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Polizisten und Kriminelle lieferten sich stundenlange Gefechte.

© Jose Lucena/TheNEWS2 via ZUMA Press Wire/dpa

Update

Dutzende Leichen im Viertel abgelegt: Zahl der Toten nach Polizeieinsatz in Rio gegen Drogenbande steigt auf 132

Der Einsatz gegen das „Rote Kommando“ in den Favelas der Küstenmetropole führte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Dabei starben weit mehr Menschen als zunächst angenommen.

Stand:

Bei dem blutigen Polizeieinsatz der brasilianischen Polizei gegen Drogenhändler in Rio de Janeiro sind nach Angaben einer Justizbehörde mindestens 132 Menschen getötet worden. „Nach unseren jüngsten Zahlen sind es 132 Tote“, teilte die Behörde, die bedürftigen Menschen rechtlichen Beistand leistet, der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch mit. Der Gouverneur des Bundesstaates Rio, Cláudio Castro, hatte zuvor mitgeteilt, bei dem Polizeieinsatz gegen Drogenhändler seien am Dienstag rund 60 Menschen getötet worden, die Zahl könne aber steigen, da die Toten erst in der Leichenhalle gezählt würden. 

Die Bewohner der Favela Penha hatten zuvor mindestens 64 Leichen auf einer der Hauptstraßen des Viertels abgelegt. Offenbar kamen diese Opfer zu den 60 getöteten Verdächtigen und vier getöteten Polizisten hinzu, die bei der Operation gegen das Verbrechersyndikat Comando Vermelho (Rotes Kommando) zunächst bestätigt worden waren.

Am Dienstag war es zu stundenlangen Feuergefechten zwischen Sicherheitskräften und Kriminellen in Rio de Janeiro gekommen. Spezialeinsatzkommandos der Kriminal- und Militärpolizei rückten in einem Großeinsatz gegen das Verbrechersyndikat „Comando Vermelho“ („Rotes Kommando“) in Mannschaftsstärke in die Favela Alemão und das Viertel Penha im Norden der brasilianischen Küstenmetropole ein.

Dabei wurden 81 mutmaßliche Gangmitglieder festgenommen, wie der Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, Cláudio Castro, sagte.

Schwer bewaffnete Polizisten beim Einsatz in Rio.

© AFP/MAURO PIMENTEL

Bei der Operation handelte es sich Medienberichten zufolge um den blutigsten Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundesstaates Rio de Janeiro. „Wir handeln gemeinsam mit aller Kraft, um deutlich zu machen, dass die Macht beim Staat liegt“, sagte Castro bei einer Pressekonferenz in der Kommandozentrale der Sicherheitskräfte. „Wir werden den Kampf gegen das organisierte Verbrechen entschlossen fortsetzen.“ 

„Comando Vermelho“ ist in Drogenhandel verwickelt

Das „Comando Vermelho“ ist eines der größten Verbrechersyndikate des südamerikanischen Landes und vor allem im Drogenhandel aktiv. Bei dem Einsatz wurden nach Angaben der Behörden ein regionaler Anführer der Gruppe und der Finanzchef von einem der obersten Bosse der Gang festgenommen. Die Polizei beschlagnahmte zudem über 90 Schnellfeuerwaffen und mehr als 200 Kilogramm Drogen.

Ein Polizist bei dem Einsatz gegen Drogenhändler in Rio.

© AFP/MAURO PIMENTEL

Mindestens 2.500 Polizisten waren an der Operation beteiligt, bei der auch zwei Hubschrauber und Dutzende gepanzerte Fahrzeuge zum Einsatz kamen. Kriminelle steckten Barrikaden und Autos in Brand, warfen Sprengsätze von Drohnen ab und eröffneten das Feuer auf die Beamten. Vier Polizisten kamen bei dem Einsatz ums Leben, neun weitere Polizisten wurden angeschossen. Auch drei Zivilisten gerieten ins Kreuzfeuer. 

