Panorama: „Ich habe keine Leichen im Keller“
Gunther von Hagens will sich am Donnerstag zu neuen Vorwürfen äußern. Hamburg stellt die Ermittlungen ein
Jetzt hat es dem Plastinator die Sprache verschlagen: Gunther von Hagens, umstrittener Anatom und geschäftstüchtiger Ausstellungsmacher, wollte sich auch gestern nicht zu neuen Vorwürfen äußern, er habe in China Leichen wie am Fließband aufbereitet, darunter auch Opfer von Hinrichtungen. „Der ,Spiegel’ hat monatelang recherchiert und eine Menge Material veröffentlicht. Darüber muss eine Weile nachgedacht werden“, sagt Jeanette Luley vom Heidelberger „Institut für Plastination“, von Hagens wolle daher „Schnellschüsse vermeiden“. Der Herr der Leichen will sich erst am Donnerstag äußern.
Das Wort „Schnellschuss“ wirkt deplaziert: Bei einer Inventur in seinem Unternehmen „Von Hagens Plastination Ltd.“ im nordwestchinesischen Dalian im November 2003 seien 647 Leichen gezählt worden, berichtete der „Spiegel“. Die Köpfe einiger Toter hätten ein „Einschussloch“ aufgewiesen, und die Bauchdecke sei „kreuzweise aufgeschnitten" – Hinweise auf eine Entnahme aller Organe, wie in China bei Hinrichtungsopfern üblich. Bei der Bestandsaufnahme in Dalian seien weitere 3909 Leichenteile wie Beine oder Hände aufgeführt und 182 Föten, Embryos und Neugeborene mit Angabe von Seriennummer, Größe, Alter und Geschlecht katalogisiert worden.
Das Magazin hatte berichtet, dass am 12. November 2001 in einem Bunker der „Plastination Ltd.“ ein Lastwagen mit 27 toten Männern und vier Frauen entladen worden sei, die noch Kleidung trugen. Während einer staatlichen Säuberungswelle gegen angebliche Kriminelle in Dalian seien auch die Leichen eines junges Mannes und einer jungen Frau gebracht worden, deren Köpfe ein Einschussloch aufwiesen. Hagens gab zu, dass seine Mitarbeiter die Leichen entgegengenommen hätten. Er sei über den Vorgang „entsetzt“ gewesen – und habe die Mitarbeiter später entlassen. In Dalian sollen rund 170 chinesische Arbeiter für den Plastinator Leichen in großem Stil bearbeiten, formalingetränkte Körper enthäuten und Kunststoff in die Adern pumpen. Ärger handelte er sich auch in Hamburg ein: Dort ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des nächtlichen Fotoshootings der „Hamburger Morgenpost“ mit präparierten Toten, die auf Straßen und Plätzen platziert worden waren. Doch das Verfahren ist nun eingestellt worden. Eine „Störung der Totenruhe“ sei nicht gegeben, weil die plastinierten Toten durch die Verfremdungen von Hagens nur noch „künstliche Gebilde auf der Basis des menschlichen Körpers“ seien, sagte Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger dem Tagesspiegel: „Die Individualität und Persönlichkeit der Verstorbenen ist nicht mehr erkennbar. Es besteht bei ihnen kein Gefühl der Unantastbarkeit der sterblichen Überreste mehr. Der Blick der Plastinate ist nicht der Blick der Verstorbenen.“ Die präparierten Toten seien damit wie Moorleichen oder Museumsstücke nur noch „Gegenstände des Rechtsverkehrs“. Ein Straftatbestand aber wäre es, wenn von Hagens nachgewiesen werden würde, dass er für einzelne Leichen keine Zustimmung der Betroffenen oder Angehörigen vorweisen kann.
Auf seiner Internetseite wehrt sich von Hagens gegen die „unverfrorene Kriminalisierung meiner Person in einigen Medien“. Er habe „keine Leichen im Keller“.
Die Heidelberger Staatsanwaltschaft beantragte den Erlass eines Strafbefehls gegen von Hagens wegen Missbrauchs von Titeln mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Ihm wird zur Last gelegt, Schriftstücke mit „Prof.“ oder „Professor“ Dr. Gunther von Hagens unterzeichnet zu haben. Von Hagens sei aber nicht berechtigt, den akademischen Grad eines Professors ohne Hinweis auf dessen chinesische Herkunft zu führen.
Günter Beling[Hamburg]