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Auf einen Blick Menschen - auch in großen Gruppen - wiederzuerkennen ist eine seltene Fähigkeit.

© Rüdiger Wölk/imago

Gesichtserkennung: Super Recogniser sollen Polizei künftig bei der Fahndung helfen

Sie identifizieren Gesichter verlässlicher als jede Software: Menschen mit dieser Fähigkeit werden beim Oktoberfest zum Einsatz kommen.

Sie klingen nach Heldenfiguren aus einem Comic. Ihre Fähigkeiten sind beinahe übernatürlich: Sogenannte Super Recogniser. Sie können sich Gesichter extrem gut merken und wiedererkennen – besser als jede Software. Die Münchner Polizei hat mithilfe des britischen Wissenschaftlers Josh Davis 37 Super Recogniser in den eigenen Reihen ermittelt. Das Oktoberfest soll ihr erster großer Einsatz werden.

Elizabeth M. gehört zu den 37. Die Polizeibeamtin ist gespannt auf den Wiesn-Testlauf. Ihre Fähigkeit hielt sie bislang für nichts Besonderes. „Ich habe mich nur gelegentlich gewundert, dass das bei manchen Freunden ganz anders ist und sie sich schlechter an Menschen erinnern können.“

Die Fähigkeit ist sehr selten und vererbbar

Während Gesichtsblindheit schon lange untersucht wird, stammen die ersten Forschungsprojekte, die feststellten, dass manche Menschen extrem gut darin sind, sich Gesichter zu merken, aus dem Jahr 2009. Viele Fragen sind noch ungeklärt. Der Psychologe Josh Davis von der Universität Greenwich ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem jungen Forschungsgebiet. Er vermutet, dass weniger als ein Prozent der Menschen die Fähigkeit haben. Sie ist genetisch bedingt und vererbbar. Zudem helfe den Super Recognisern Erfahrung mit bestimmten Gesichtern. „In einer neuen Studie konnte eine Frau, die im Krankenhaus mit Babys arbeitet, Babygesichter besser wiedererkennen als andere Super Recogniser“, erklärt Davis.

Menschen mit dieser Fähigkeit können ein Gesicht, das sie nur flüchtig gesehen haben, nach Monaten oder Jahren noch identifizieren, auch wenn es sich etwa altersbedingt stark verändert haben sollte. Über Gesichter hinaus haben Super Recogniser allerdings kein außergewöhnliches Gedächtnis. Auch sie vergessen, was sie einkaufen wollten oder wo der Schlüssel liegt.

180 Randalierer nach Londoner Unruhen identifiziert

Davis hatte im April 2011 erstmals mit Beamten zusammengearbeitet. Er wurde von Scotland-Yard angerufen, nachdem aufgefallen war, dass bestimmte Mitarbeiter immer wieder Gesuchte identifizieren konnten. Sie erkannten sie auf der Straße oder auf Überwachungsaufnahmen. Tatsächlich schnitten diese Mitarbeiter bei den Tests überdurchschnittlich gut ab. Einer von ihnen identifizierten im August 2011 bei den London Riots 180 Randalierer – die Computerprogramme allerdings nur einen. Scotland-Yard hat nun eine Spezialeinheit mit Super Recognisern. Zurzeit sind sie an der Aufklärung des Skripal-Falls beteiligt.

Für Davis liegt die Zukunft in der Zusammenarbeit von Mensch und Computer. Rechner können ununterbrochen arbeiten, „aber Super Recogniser sind besser darin, Gesichter zu identifizieren, als jede Gesichtserkennungssoftware. Sie können sie auf verschwommenen Überwachungskameraaufnahmen erkennen, aus verschiedenen Blickwinkeln, sie achten auf Bewegungen und den ganzen Körper und lassen sich nicht von Verkleidungen täuschen.“ Software misst den Abstand und Winkel zwischen markanten, unveränderlichen Punkten im Gesicht – dafür braucht es qualitativ hochwertigere Aufnahmen.

Videomaterial der Kölner Silvesternacht ausgewertet

Auch in Deutschland waren Scotland-Yards Super Recogniser schon im Einsatz. Sie halfen bei der Auswertung von Videomaterial der Kölner Silvesternacht – und identifizierten 40 Täter. Mit Blick auf Köln kam im Münchner Polizeipräsidium die Idee auf, zu prüfen, welche der eigenen Mitarbeiter die besondere Fähigkeit besitzen.

Alle 6600 Angestellten konnten im Dezember vergangenen Jahres freiwillig an einem Online-Test teilnehmen, bei denen sie ein Gesicht, das ihnen kurz gezeigt wurde, hinterher aus einem anderen Blickwinkel zwischen einer Reihe anderer Gesichter wiedererkennen mussten. 650 Personen, die besonders gut abschnitten, nahmen an einem Folgetest teil. 90 durften einen finalen Test antreten, zu dem der Brite Davis in München war. 24 männliche und 13 weibliche, offiziell von der Universität Greenwich anerkannte Super Recogniser hat das Polizeipräsidium München nun. Zwei von ihnen sind Tarifbeschäftigte, der Rest Beamte. „Insbesondere einer von ihnen hatte zuvor schon viele Kriminelle identifiziert“, erzählt Davis.

Eine Spezialeinheit wie bei Scotland-Yard ist in München derzeit nicht geplant. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums sagte auf Anfrage: „Die Kollegen haben alle ihre Aufgaben, zurzeit kriegen sie freiwillige Zusatzpakete, um ihre Fähigkeiten auszutesten. Wir schauen, wo sie ihre Schwächen und Stärken haben, da gibt es unterschiedliche Ausprägungen.“

In Berlin ist die Fähigkeit bisher kein Thema

Das Oktoberfest wird als Testgelände für mögliche Einsatzgebiete dienen: Die Super Recogniser sollen Personen, von denen sie vorher ein Bild gesehen haben, am Eingang zum Festgelände aufhalten. Auch auf Überwachungsaufnahmen vom Gelände müssen sie die Gesuchten in der Menge entdecken. Falls ein Beamter auch Menschen erkennen sollte, nach denen tatsächlich gefahndet wird, wäre dies ein positiver Nebeneffekt. Man könne sich vorstellen, die Super Recogniser zukünftig bei Einlasskontrollen, etwa bei Fußballspielen einzusetzen, um Stadionverbote besser durchzusetzen sowie bei der Fahndung nach Tatverdächtigen und Vermissten, sagt ein Sprecher.

Nach München sucht nun die Stuttgarter Polizei gemeinsam mit Josh Davis Super Recogniser in den eigenen Reihen. Der erste Testdurchlauf wird zurzeit ausgewertet. In Berlin hingegen war diese Fähigkeit noch kein Thema. Bei Wissenschaftler Davis trifft das auf Unverständnis. „Berlin würde von Super Recognisern profitieren.“

Rebecca Stegmann

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