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Magnus Hirschfeld.

© picture alliance / SZ Photo / Bearbeitung Tagesspiegel

Magnus Hirschfeld Superstar?: Von wegen – seine dunklen Seiten werden längst aufgearbeitet

Wird bei Magnus Hirschfelds Ehrung als Mitbegründer der queeren Emanzipationsbewegung etwas übersehen? Nein: Denn seine schwierigen Positionen zur Eugenik werden ebenfalls erforscht.

Ein Gastbeitrag von Rainer Herrn

Stand:

Wofür steht Magnus Hirschfeld heute? Der Sexualwissenschaftler ist zweifelsohne eine Legende, begründete er doch das Fach zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit und war gleichzeitig eine der prägenden Figuren der ersten deutschen Homosexuellenbewegung. Gerade erst wurde anlässlich seines Geburts- und Todestages, die beide auf den 14. Mai fallen, in Berlin zum ersten Mal ein Hirschfeld-Gedenktag gefeiert. Doch wird seine Person inzwischen überhöht?

Das beklagte unlängst die Tagesspiegel-Kolumnistin Debora Antmann. Unter der Überschrift „Magnus Hirschfeld Superstar“ schrieb sie, es sei „nicht zu ertragen“, dass die „dunklen Kapitel“ des Sexualwissenschaftlers und -reformers anlässlich der Würdigungen nicht erwähnt würden. Denn Hirschfeld sei nicht nur „Vorkämpfer für die Rechte von Queers“, sondern gleichzeitig „Befürworter der Eugenik“, der die „Zwangssterilisation als eugenisch vorbeugende Maßnahme bei Menschen“ legalisieren wollte.

Was ist dran an diesem Vorwurf des Verschweigens und der Hagiographie? Tatsächlich brauchen wir keine Heldenverehrung. Zwar ist unbestritten, dass sich Hirschfeld zeitlebens wissenschaftlich und politisch für die sexuellen Selbstbestimmungsrechte aller Menschen, egal ob queer oder nicht, eingesetzt hat, bis ihn die Nazis ins Exil trieben und sein 1919 gegründetes Institut für Sexualwissenschaft am 6. Mai 1933 als Auftakt zur Bücherverbrennung medienwirksam plünderten.

Doch Hirschfelds eugenische Positionen sind kein „dunkles Kapitel“, wie Antmann schreibt. Vielmehr wird darüber seit gut vierzig Jahren – auch vom Autor dieses Beitrags – geforscht und bei vielen Gelegenheiten berichtet, übrigens auch beim aktuellen Gedenken. Aus seinem Eintreten für eugenische Ziele ergab sich bereits in den 1980er Jahren ein Disput, der zunächst zwischen dem Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch und der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft begonnen wurde und bis heute weitergeführt wird.

Eugenik in der Weimarer Zeit stark verbreitet

Im Zentrum steht die Frage, wie das eugenische Engagement Hirschfelds, das in der 1919 eröffneten ersten „Ehe- und Sexualberatungsstelle“ seines Instituts vermittelt wurde, vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Sterilisierungs- und Vernichtungspraktiken sogenannten „erbkranken Nachwuchses“ nach 1933 einzuordnen sei.

Die Lehre, die sich die Bewertung der vermutetermaßen erblichen Eigenschaften der Menschen in „erwünscht“ und „unerwünscht“ sowie deren gezielte bevölkerungspolitische Beeinflussung nach tierzüchterischem Modell zum Ziel gesetzt hatte, nennt sich „Eugenik“. Das bedeutet: die Lehre vom guten Erbe oder vom Wohlgeborensein. Verhaftet im (sozial-)darwinistischen Denken des ausgehenden 19. Jahrhunderts erfuhr sie, forciert durch die Menschenverluste im Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Zeit eine starke Verbreitung.

Im Zuge dessen wurden daraus konfessionell, partei- und organisationspolitisch variierende eugenische Positionen von links bis rechts formuliert. Eine nahezu ausnahmslose Verbreitung hatte die Eugenik unter Ärzt_innen, was 1920 zur Einrichtung der ersten eugenisch ausgerichteten Professur für den Sozialdemokraten und -hygieniker Alfred Grotjahn und damit zur Integration in die medizinische Ausbildung an der Berliner Universität 1920 führte.