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Auf Videos war zu sehen, wie schwarze Rauchwolken über den Vierteln aufstiegen. Während einer der heftigsten Phasen der Kämpfe peitschten in einer Minute über 200 Schüsse durch die Favela. Schwarzgekleidete Polizisten in Kampfmontur stürmten mit Sturmgewehren im Anschlag durch die engen Gassen der Elendsviertel.

Ein brennendes Auto während des Polizeieinsatzes.

© AFP/MAURO PIMENTEL

Die bürgerkriegsähnlichen Zustände hatten auch Auswirkungen auf das Stadtleben. Über 100 Buslinien mussten wegen der Kämpfe ihre Routen ändern. Mehrere Universitäten und Schulen ließen den Unterricht ausfallen. In den betroffenen Stadtteilen leben etwa 280.000 Menschen. In den Bahnstationen brach Chaos aus.

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„Das ist die Realität. Wir bedauern zutiefst, dass Menschen verletzt wurden, aber dies ist eine notwendige, intelligent geplante Maßnahme, die fortgesetzt wird“, sagte der Sicherheitsminister von Rio de Janeiro, Victor Santos, dem Sender TV Globo. 

Eine Frau weint vor einem Krankenhaus in Rio. Menschenrechtler kritisieren die brutalen Polizeieinsätze seit Jahren.

© REUTERS/ALINE MASSUCA

Brasiliens Polizei tötet 17 Menschen pro Tag

In kaum einem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. 2024 töteten Sicherheitskräfte in dem südamerikanischen Land 6.243 Menschen – durchschnittlich 17 Menschen pro Tag, wie aus dem Jahrbuch für öffentliche Sicherheit hervorgeht. In den USA waren Polizisten im vergangenen Jahr für den Tod von 1.378 Menschen verantwortlich, in Deutschland wurden 22 Personen von Beamten erschossen.

Polizisten eskortieren die Verhafteten auf einer Straße in Rio.

© AFP/MAURO PIMENTEL

Allerdings lassen sich Polizeieinsätze in Europa nicht mit denen in Brasilien vergleichen: Viele Armenviertel werden von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrolliert. Rückt die Polizei in den Favelas ein, um einen Haftbefehl zu vollstrecken oder nach Rauschgift zu suchen, wird sie nicht selten mit Salven aus Sturmgewehren empfangen.

Ein Polizist bewacht festgenommene Männer in der Favela.

© REUTERS/ALINE MASSUCA

Die Operationen in den verwinkelten Gassen der Elendsviertel von Rio de Janeiro und São Paulo gleichen eher Militäreinsätzen als Polizeimaßnahmen. Menschenrechtsaktivisten werfen der Polizei allerdings vor, häufig mit übertriebener Härte vorzugehen und wenig Rücksicht auf die Bewohner der Favelas zu nehmen.

Menschenrechtsaktivisten kritisieren blutigen Einsatz 

Das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nation forderte eine Untersuchung des blutigen Polizeieinsatzes in Rio de Janeiro. „Wir sind entsetzt über die Polizeieinsätze in den Favelas von Rio de Janeiro, bei denen Berichten zufolge bereits über 60 Menschen ums Leben gekommen sind, darunter vier Polizeibeamte“, hieß es in einer Stellungnahme. „Sie setzen den Trend extrem tödlicher Einsätzen in den abgehängten Gemeinden Brasiliens fort. Wir erinnern die Behörden an ihre Verpflichtungen aus dem internationalen Recht und fordern eine umgehende Untersuchung.“

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Operation. „Öffentliche Sicherheit wird nicht mit Blut erreicht“, hieß es in einer Mitteilung der Gruppe. „Der Einsatz mit den meisten Toten in der Geschichte Rio de Janeiros offenbart das Scheitern der Sicherheitspolitik des Bundesstaates und versetzt die Stadt in einen Zustand des Terrors.“ (dpa)

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