Panorama: Nicht mehr zu retten
Nach dem Großfeuer wird der „Windsor-Turm“ in Madrid abgerissen / Brandursache noch unklar
„Stürz’ nicht ein“, bat am Montag auf der Titelseite eine Tageszeitung den 106 Meter hohen Hochhaus-Koloss, von dem nach einem Großbrand nur ein schwarzes Gerippe aus Beton und Stahl übrig blieb. Die Gefahr, dass die völlig verbogene Statik des Madrider Monstrums nachgibt, war auch am Montag noch nicht gebannt – obwohl die Feuerwehr rund 24 Stunden nach Ausbruch des Feuers endlich die letzten Flammen löschen konnte.
Das Finanzzentrum der spanischen Hauptstadt mit seinen zahlreichen Wolkenkratzern steht unter Schock, nachdem eines der Wahrzeichen der Stadt, der „Windsor-Turm“, vom größten Feuer der Geschichte verschlungen wurde. „Warum brennt ein Büro-Hochhaus wie Papier?“, fragen die Menschen, die ungläubig und aus sicherer Entfernung die noch qualmende Ruine betrachten. Die Zeitung „El Mundo“ schreibt: „Die Vorstellung der Folgen des Brandes an einem normalen Arbeitstag mit mehr als 1000 Angestellten im Gebäude lässt erschaudern.“ Beim nächtlichen Brandausbruch waren nur vier Wachmänner in dem Gebäude, sie konnten sich retten. Das ganze Viertel, in dem der 30 Etagen hohe Gigant aufragt, blieb am Montag gesperrt. Auch das benachbarte Kaufhaus „Corte Ingles“, das beim Einsturz unter den Trümmern begraben werden könnte. Mehr als 10 000 Angestellte umliegender Banken und Versicherungen können vorerst nicht an ihre Arbeitsplätze gelangen.
Eine Erklärung für die explosionsartige Gewalt des Feuers hatte Bürgermeister Alberto Ruiz-Gallardon: Die Konstruktion des Kolosses sei „Lichtjahre“ von heutigen Sicherheitsanforderungen entfernt gewesen. Unabhängige Experten gehen noch weiter: „Es sieht so aus, als ob keines der automatischen Systeme zur Brandmeldung und -bekämpfung funktioniert hat.“ Eine Sprinkleranlage, in modernen Hochhäusern Vorschrift, „hätte das Feuer sofort gelöscht“, meint Feuerwehrchef Javier Sanz. Der Eigentümer des Turmes, eine bekannte spanische Immobilienfamilie, wird sich unbequeme Fragen gefallen lassen müssen. Den reinen Gebäudewert des 30 Jahre alten Hochhauses taxieren die Versicherungen auf bis zu 150 Millionen Euro – nicht gerechnet die Schäden der Mieter, zu denen die Unternehmensberatung Deloitte gehört, die bereits am 11. September 2001 ihre Büros im New Yorker World Trade Center verlor. Am 12. Februar 2005 ging nun die Zentrale im „Windsor-Turm“ in Flammen auf.
Die Brandursache ist noch unklar, die Ermittler können wegen der hohen Temperaturen in der noch glühenden Ruine wohl erst am Mittwoch nach Spuren suchen. Ein Kurzschluss, eine Zigarettenkippe, Brandstiftung – nichts ist bisher ausgeschlossen. Sicher ist, dass nach den Ermittlern die Abbruchkommandos anrollen, der bisher so stolze „Windsor-Turm“ ist nicht zu retten.
Ralph Schulze[Madrid]