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World Wide WEG: Unsere neue Kolumne

Die Gastfamilie hat zum Empfang einen gemeinsamen Willkommens-Bootstrip geplant. Mit fatalen Folgen

Von: Jacqueline Möller

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Stürmische Begrüßung

Der entscheidende Schritt ist getan: Berlin liegt in weiter Ferne hinter mir. Ein Mann hinter dem Schalter der Einwanderungsbehörde genehmigt lächelnd meinen Visaantrag auf eine Studienerlaubnis in Kanada mit den Worten „Good luck!“. Ob dieses Auslandsschuljahr wirklich so viel Glück bringt oder ob es mit einem Kulturschock endet, steht noch in den Sternen.

Ich laufe Richtung Ausgang, geradewegs hinein in meinen neuen Lebensabschnitt. Und in die Arme meiner Gastfamilie, die mich am Flughafen empfängt. Ein Jahr lang habe ich nun zwei Schwestern: Nicole, 21 Jahre alt, und Stephanie, 18. Ein ungewöhnliches Gefühl, denn die 16 Jahre meines bisherigen Lebens bin ich als Einzelkind aufgewachsen. Auf dem Weg in mein neues Zuhause in Vancouver sehe ich durch die Autoscheiben die Landschaft an mir vorbeifliegen. Die Häuser sehen aus wie aus amerikanischen Teenagerfilmen, ich fühle mich ein bisschen wie in „Highschool Musical“ und weiß noch nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Was mich zusätzlich verunsichert: Die Menschen hier begegnen mir mit einer ungewohnten Freundlichkeit, lächeln, als ob dieser Tag der schönste im ganzen Jahr wäre.

Zur Einstimmung auf mein Kanada-Jahr haben meine Gasteltern Thomas und Sonya eine kleine Überraschung organisiert: eine viertägige Bootsfahrt. Klingt entspannt und luxuriös. Aber schon nach der ersten Nacht wird die Idylle unseres Kurzurlaubs auf jähe Weise gestört. Per Funk erhalten wir eine Warnung: „A Storm is coming!“ Kaum ist sie ausgesprochen, schlagen auch schon riesige Wellen gegen das Boot. Und alles, was nicht niet- und nagelfest ist, purzelt durch die Kabine. Teller, Tassen, Essen, Klamotten. Doch die Scherben sind das geringste Problem – Thomas steuert direkt in den Sturm hinein. Und bekommt das Boot kaum unter Kontrolle. Vor meinem inneren Auge sehe ich mein Leben an mir vorbeiziehen. Ich verfluche, dass es an Bord weder Handyempfang gibt noch Internet. Noch einmal kurz mit meinen Eltern in Berlin sprechen, das wär’s jetzt. Vielleicht war das Austauschjahr doch keine so gute Idee.

Angst und Zweifel schwinden erst, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit wieder festen Boden unter den Füßen haben. Das Boot ist gerettet und wir auch. Klitschnass und durchgefroren stehe ich am Strand und fühle mich wieder wie in einem Film, nur diesmal wie in einem schlechten Katastrophenstreifen. Wie gut, dass ich jetzt zwei Schwestern habe, die mich beruhigen, mich in den Arm nehmen. Ich lerne die erste Lektion meiner Kanada-Reise: Geschwister sind eine feine Sache.

Jacqueline Möller

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