjährige Tatverdächtige haben ein Recht auf Kinder- und Jugendschutz“, hieß es.

Der Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, Gerd Höhner, wies Forderungen nach einer Senkung des Alters der Strafmündigkeit zurück. Er sei absolut dagegen: „Das ist ein Appell, der mehr mit den Fordernden zu tun hat, als mit der Forderung selbst. Man will damit die eigene Hilflosigkeit überwinden und fordert etwas, ohne es länger zu bedenken“, sagte Höhner der „Rheinischen Post“.

„Ich glaube auch nicht, dass es etwas nutzen würde. Fangen wir dann an, Kinderstrafanstalten zu errichten?“ Die Tat von Freudenberg sei in ihrer Ausprägung ein absoluter Einzelfall, sagte Höhner.

Schuld ist wesentliches Element der Strafbarkeit

Die Rechtsnorm der Strafmündigkeit ab 14 Jahren habe einen guten Grund: „Das deutsche Strafrecht setzt Schuld für Strafe voraus.“ Die Strafmündigkeit beinhalte eine moralisch-ethische Reife. „Das Kind muss nicht nur wissen, dass es etwas nicht tun darf, sondern auch intellektuell in der Lage sein, eine äußere Norm für sich selbst zu übernehmen.“

Höhner, der jahrelange Erfahrung mit kriminellen Kindern hat, widersprach der Behauptung der Ermittler, dass Erwachsene die Motive der Kinder nicht nachvollziehen könnten. Die grundlegenden Emotionen wie Wut und Eifersucht könnten Erwachsene sehr wohl verstehen. „Es stellt sich eher die Frage, wie man mit Kindern in eine Kommunikation kommt.“

Im Fall Freudenberg würde ihn aber viel mehr beschäftigen, was in der Kommunikation der beiden mutmaßlichen Täterinnen passiert sei. „Denn es scheint keine reine Affekttat gewesen zu sein.“ Zwölfjährige trügen in der Regel keine Messer bei sich. Auch der Fund- und Tatort spreche gegen eine reine Affekttat. „Es scheint zumindest eine Idee hinter der Tat gestanden zu haben“, sagte Höhner. (dpa)

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