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Textilindustrie in Bangladesch: Wie westliche Firmen mit dem Fabrikunglück von Savar umgehen
Nach dem Fabrikunglück in Bangladesch drückt sich die Textilbranche um die Verantwortung. Bei einem Treffen in Frankfurt wurden nun erste Ideen formuliert - unmittelbare Hilfe jedoch nicht.
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Noch immer harren verzweifelte Angehörige vor den Trümmern aus. Wie Anklageschriften halten sie die Fotos ihrer toten Liebsten in die Kameras der Fernsehteams. Das Fabrikunglück von Savar, das schlimmste in der Geschichte Bangladeschs, nimmt immer tragischere Ausmaße an. Inzwischen stieg die Todeszahl auf mehr als 500. Und noch immer werden weitere Leichen geborgen.
In den Trümmern werden auch Textilien immer wieder gefunden, die ebenfalls stummen Anklagen gleichen: Sie tragen nach Angaben von Rettungskräften Etiketten von so bekannten Modeketten wie Kik, Primark, Mango und Benetton. Wie ein Kartenhaus war der achtstöckige Gebäudekomplex Rana Plaza, der fünf Textilfabriken mit 3000 Arbeitern beherbergte, vor zehn Tagen eingestürzt.
Mit Wucht hat die Tragödie eine Debatte über die Verantwortung westlicher Konzerne für das Heer der namenlosen Billigarbeiterinnen losgetreten. Als erstes Unternehmen will sich Disney aus Bangladesch und den „Hochrisikoländern“ Ecuador, Venezuela, Weißrussland sowie Pakistan zurückziehen, wie der Konzern mitteilte. Die Walt Disney Company rief Händler und Lizenznehmer auf, die Produktion in andere Länder zu verlagern.
Bangladeschs 3,5 Millionen Textilarbeitern, 80 Prozent davon sind Frauen, ist damit nicht gedient. Das Land ist von dem 20 Milliarden Dollar schweren Geschäft mit der Mode abhängig. So grausam die Zustände sind, für viele Frauen sind die Jobs die einzige Überlebenschance. Viele sind Witwen, alleinstehende Mütter, Frauen vom Lande, die so ihre Familien ernähren. Folgen andere Westfirmen dem Beispiel von Disney, droht ihnen weitere Verelendung, die Straße oder gar Prostitution.
Bereits am Dienstag kamen zwei Dutzend große Textilketten nahe Frankfurt zusammen, um über Maßnahmen zu sprechen. Vertreten waren unter anderem Wal Mart, Gap, C&A, Mango, Benetton und H&M. Das Treffen war seit längerem geplant. Die Textilriesen wollen an gemeinsamen Richtlinien arbeiten, den Arbeitsschutz in Bangladesch zu verbessern. Moderiert wurde das Treffen von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die über weitreichende Expertise in diesem Feld verfügt. „Wir haben den Willen und die Absicht, jetzt etwas zu tun“, sagt Thorsten Rolfes, Unternehmenssprecher von C&A. Man wolle möglichst alle Beteiligten zusammenbringen, westliche Unternehmen ebenso wie Dienstleister in Bangladesch und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzen.
Viele Unternehmen, die in den fünf Fabriken von Rana Plaza fertigen ließen, ducken sich bislang jedoch vor der Verantwortung, was die unmittelbare Opferhilfe angeht. Nur die Konzerne Primark, Loblaw und El Corte Inglés sagten den Familien der Opfer laut Medienberichten bisher Finanzhilfen zu.
Wie hoch diese Hilfe aussieht, wollte Primark auf Anfrage nicht definieren. Man kooperiere derzeit mit örtlichen NGO, um „den drängendsten Bedarf der Opfer und deren Angehörigen sofort decken zu können“. Auch eine langfristige Zahlung von Schmerzensgeld und Hilfsgelder für Waisen sicherte das Unternehmen zu. Auch der deutsche Textildiscounter Kik steht in der Kritik. Es sei das dritte Mal in nur acht Monaten, dass Kik in ein schweres Unglück involviert sei, erklärte die entwicklungspolitische „Kampagne für Saubere Kleidung“.
Kik hingegen hatte sich zunächst „überrascht“ gezeigt, dass seine Textilien in den Ruinen gefunden wurden. Man habe seit 2008 keine Geschäftsbeziehungen zu den ansässigen Textilproduzenten in Rana Plaza gehabt, konnte aber nun die gefundene Ware einem Importeur zuordnen, erklärte Kik jetzt auf Anfrage. Das Unternehmen prüfe nun die genaue Auftragslage. Das Thema Brand- und Gebäudeschutz wolle man „weiter vorantreiben“. Allerdings hofft Kik da auf eine Gesamtlösung: „Alle direkt importierenden Textilunternehmen, die Produzenten vor Ort sowie die lokalen Organisationen müssen jetzt an einem Strang ziehen“, heißt es bei Kik.
Doch es gibt eine stille, unheilige Allianz zwischen den lokalen Textilmogulen und den Westkonzernen. Sozialaktivisten, die die unwürdigen Arbeitsbedingungen anprangern, riskieren ihr Leben. Vergangenes Jahr wurde der prominente Kritiker Aminul Islam tot aufgefunden. Sein Körper wies Folterspuren auf. Der Ingenieur Adbur Razzak, der gewarnt hatte, dass das Fabrikgebäude Rana Plaza unsicher sei, und zur Evakuierung riet, wurde nun verhaftet.
Bangladeschs Regierungschefin Hasina Wajed kündigte zwar Reformen an, doch die Branche hat eine mächtige Lobby – jeder zweite Parlamentarier soll Beziehungen zur Textilindustrie haben. Die hat an den Exporteinnahmen des Landes einen Anteil von 80 Prozent. Den Preis zahlen die Näherinnen – mit mittelalterlichen Arbeitsbedingungen und nicht selten mit ihrem Leben.
In Bangladesch selbst gibt es mittlerweile ein Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz. Die Regierung und die Gewerkschaften hatten es nach einem verheerenden Brand im November letzten Jahres aufgesetzt. Es sieht regelmäßige Inspektionen und Sicherheitstrainings vor. Die Kosten sollen sich die westlichen Modefirmen und die örtlichen Produzenten teilen. Bisher hat jedoch kein Unternehmen das Abkommen unterzeichnet.
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