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Müssen nicht umgesiedelt werden: Wisente in Deutschland.

© Bernd Thissen/dpa

Streit um ausgewilderte Wisente: Karlsruhe gibt Projekt eine Chance

Lange galten sie in Deutschland als ausgerottet. Heute streifen Wisente im Rothaargebirge frei durch die Wälder - und gehen mit Appetit Buchen an die Rinde. Scheitert das Artenschutzprojekt?

Für Deutschlands einzige freilebende Wisentherde ist es ein Hoffnungsschimmer: Mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) ist die drohende Umsiedelung der Tiere nach Ostpolen fürs erste vom Tisch. Die obersten Zivilrichter in Karlsruhe halten es für denkbar, dass aufgebrachte Waldbauern ihren Widerstand gegen das Artenschutzprojekt im Rothaargebirge aufgeben müssen. Sie könnten zur Duldung der lange ausgerotteten Wildrinder verpflichtet sein, entschieden sie am Freitag (Az. V ZR 175/17 u.a.).

Unbeliebt gemacht haben sich die größten Landsäuger Europas mit ihrem Appetit - sie gehen mit Vorliebe den geschützten Rotbuchen an die Rinde. „Die schälen jeden Tag fleißig Bäume, jeden Tag und jeden Tag und jeden Tag“, sagt Waldbauer Hubertus Dohle, einer der Kläger.

Das mit großen Hoffnungen gestartete Wiederansiedelungs-Projekt steht deshalb seit Jahren auf der Kippe. Denn die Wisente haben das ihnen einmal zugedachte Revier bei Bad Berleburg längst verlassen. Und die Herde hat sich vergrößert. Auf etwas mehr als 20 Tiere, schätzen die Artenschützer. „Mittlerweile sind es an die 30“, sagt Dohle.

Ein Riesenproblem, für das das Oberlandesgericht (OLG) Hamm 2017 nur eine radikale Lösung sah: Das Eigentum der Waldbauern könne nur geschützt werden, indem die Wisente eingefangen werden. Sie könnten in den Nationalpark Bialowieza an der polnisch-weißrussischen Grenze umziehen. Dafür sollte sich der verantwortliche Trägerverein um eine Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde bemühen.

Das geht den BGH-Richtern zu weit. Sie halten es für möglich, dass das Naturschutzgesetz die Waldbauern zur Duldung der Wisente verpflichtet. Im Einzelnen muss das aber nun erneut das OLG klären.

Artenschützer sind erleichtert

Die Artenschützer von der Wisent-Welt-Wittgenstein reagierten erleichtert. Für seinen Verein sei wichtig, dass die Tiere damit vom Betreten der Wälder nicht mehr abgehalten werden müssten, sagte der Erste Vorsitzende Bernd Fuhrmann nach der Urteilsverkündung. Die Tierschutzorganisation WWF Deutschland begrüßte, dass damit „weiteren Projekten zur Wiederansiedlung bedrohter, heimischer Tierarten höchstrichterlich keine Grenzen gesetzt“ werden.

Dass die Waldbauern die Wisente wirklich dulden müssen, ist aber noch nicht ausgemacht. Die Pflicht gilt nämlich nur, „soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird“. BGH-Sprecherin Dietlind Weinland geht davon aus, dass das OLG zur Beurteilung einen Sachverständigen einschalten wird. Dieser müsste sich dann das Ausmaß der Schäden ganz genau anschauen.

Fuhrmann zeigte sich optimistisch: „Natürlich sind solche Schäden ärgerlich. Aber sie werden von uns ersetzt, und insofern sind sie keinesfalls existenzgefährdend“, sagte er. Dass der Verein momentan für sämtliche Schäden haften muss, stellt auch der BGH in seinem Urteil klar. Die Wisente seien mit der Freilassung im April 2013 keineswegs „herrenlos“ geworden. „Man kann sie auch noch einfangen“, sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. „Wenn vielleicht auch unter Schwierigkeiten.“

Der Senat, der sich sichtlich um einen gerechten Interessensausgleich bemühte, denkt dabei auch an künftige Auswilderungsprojekte. Diese würden wohl kaum Akzeptanz finden, wenn von vornherein klar wäre, dass mit der Öffnung des Geheges jede Verantwortlichkeit entfalle, sagte Stresemann. Gleichzeitig könne es nicht sein, dass es das Aus des Projekts bedeutet, wenn die Tiere einmal ihr Gebiet verlassen.

Für die Waldbauern ist die Entschädigung aber nicht der springende Punkt. Dafür gibt es inzwischen einen Fonds. Nach Auskunft des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums wurden 2018 rund 63 000 Euro an private Waldbesitzer wegen Wisent-Wildschäden ausgezahlt.

Bauer Dohle sorgt sich, dass es auf lange Sicht in seinem Wald keine einzige heile Buche mehr gibt. „Wir wollen einfach, dass unsere Bestände nicht durch die Wisente beschädigt werden“, sagt er. Dass sich der Streit vor den Gerichten so lange hinzieht, ärgert ihn sehr. „Das wird ein unendlicher Prozess werden“, befürchtet er.

Und damit ist immer noch nicht Schluss. Denn der gesamte Rechtsstreit - und damit auch das BGH-Urteil - bezieht sich nur auf die sogenannte Erprobungsphase. Was danach passieren soll, muss noch entschieden werden. Entweder werden die Wisente dann endgültig in die Freiheit entlassen. Oder das Projekt wird für gescheitert erklärt.

Bis dahin soll eigentlich ein im März ausgehandelter Kompromiss die Lage entschärfen. Er sieht vor, dass die Wisente übergangsweise für einige Jahre auf einem umzäunten Gebiet von rund 1500 Hektar im Staatswald leben und die Waldbauern in Frieden lassen. So wollen die Verantwortlichen Zeit gewinnen, um in Ruhe eine Lösung zu finden.

Laut NRW-Umweltministeriums werden derzeit die Grundlagen für die anstehenden Genehmigungsverfahren erarbeitet. Man habe sich auch schon zusammengesetzt, um die Umsetzung zu besprechen und eine mögliche Trassenführung für eine Einfassung zu skizzieren.

Den klagenden Waldbauern geht das viel zu langsam. Für die Artenschützer wiederum ist der Zaun keine Dauerlösung. Es spricht also einiges dafür, dass weiter die Gerichte entscheiden müssen. (dpa)

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