
© Miguel Ferraz Araújo
Neue Utopien für Science Fiction: „Bei Aliens und Robotern schwingt oft Queerness mit“
Aiki Mira schreibt queere Science Fiction. Wie diese das Gefühl von Krise und Dystopie überwinden kann, erklärt Mira im Interview – und ob die eigenen Romane eher Hauskatzen oder Raubtiere sind.
Stand:
Aiki Mira, eines der bekanntesten Zitate aus der Science-Fiction stammt vom Autor William Gibson: „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt“ – manchmal hat heute man eher den Eindruck, dass vor allem die Dystopie schon da ist.
Ja, auf jeden Fall. Wir erleben im Moment ein Gefühl von Krise, von Polykrise und Dystopie. Gleichzeitig wird die Science-Fiction darauf reduziert, dass viele Stoffe, die das Genre groß gemacht haben, dystopisch sind oder postapokalyptische Szenarien beschreiben. Wie dystopisch wir uns Zukunft vorstellen und die ganz realen Krisen kommt gerade zusammen.
Braucht es da gerade mehr Utopien?
Das ist die Grundstimmung in der Science-Fiction. Es wird sehr viel über Utopien nachgedacht. Zum Beispiel bin ich an einem Projekt „Kongress der Utopien“ für Jugendliche beteiligt, in dem es um utopisches Schreiben geht, aus dem dann Theaterstücke entwickelt werden.
Darüber hinaus war utopisch zu denken jedoch schon immer Teil meines Schreibens, weil ich mich in der Queer*Science-Fiction verorte, wo ein queer-utopischer Moment bereits dazu gehört.
Worin liegt dieses Moment?
Queerness an sich ist schon utopisch und zukunftsgerichtet. Es gibt das tolle Buch „Cruising Utopia“ von José Esteban Muñoz, in dem er schreibt, Queerness ist immer auf die Zukunft gerichtet: Sich verwirklichen wollen, das Begehren nach lebbaren Körpern, nach lebbaren Zukünften. Gleichzeitig wird Science-Fiction aus der Gegenwart herausgeschrieben und ist damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Jetzt und den aktuellen Debatten. In Queer*Science Fiction werden daraus Zukünfte, die sich mit unseren Gegenwarten auseinandersetzen und zugleich einem queer*utopischen Begehren folgen.
Die Science-Fiction war deshalb immer schon politisch. Vom sowjetisch-ideologischen Projekt eines „neuen Menschen“, über „Star Wars“, das George Lucas mal als Analogie auf den Vietnamkrieg beschrieb, bis zur Systemfrage in Ursula K. Le Guins „Freie Geister“. Queerness spielte hingegen, wenn überhaupt, lange nur eine chiffrierte Rolle. Warum?
Im Star Trek-Universum gab es zum Beispiel Data, ein humanoider Androide, mit dem ich mich total gut identifizieren konnte, weil er für mich eine queer gelesene Person war. Aber es waren oft die Aliens und die Roboter, bei denen dann das Queere mitschwingt.
Diese Leerstelle, dass es in der Science Fiction scheinbar keine queeren Menschen gibt, sondern nur die chiffrierte Queerness hat mich zum Schreiben angetrieben: Ich will Science-Fiction lesen, in der auch Menschen queer sind, deren Queerness in der Zukunft aber vielleicht schon akzeptiert ist. Aus den damaligen Gegenwarten heraus waren das vielleicht noch keine starken Diskurse, aber heute gibt es diese Diskurse. Und es ist ganz klar, dass unsere Zukunftsentwürfe jetzt darauf auch Bezug nehmen, genauso wie postmigrantische Identitäten Teil unserer Zukünfte sind.
Welchen Raum gibt Ihnen die Science-Fiction für das queere Schreiben?
Science-Fiction bietet den Raum, sich lebbare Zukünfte vorzustellen, für Körper, die durch Sexismen, Rassismen oder Ableismen von der Gesellschaft unlebbar gemacht werden. Dieser Raum ist gestaltbar. In meinem neuen Roman „Denial of Service“ gibt es beispielsweise eine nonhumane Person, die sich als Bot-Mädchen bezeichnet, deren Körper aussieht wie ein Mädchen, sie macht aber ihr Stimmmodul tiefer und raucht die ganze Zeit eine E-Zigarette. Sie bringt damit eine Form der Widerspenstigkeit rein. Das ist für mich eine neue Form von Queerness.