Unterschieden wurde nicht nur zwischen bevölkerungspolitisch wirksamen Maßnahmen zur Förderung erwünschter und der Vermeidung unerwünschter Nachkommen (positive bzw. negative Eugenik), sondern auch zwischen den Mitteln ihrer Umsetzung. Die Mehrzahl der Sexualreformer wie Hirschfeld setzten auf Aufklärung der Bevölkerung. Sie wollten Ehe- und Sexualberatungsstellen einrichten, um der Zunahme von Menschen, die den Erfordernissen der modernen Produktions- und Lebensbedingungen nicht entsprachen, entgegenzuwirken. Jede und jeder solle seine Verantwortung für die nächste Generation wahrnehmen.

Dem entgegnete die Mehrzahl der Psychiater, dass jene, die sich nicht fortpflanzen sollten, mental gar nicht in der Lage wären, verantwortlich zu handeln. Sie befürworteten daher statt Aufklärung die Einführung von staatlichen Zwangsmaßnahmen.

In Deutschland floss die Eugenik zudem mit der Rassenbiologie mit einer stark antisemitischen Tönung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das rasch aufstrebende Fach der Rassenhygiene ein, für das 1923 der erste Lehrstuhl für Fritz Lenz an der Münchener Universität 1923 eingerichtet wurde. Die Rassenbiologie behauptete vor dem Hintergrund nationalstaatlicher Abgrenzungen und kolonialer Expansionsbestrebungen, es gebe Menschenrassen, die sich nach ihren je spezifischen Eigenschaften in eine hierarchische Ordnung bringen ließen (an deren Spitze die Arier stünden).

In zahlreichen Vorträgen und Publikationen – wie auch seinem posthum veröffentlichten Buch „Racism“ – kämpfte Hirschfeld zeitlebens gegen die Verschmelzung beider Denkrichtungen an. Er verteidigte die Eugenik, verwarf aber jede Bewertung von Menschengruppen als Rassen sowie deren Reinhaltungsgedanken, indem er gerade die Vorteile der Vermischung hervorhob. In seinem unerschütterlichen Glauben an die wissenschaftliche Objektivität forderte er sogar ein internationales Gericht von Wissenschaftlern, das rassistische Stereotype und Zuschreibungen überprüfen sollte.

Die Debatte um Zwangssterilisationen

Wie stand Hirschfeld zu Zwangssterilisierungen? Ab 1920 wurden sowohl in den Gremien des Preußischen Landtags als auch des Reichstags die verschiedenen Möglichkeiten der effektiven Umsetzung eugenischer Ziele diskutiert, und zwar in Form von Heiratszeugnissen, Sterilisierungen oder indizierten Abtreibungen. Dazu wurden in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre reichsweit eugenische Eheberatungsstellen etabliert.

Als die Diskussion um die Strategien weit fortgeschritten war und ein von der preußischen Sozialdemokratie 1932 initiierter Entwurf zur freiwilligen Sterilisation aus eugenischer Indikation vorgelegt wurde, äußerte sich Hirschfeld dezidiert ablehnend zur Zwangssterilisation. Er schrieb: „Ich kann mich nicht dafür einsetzen, weil mir die Vererbungsgesetze trotz Mendel und Darwin noch nicht genügend sicher zu sein scheinen, um so weitreichende Eingriffe zu rechtfertigen.“

Damit bekannte sich Hirschfeld zu einer unter Ärzten selten geäußerten kritischen Position – übrigens wie sein sexualwissenschaftlicher Erzfeind, der Psychiater Albert Moll. Dieser hatte bereits 1925 in einem Vortrag Zwangssterilisationen scharf abgelehnt, und zwar aus Gründen des mangelnden Wissens über die Erblichkeit entsprechender psychiatrischer Diagnosen.

An dieser Position hielt Hirschfeld auch nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses durch die Nationalsozialisten 1933 fest, als er den aus heutiger Perspektive nicht unproblematischen Satz schrieb: „Man muß die Hitlerschen Experimente abwarten, ehe man sich darüber äußert.“ Denn dabei sei zu „befürchten, daß sie sich der Sterilisation bedienen werden, weniger um die ‚Rasse aufzuzüchten‘, als um die Feinde zu vernichten. Die Ereignisse der letzten Monate bieten Anhalt genug für solche Befürchtungen.“

Unser „retrospektive Blick“ auf die Geschichte ist ein Privileg, schreibt der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger. Es sollte kein „billiger Nutzen [...] aus der Droge des nachträglichen Besserwissens“ geschlagen werden, „der sich kein Historiker ganz [...] zu entziehen vermag“. Sachverhalte aus der Vergangenheit nach heutigen Werthaltungen zu beurteilen, verkennen deren historische Komplexität, weil sie vom Ende her gedacht sind.

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