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Panorama: „O mein Gott – das ist echt“

Chatteilnehmer ermuntern Briten zu Selbstmord vor der Webcam – sie könnten angeklagt werden

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London - Die britische Polizei befasst sich mit dem Fall des 42-jährigen Elektrikers Kevin Whitrick, der seinen eigenen Selbstmord im Internet filmte. Berichten zufolge haben Teilnehmer des PaltalkChatrooms den depressiven Vater zweier Kinder zu seiner Tat noch angetrieben. Sie könnten wegen Beihilfe zum Selbstmord oder fahrlässiger Tötung angeklagt werden.

Mindestens 50 Personen waren eingeloggt, als Whitrick vor laufender Kamera sagte: „Ich habe genug. Ihr denkt, ich bin voller Scheiße, aber nicht diesmal.“ Dann stieg er in seinem Reihenhäuschen in Wellington in Shropshire auf einen Stuhl, stieß mit der Faust ein Loch in die Decke, befestigte ein Seil an dem freigelegten Deckenbalken und legte es um seinen Hals. Laut der „Times“ rief einer der Chatteilnehmer durchs Mikrofon: „Fucking do it, mach schon, legs dir um den Hals.“ Andere sagten: „Mein Gott, es ist ernst“ und „Jemand muss die Polizei rufen.“ Dann stöhnte einer: „O mein Gott – das ist echt.“

Whitrick war seit einem Autounfall depressiv, lebte getrennt von seiner Familie und trank. In dem „Insult Room“, in dem sich Teilnehmer gegenseitig beschimpfen, hatte er den Nutzernamen „Shyguy_17_1“. Laut „Times“ kündigte er seinen Selbstmord zwei Stunden vor der Tat in dem Chatroom an. Doch offenbar kam niemand auf die Idee, ihm die Tat auszureden oder die Polizei zu rufen. In einem ähnlichen Fall hatten Chatfreunde 2003 den 21-jährigen Brandon Vedas in Phoenix, Arizona zum Selbstmord in einem Internet-Chatroom ermuntert.

Der Fall hat nun eine Diskussion über den Realitätsverlust vieler Internet-Teilnehmer ausgelöst. Laut der Organisation „Papyrus“, die Selbstmorde von Jugendlichen verhindern will, haben sich in Großbritannien seit 2001 mindestens 16 Menschen durch „Internet-Selbstmorde“ umgebracht. Sie finden auf einschlägigen Seiten Informationen und Ermutigung, andere haben mit Chatroom-Bekanntschaften „Selbstmordpakte“ geschlossen. In Japan haben solche Selbstmord-Internet-Bekanntschaften in den vergangenen Jahren besorgniserregend zugenommen. In Großbritannien haben sich im Februar 2005 ein 25-jähriger Doktorand und eine 42-jährige Frau gemeinsam umgebracht, nachdem sie sich im Internet kennengelernt hatten.

Gruppen wie Papyrus fordern das Verbot von „Selbstmord-Homepages“ und wollen, dass Ermunterung und Beihilfe zum Selbstmord auch in der scheinbaren Anonymität des Internets strafbar werden. Eine Untersuchung der Minneapolis-Universität sieht die Teilnahme an Chatrooms als psychologischen „Gefährdungsindikator“.

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