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Panorama: Zu jung fürs Kind

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden verzeichnet für das Jahr 2001 einen deutlichen Anstieg der Abtreibungen bei Minderjährigen. Über 7600 Schwangerschaftsabbrüche wurden im vergangenen Jahr an Jugendlichen unter 18 Jahren vorgenommen - das sind rund 20 Prozent mehr als noch im Jahr 2000.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden verzeichnet für das Jahr 2001 einen deutlichen Anstieg der Abtreibungen bei Minderjährigen. Über 7600 Schwangerschaftsabbrüche wurden im vergangenen Jahr an Jugendlichen unter 18 Jahren vorgenommen - das sind rund 20 Prozent mehr als noch im Jahr 2000.

In Berlin läßt sich bislang nur ein leichter Anstieg der Abtreibungen bei den unter 20-Jährigen ausmachen: Nach 1477 Fällen im Jahr 2000 trieben vorläufigen Zahlen zufolge im vergangenen Jahr 1485 Mädchen und junge Frauen ab. Doch sind noch nicht alle Fälle ausgewertet.

Auffällig hingegen ist in Berlin der Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche bei Mädchen unter 15 Jahren. 73 Fälle sind für 2001 bisher erfaßt worden - gegenüber 52 im vorangegangenen Jahr. Bundesweit liegt die Zuwachsrate bei den unter 15-Jährigen bei 21,3 Prozent.

Diese Zahlen wurden gestern aktuell veröffentlicht. Andere aktuelle Vergleichszahlen, wie die der Schwangerschaften und Geburten bei Minderjährigen, liegen noch nicht vor. Doch deutet der Anstieg bei den Abtreibungen auf einen Trend, der schon seit geraumer Zeit mit Besorgnis verfolgt wird: Immer mehr Jugendliche haben immer früher Sex, sind immer öfter schwanger und treiben häufiger ab.

Drohen in Deutschland englische Zustände? In Großbritannien sind die Teenager-Schwangerschaften zu einem so großen Problem geworden, dass die Regierung einschneidende Maßnahmen beschloss. Im Jahre 2000 wurden 90 000 minderjährige Mädchen schwanger, damit hält das Land den Rekord innerhalb der EU. Etwa zwei Drittel der minderjährigen Schwangeren tragen ihr Baby aus.

Die Labour-Regierung reagierte auf diesen Trend zum Teil mit drastischen Strategien. Neben verstärkter Aufklärung an den Schulen versprach sie sich auch von der Ernennung von "Schwangerschaftsberatern" eine Lösung des Problems. Die schwangeren Mädchen wurden mit Babygeschrei beschallt und aufgefordert, einen schweren Kinderwagen längere Zeit vor sich her zu schieben. Auf diese Weise sollten sie dazu bewegt werden, sich ihre Mutterschaft noch einmal gründlich zu überlegen. Neben diesen Abschreckungsversuchen richtete sich die Kampagne "Es ist okay, Jungfrau zu sein" vor allem an die ganz jungen unter den Teenagern und versuchte diese dazu zu bewegen, länger mit dem Geschlechtsverkehr zu warten. Die rezeptfreie Vergabe der "Pille danach" an Frauen ab 16 Jahren rief allerdings den Protest der Kirche und konservativer Politiker hervor.

In Deutschland ist die Steigerungsrate bei den Schwangerschaftsabbrüchen bei Minderjährigen zwar dramatisch, aber die absoluten Zahlen sind weit niedriger als in England. Auch die Zahl der Geburten bei Minderjährigen sind erheblich niedriger. 10 082 wurden im Jahre 1999 gezählt. Neuere Zahlen sind bis jetzt noch nicht verfügbar.

Minderjährige sind in den deutschen Beratungsstellen eine "seltene Angelegenheit", sagt Dr. Hanne Havemann vom Familienplanungszentrum "Balance" in Berlin. Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren kämen zwar durchaus zu den Beratungen, die größte Gruppe stellen jedoch nach wie vor Frauen zwischen 20 und 35 Jahren. Zwar kann Havemann für "Balance" eine Zunahme der Beratungen bei Minderjährigen verzeichnen, führt dies jedoch auf das gute Angebot und den Umstand zurück, dass das Zentrum zu den wenigen Stellen in Berlin gehört, die sowohl Beratungsscheine ausstellen als auch Abtreibungen vornehmen. "Auffällig ist jedoch, dass Minderjährige jetzt stärker in der fachlichen Diskussion stehen", so Havemann, die darin ein indirektes Zeichen für den Anstieg der Schwangerschaften bei Minderjährigen sieht. Die Ursachen sieht Havemann in der mangelnden Aufklärung durch die Eltern, Schule und Medien.

Monika Häußermann, Psychologin bei Pro Familia, betont hingegen, dass die Aufklärung in Deutschland bereits früh an den Schulen einsetze. Der Tatsache, dass Jungen und Mädchen immer früher Geschlechtsverkehr haben, steht auch eine immer zeitgere Aufklärung gegenüber. Gleichzeitig seien die Eltern liberaler als früher, offene Gespräche über Sexualität die Regel. Das Problem läge eher darin, dass Gelernte auch anzuwenden - die Verhütung ist unter Jugendlichen häufig "eine Beziehungsfrage" und werde trotz Aufklärung oft nicht angewendet. "Dass die Jugendlichen beim ersten Mal immer jünger sind, heißt nicht, dass sie auch weiser sind.", sagt Häußermann.

Deutschlands Teenager haben immer früher Sex. 1980 Geborene hatten im Durchschnitt mit 13,7 Jahren das erste Mal Geschlechtsverkehr, beim Jahrgang 1977 lag das Durchschnittsalter dagegen noch bei 15,6 Jahren.

Marit Teerling

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