Wir brauchen dabei auch andere Narrative, weg vom Heldenmythos der Science-Fiction. Mich interessieren vor allem kollektive Figuren, die zusammenkommen und in Beziehung zueinander treten aber auch mit ihrer Umwelt, den Städten, die ich entwerfe.
Wir brauchen auch andere Narrative, weg vom Heldenmythos der Science-Fiction.
Aiki Mira
In „Denial of Service“ geht es auch erstmal ziemlich dystopisch zu. Der Thriller spielt in einem komplett privatisierten, hyperkapitalistischen Frankfurt, in dem es keine Demokratie mehr gibt, dafür ein künstliches neuronales Netzwerk, mit dem alle Bewohner*innen über einen Hirn-Chip verbunden sind. Haben utopische Momente in diesem Setting dennoch Platz?
In dieser Stadt gibt es scheinbar nur wenig Raum für Widerstand, zugleich ist die Stadt wie ein Gewebe, das ganz unterschiedliche Personen und Perspektiven zusammenbringt, die eigentlich nicht zusammengehören, die miteinander in Beziehung treten und sich gemeinsam Raum zurückerobern. Menschen und Nicht-Menschen, die ein queer-utopisches Begehren haben.
Es gibt zum Beispiel Per, eine transmaskuline Person mit dem Pronomen sie. Per verwirklicht sich in einem Kiosk, in dem sie Essen aus fermentiertem Pilz-Myzel anbietet. So schafft sie einen Raum, der Menschen und Nicht-Menschen mit einem gedeckten Tisch zusammenbringt. Auch die, die nicht bezahlen können. In dieser Dystopie schafft sich Per dadurch einen utopischen Raum. Mich interessiert, aus der Gegenwart heraus darüber zu schreiben, welche Handlungsspielräume wir in diesen Dystopien haben.
Was inspiriert Ihre Zukunftsvorstellungen?
Das kann wirklich alles sein. Musik, Literatur, auch über das Genre hinaus, Filme, Gaming, aber auch wissenschaftliche Paper. Synthetische Biologie finde ich zum Beispiel mega spannend. Und dann passiert das Magische, dass daraus eine Vision entsteht, ein Ort, den ich als Erstes sehe – und über den ich dann mehr wissen will.
Welchen Ort haben Sie bei Ihrem aktuellen Roman als erstes gesehen?
Das war die Figur Tad – ein Teenager, der sich zwischen zwei Autos versteckt und an einer Drohne bastelt. Ich wusste, das ist Frankfurt. Und dann wollte ich wissen, wo lebt er in dieser Stadt, was macht er da, warum bastelt er an dieser Drohne herum.
Wie schafft man es, Technologien auch optimistisch zu denken? Die Hoffnungen auf eine digitale Befreiung des Menschen beispielsweise durch das Internet wurden ja durch Kommerzialisierung oder staatliche Repressionen oft recht schnell zunichtegemacht.
Ich komme aus der Medien-Nutzungsforschung und habe früher zu Gaming geforscht. Das war eine sehr optimistische Herangehensweise. So etwas wie Gaming wird dabei nicht als Konsum gesehen, sondern als aktive Aneignung, wodurch Menschen Bedeutung und manchmal sogar Gemeinschaft herstellen. Und diese können auch widerspenstig sein – beispielsweise Fan-Kulturen, die Texte nehmen und zu Fan-Fiction umschreiben und sogar Queerness reinschreiben.
Diese widerspenstigen Momente in der Technologieaneignung existieren, aber wir können sie nie vorhersehen. Das macht mich optimistisch. Klar, unser Raum wird enger, gerade auch weil sich Macht in wenigen kommerziellen Unternehmen konzentriert – aber es gibt immer auch dieses Dagegen-Pushen.
Im Jahr 2022 schrieben Sie, was Queer*Science-Fiction ist, sei noch nicht festgelegt. Sie könne ein zahmes Haustier, oder ein echtes Tier sein. Wo würde Sie denn Ihr Schreiben verorten? Hauskatze oder Raubtier?
Ich kann mein eigenes Schreiben schwer beurteilen. Das machen andere glücklicherweise. Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass es für mich etwas Fluides ist, etwas, was sich verändert. Nicht nur in den Inhalten, sondern auch in der Art, wie ich schreibe. Wenn ich es beschrieben würde, dann vielleicht als etwas mutierendes, monsterhaftes. Etwas monsterndes.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: