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Mike Tyson 2017

© imago/Eastnews

Mike Tyson im Berliner Cinemaxx: Großmaul on Tour

Mike Tyson war als Kind kriminell, dann ein großer böser Box-Weltmeister, später Schauspieler. Jetzt setzt er sich für gefährdete Jugendliche ein – und talkt fürs Publikum über seine Erinnerungen.

Will denn keiner Mike Tysons Blut? Garantiert echt, aus einem Kampf in Las Vegas oder Memphis, ist ja auch egal. Es ist jedenfalls das Blut des bösesten Menschen der Welt, getropft auf den Filz des Ringbodens und eingespannt hinter Glas im hübschen Bilderrahmen. „Höre ich da irgendwo tausend Euro?“ Hinten im Saal geht eine Hand hoch. Der Conférencier nickt zufrieden, so kennt er seine Berliner, und schon kommt das nächste Stück zur Versteigerung.

Ein paar Meter weiter ist der böseste Mensch der Welt gerade eingenickt.

Mike Tyson ist nach Berlin gekommen. An den Potsdamer Platz, wo sein Management einen Kinosaal für das vorletzte Gastspiel einer Europatournee gemietet hat. Zehn Auftritte in zwölf Tagen. Eine Show mit Auktion, Plauderei und Fototermin. Mike Tyson war mal der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten, mit gerade zwanzig Jahren. Aber das ist jetzt auch schon gut dreißig Jahre her. Die Welt kennt ihn als Quartalsirren, der zweimal im Knast saß und einem Gegner im Boxring das halbe Ohr abbiss. Dieser Mann pflegte seinen Ruf als „the baddest man on the planet“. In einer E-Mail am Tag vor der Berliner Show lässt der Veranstalter die lieben Gäste wissen, dass „jegliche Waffen oder auch Waffenattrappen“ verboten sind.

Fünf Sekunden „Meet“ – und gar kein „Greet“: Macht mit Foto 349 Euro

Am frühen Samstagabend heißen Tysons Gegner dann Tomb Raider, Lady Bird und die Avengers. Saal 7 im Cinemaxx am Potsdamer Platz bietet Platz für 600 Zuschauer. Viele Frauen sind gekommen, in Begleitung oder allein, auch ein paar Kinder an Papas Hand. Ja, es gibt Lücken in den Sitzreihen, aber es wäre billig, sich darüber lustig zu machen. Welche frühere Sportgröße lockt mit ihrer Lebensgeschichte schon so viele Leute für so viel Geld an – Wladimir Klitschko, Lothar Matthäus, Boris Becker? Die billigste Karte für die zweieinhalbstündige Show kostet 99 Euro, die teuerste 349, dafür gibt es ein gemeinsames Foto mit dem Champ.

Pünktlich um sieben Uhr stiefelt Tyson durch einen Seiteneingang, so schwerfällig, wie es sich für einen Schwergewichtler gehört. Das Publikum drückt sich hoch aus den Polstersesseln und johlt: „Yo Mike, come on!“ Tyson trägt riesige, weiß leuchtende Schuhe, helle Jeans und ein graues Sommerhemd, es ist bis zum letzten Kopf geschlossen: „Thank You Berlin“, besser ausgesprochen als von Kennedy und ganz ohne Spickzettel. Er steht vor seinem 52. Geburtstag und hat ein bisschen zugelegt, ein feines Menjou- Bärtchen zeichnet das runde Gesicht unter dem kahl rasierten Schädel. Der böseste Mensch des Planeten sieht aus wie ein Teddybär, da stört auch das offenbar frisch nachgestochene Maori-Tattoo rund um das linke Auge nicht.

Der Moderator kennt den Text, bei Tyson kommt es auf die Laune an

Die Mike-Tyson-Show ist ein bisschen wie ein Fußballspiel. Keiner weiß vorher, wie es ausgeht. Hängt alles von der Tagesform ab. Ob es ein unterhaltsamer Abend wird oder eine dröge sich dahinziehende Veranstaltung, mit einem Mike Tyson, der außer Yes und No nichts erzählen mag und nur daraufhinarbeitet, dass auch sein Auditorium auf eine schnelles Ende hofft. Berlin scheint Glück zu haben. Tyson ist gut gelaunt, als beim Programmpunkt „Meet & Greet“ die VIP-Gäste kinoreihenweise auf die Bühne gebeten werden. Das „Meet“ reduziert sich auf fünf Sekunden, ein „Greet“ gibt es überhaupt nicht, geschweige denn Autogramme. Handys und Kameras sind verboten. Aber Tyson lacht fröhlich für den Hausfotografen und schüttelt bereitwillig 400 Hände. Wenn ihn einer besonders nett bittet, hebt er auch mal dekorativ die Faust. An schlechten Tagen schaut er ins Irgendwo und nimmt seine Gäste kaum zur Kenntnis.

Die Show kann beginnen. Ein Gespräch mit einem Conférencier namens Pietro, angelegt wie ein Boxkampf auf sieben Runden, nur dass der junge Tyson selten so lange gebraucht hat, um seine Gegner in den Staub zu prügeln. Ring frei, Pietro schüttelt seine Glocke. „Na Mike, was fällt dir zu diesem Geräusch ein?“ – „Absolutely nothing, man!“ Wird vielleicht doch kein so guter Abend.

