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Panorama: Ist das nicht meine Tochter?

WASHINGTON .Irgend etwas an ihrer kleinen Tochter fand Whitney Rogers immer seltsam fremd.

WASHINGTON .Irgend etwas an ihrer kleinen Tochter fand Whitney Rogers immer seltsam fremd.Die blauen Augen und die blonden Haare waren die der Mutter.Aber warum war Rebecca so stämmig, wo doch alle in der Familie schlank waren? Warum verhielt sich das Mädchen manchmal so komisch? "Ich verstehe sie nicht", soll Whitney Rogers öfters gesagt haben.Doch die Wahrheit erfuhr sie nie.Sie starb, bevor herauskam, daß Rebecca nicht ihre Tochter war.

Die dreijährige Rebecca ist eine der Hauptfiguren eines Familiendramas, dessen vorletztes Kapitel eben geschrieben worden ist.Eine Geschichte, die in den USA eine Diskussion um die Abwägung sozialer und natürlicher Rechte ausgelöst hat.Sie erinnert an das biblische Gleichnis von König Salomon, der entscheiden sollte, zu welcher Mutter ein Baby gehört.Denn Rebecca wurde nach ihrer Geburt im Krankenhaus mit einem anderen Mädchen, Callie, vertauscht.Drei Jahre lang wuchsen die Kinder in der Nähe von Charlottesville in Virginia auf, nur zwei Autostunden voneinander getrennt.Liebevoll behütet von Eltern, die genetisch nichts mit ihnen gemeinsam hatten.Drei Jahre ahnte niemand etwas.

Am 3.Juli dieses Jahres kam dann heraus, was geschehen war.Paula Johnson, die Frau, die Callie aufzog, hatte sich mit ihrem ehemaligen Lebenspartner über Unterhaltszahlungen für das Mädchen gestritten und deshalb einen DNA-Test machen lassen.Nach dem Ergebnis war klar: Callie stammt von anderen Eltern.Von Whitney Rogers und Kevin Chittum.Sie starben einen Tag später, am 4.Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, bei einem Autounfall auf dem Heimweg von einem Feiertagsausflug.Kevin war erst 25, Whitney 19 Jahre alt.Mit ihnen starben Kevins kleine Schwester und seine Nichte.

Als wäre das nicht Leid genug, traf die Eltern der Verunglückten, die sich inzwischen um ihre vermeintliche Enkelin Rebecca kümmerten, der nächste Schlag.Alarmiert von Paula Johnson meldeten sich das Universitätskrankenhaus von Virginia bei ihnen, in dem die Kinder damals verwechselt worden waren.Der Schock saß tief.

Die Klinik-Leitung streitet ab, daß die Verwechslung aufgrund einer Panne geschah."Wir sind zu 99,9 Prozent sicher, daß es nicht aus Versehen passierte", sagt der Vizepräsident der Klinik, Robert W.Cantrell.Normalerweise erhalten Mutter und Kind gleich nach der Entbindung Armbänder, um Verwechslungen zu vermeiden.Ob geschlampt wurde, oder ob jemand mit böser Absicht die Babys vertauschte, soll nun die Polizei herausfinden.Welches Motiv jemand haben sollte, Kinder zu vertauschen, weiß niemand.

Von öffentlichem Interesse ist ohnehin viel mehr, was nun mit den beiden Mädchen geschieht.Auf der einen Seite steht Paula Johnson mit ihrer nichtleiblichen Tochter Callie, auf der anderen Seite ihre leibliche Tochter Rebecca, die bei ihren nichtleiblichen Großeltern lebt.Darf man ein Kind aus einer Familie nehmen, in der es aufgewachsen ist? Um es einer Mutter zu geben, die für das Kind eine Fremde ist? Falls diese Fragen vor Gericht beantwortet werden sollten, ist ein langwieriger, komplizierter Prozeß zu erwarten.

Bis jetzt sieht es aber so aus, als würden sich die Familien außergerichtlich einigen."Wir wollen das Beste für die Kinder", sagen alle Beteiligten.Wie das aussieht, ist noch unklar.Zunächst bleiben die Kinder, wo sie bisher waren, die Familien handeln Besuchsrechte aus.Zur Sicherheit sollen weitere DNA-Tests gemacht werden.König Salomon fällte sein Urteil, indem er drohte, das Baby zu zerteilen.Die richtige Mutter brach weinend zusammen, so war der Fall gelöst.Über Rebecca und Callie weinen viele.

JOCHEN TEMSCH

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