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Kuscheln bitte: Um sich gegenseitig vor dem Erfrieren zu schützen, bilden Pinguine ein rotierendes Knäuel.

© Daniel Zitterbart/Promo

Antarktis-Forschung im Zeichen des Klimawandels: Wie Künstliche Intelligenz bei der Rettung der Pinguine helfen soll

Mit Satelliten-, Video- und anderen Bildern gespeiste Computer sollen helfen, gefährdete Pinguine zu retten. Wie kann das gehen?

Zu den besonderen Talenten von Pinguinen gehört – das Kuscheln. Um Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt der Antarktis zu trotzen, drängen sie sich zu Dutzenden dicht aneinander, stecken die Köpfe zusammen und bilden einen großen wärmenden Knäuel. Alle machen mit, weil jeder profitiert: Alle 30 bis 60 Sekunden bewegt sich die Gruppe, sodass der nächste in den Genuss des wärmenden Zentrums kommt – und jeder auch mal die Eiseskälte am Rand des Runds erleiden muss.

Forscher der Universität Erlangen und der Helmholtz Gesellschaft machten diese Beobachtung erstmals in der Nähe der Neumayer-Station, einer deutschen Polarforschungsstation in der Antarktis. Dort haben sie einen Container aufgestellt, ganz dicht bei einer Population von Kaiser-Pinguinen. Von den Beobachtungen erhoffen sich die Forscher auch Aufschluss über die Auswirkungen des Klimawandels. Das Zählen der Tiere gehört dabei zu den eher lästigen Pflichten für die Forscher.

Nun hat sich kurz vor dem amerikanischen Tag der Pinguine – dem Penguin Awareness Day, der am Montag begangen wird – eine Tochter-Firma von Tech-Gigant Intel gemeldet. Das Unternehmen teilt mit, dass Künstliche Intelligenz die bisher aufwändige von Wissenschaftlern selbst durchgeführte Zählung genauer und schneller maschinell durchführen könne. Ist das ein Durchbruch in der Forschung?

Zuvor sind die Tiere "manuell" gezählt worden

Mitarbeiter der Firma „Gramener“ haben nach eigenen Angaben Computer mit Satelliten-, Video- und anderen Bildern von 40 verschiedenen Orten in der Antarktis gespeist und künstliche Intelligenz daran gesetzt, Pinguine zu entdecken und zu zählen. Einem Sprecher zufolge kann das Programm einzelne Tiere ebenso identifizieren wie deren mutmaßliche Zahl etwa in Kuschel-Einheiten wie die von den Helmholtz-Wissenschaftlern beobachteten. Zuvor seien die Tiere „manuell“ von Freiwilligen oder Praktikanten der Forscher gezählt worden. Die maschinellen Ergebnisse seien „schneller und akkurater“ als das gewöhnliche Verfahren, behauptet die Firma.

„Die allermeisten Forscher, die Bilder quantitativ auswerten, nutzen dazu Künstliche Intelligenz“, sagt Daniel Zitterbart. Der deutsche Forscher zählt zu den Pionieren der Pinguin-Forschung am Alfred-Wegener-Institut der Helmholz Gesellschaft. Er arbeitet heute an der Woods Hole Oceanographic Institution in der Nähe von Boston. Die für die Forschung sehr wichtige Arbeit der Erfassung der Tiere komplett zu automatisieren, sei schwierig: „Die Bildverarbeitungs-Algorithmen machen Fehler, wir überprüfen und korrigieren die Ergebnisse immer noch einmal“, sagt der Forscher. Ohnedies müsse die Künstliche Intelligenz auch „angelernt“ werden, indem Menschen sie mit den wichtigsten Merkmalen der Tiere anfüttern.

Das spreche nicht gegen den Einsatz Künstlicher Intelligenz, im Gegenteil: Die Maschinen seien unschlagbar schnell bei der Verarbeitung großer Datenmengen – und würden dazu auch eingesetzt. In Teilgebieten übertreffe der „Blick“ des Computers das menschliche Auge auch: bei der Auswertung von Bildern aus Kamerafallen für die „extrem gut getarnten" Berglöwen etwa.