Pietro kennt seinen Text, er wirft Tyson die Stichwörter zu und so tasten sich die beiden voran, von der Kindheit in Brooklyn bis zum Altersruhesitz in Las Vegas. Wie war das mit deinen Eltern? „Haben keine Rolle gespielt.“ Er hat sich schon als kleines Kind immer für die schweren Jungs interessiert. Zuhälter, Dealer, Gangster, „die hatten das meiste Geld und die hübschesten Mädchen“, und: Na klar, er hat auch selbst geraubt und gestohlen. „Weißt du, wie oft du als Zwölfjähriger von der Polizei verhaftet worden bist?“ – „Nein, aber du kannst es mir bestimmt sagen!“ – „32 Mal!“ – „Ah ja, kann aber auch 33 Mal gewesen sein“, und das Publikum wiehert vor Lachen. Lustig, so ein kriminelles Kinderleben.

Er hatte den schmierigsten und korruptesten aller schmierigen und korrupten Manager

Es ist nicht ganz leicht, Tysons genuscheltem Singsang zu folgen. Das Boxen hat Schäden hinterlassen.

Wer sich auf Youtube Interviews mit dem jungen Mike Tyson anschaut, der sieht ein gar nicht so unsympathisches Großmaul, das auf ganz normale Fragen ganz normale Antworten gibt. Dieser junge Tyson war ein Naturereignis. Einer der technisch nicht besonders anspruchsvoll boxte, aber mit Strategie und beängstigend viel Kraft in den Fäusten. Dieser Tyson hätte das Schwergewicht prägen können wie vor ihm nur Muhammad Ali. Aber dann hat er sich mit Don King eingelassen, dem schmierigsten und korruptesten aller schmierigen und korrupten Manager. „Bad idea“, sagt Tyson am Potsdamer Platz. „Aber er hat mir mehr Geld bezahlt als alle anderen“, und irgendwie mussten ja seine vielen Häuser bezahlt werden. Die Autos, Boote, Flugzeuge und, na klar, die Tiger. „Drei waren es“, und einer hörte auf den schönen Namen „Grab ’em by the ass“, greif ihnen an den Arsch – was auf eine gewisse Wesensverwandtschaft des jungen Mike Tyson zum nicht mehr ganz so jungen Donald Trump schließen lässt.

Es folgten sportlicher Niedergang, Vergewaltigungsprozess, drei Jahre Knast. „War gar nicht so schlecht, da hab‘ ich endlich mal wieder trainiert“. Tyson hat sich warm geredet, er gewinnt langsam Spaß und würde jetzt gern über Evander Holyfield plaudern – das ist der, dem er das halbe Ohr abgebissen hat. Pietro hebt die Arme – „sorry Mike, aber jetzt kommt erstmal die Auktion“ – „Oh no, man!“ Tyson dreht sich zur Seite, darauf hat er nun gerade gar keine Lust, aber es muss halt auch ein bisschen Geld werden. Zeit für ein angedeutetes Schläfchen. Sehr schöne und sehr blonde Frauen tragen Basecaps, T-Shirts, Gürtel, Handschuhe durch das Scheinwerferlicht des abgedunkelten Saals. Und den Blutstropfen auf dem Filz des Ringbodens. Alles natürlich Originale und vom Champion signiert. Nichts geht unter 500 Euro weg und zur Belohnung dürfen alle Auktionsgewinner noch mal für ein Foto auf die Bühne.

Jetzt, endlich: die Geschichte mit dem Ohr! „Sag mal Mike, hattest du so großen Hunger, dass du ihn einmal gebissen hast?“ Tyson streckt Zeige- und Mittelfinger in die Luft. „Was denn, du hast ihn zweimal gebissen?“ Natürlich hat der überraschte Pietro diese Geschichte noch auf keiner der acht Shows zwischen Wien und Hamburg gehört, natürlich hat er noch nie gefragt: „Wie haben sie denn geschmeckt?“ Tyson spuckt aus. „Like horrible shit“, das muss man wohl nicht übersetzen. Das Publikum reagiert begeistert, aber nicht wirklich überrascht. Im Saal sitzen nur gute alte Bekannte, sie kennen die Lebensgeschichte ihres Helden in allen Details wie Cineasten die Dialoge von „Casablanca“ und applaudieren an den richtigen Stellen. „I love Berlin“ sagt Tyson.

Der Rest des Abends fliegt dahin. Tyson erzählt von seinem Spätwerk, dem Überwinden der Drogensucht, dem Engagement für gefährdete Jugendliche und seiner Karriere als Schauspieler. Die Komödie „Hangover“, großartige Sache, dann auch noch mit seinem Tiger. Da ist noch eine Sache: Einer am Set hat doch tatsächlich versucht, ihm das Boxen beizubringen. Ach was, sagt Pietro, „und war das okay?“ – „Muss wohl. Der Typ hat überlebt!“

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