Daniel Zitterbart reist alle zwei Jahre zur Neumayer-Station in die Antarktis und kommt den Pinguinen dabei sehr nah.
Daniel Zitterbart reist alle zwei Jahre zur Neumayer-Station in die Antarktis und kommt den Pinguinen dabei sehr nah.

© Foto: Stefan Christmann/Promo

Alle zwei Jahre reist Zitterbart in die Antarktis zur Neumayer-Station. Diese ist im Sommer mit 30 bis 40 Wissenschaftlern besetzt, die unter anderem die Pinguine beobachten. Die aktuelle Neumayer Station III ist oberirdisch, nachdem die Forscher zuvor in zwei großen Röhren im Eis leben und arbeiten mussten. Im Container, der wenige hundert Meter von den 25000 Pinguinen der Akta Bucht Population entfernt steht, behalten 20 fernsteuerbare Kameras die Tiere rund um die Uhr im Blick.

Persönliche Kuschelattacken müssen die Wissenschaftler dabei durchaus riskieren, zum Beispiel wenn sie junge Tiere markieren, damit die Zahlen des Pinguin-„Zensus“ auf jeden Fall stimmen.

Lassen die Bevölkerungs-Zählungen schon Rückschlüsse auf die Folgen des Klimawandels zu? „Noch nicht, wir rechnen mit Auswirkungen, aber anhand von Zahlen können wir diese erst in etwa zehn Jahren belegen“, sagt Zitterbart. Ein Kaiser-Pinguin lebe 30 bis 40 Jahre. Vor zehn Jahren starteten die Beobachtungen. Und es gebe 54 Kolonien mit zusammen rund 600 000 Kaiser-Pinguinen. Da ein Großteil der Pinguine häufig im Ozean auf Futtersuche „untertaucht“, können sie nicht gleichzeitig gezählt werden.

Zitterbart verweist auf verschiedene Beobachtungen vor Ort. So sei eine Population, die sich ganz in der Nachbarschaft der Aktabucht niedergelassen habe, plötzlich von mehreren tausend auf etwa 100 Individuen dezimiert worden, nachdem das Meereis zwei Jahre in Folge früher einbrach als für den Aufwuchs der Jungtiere verträglich. „Da zogen die meisten Pinguine um“ – und verschwanden aus dem Blick der dortigen Wissenschaftler.

Zum Überleben brauchen die Tiere fest gefrorene Ozeane als Nistplatz

Seiner Meinung nach werde es durch den Klimawandel nicht nur Verlierer unter den Pinguin-Arten in der Antarktis geben: „Einige der gut 17 Arten, die Esels-Pinguine beispielsweise, werden zu den Gewinnern zählen, weil sie flexibler bei der Wahl ihrer Nahrung sind.“ Dagegen drohe Adélie-Pinguinen eher Ungemach, weil sie sich hauptsächlich von Tintenfischen ernähren, die bei einer Erwärmung der Ozeane kühlere Gefilde aufsuchen.

Die Kaiser-Pinguine, die Zitterbart zählt und beobachtet, stellt die Erderwärmung vor ein ganz anderes Problem: Zum Überleben benötigen die Tiere, die bis zu 130 Zentimeter groß werden können, bis Januar fest gefrorene Ozeane als Nistplatz. Denn erst dann verlieren die Küken ihre Daunen und streifen ihr wasserfestes Kleid über, damit sie sich selbständig in die Fluten stürzen und fischen können. Außerdem nutzen die Kaiser-Pinguine das Eis als Plattform, von der aus sie nach Nahrung tauchen und sich darauf vor Feinden flüchten können. Schmilzt das Eis durch den Klimawandel weiter, stehen die Chancen für ihr Überleben nicht besonders gut.

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