
© Dreamers Production
Spielfilm „Dreamers“ über lesbische Liebe in Abschiebehaft: „Hoffnung, die uns am Leben hält“
In ihrem Regiedebüt zeigt die Londoner Filmemacherin Joy Gharoro-Akpojotor Freundschaft und Liebe an einem Ort, der dafür nicht vorgesehen ist. Ein Gespräch über Widerstand und Menschlichkeit.
Stand:
Joy Gharoro-Akpojotor, in Ihrem Film „Dreamers“ ist während des ersten Kusses ein Buch auf dem Nachttisch der Protagonistin Isio zu sehen: „The Misfortune of an Orchid“ von Tahlia Morrison. Ich habe weder zur Autorin noch zum Titel etwas gefunden. Können Sie etwas über das Buch sagen?
Das Buch existiert nicht (lacht). Jermaine Thompson, unser Grafikdesigner, hat es erfunden. Der Titel bezieht sich auf die mythologische Erzählung des Orchis, der versuchte eine der Priesterinnen des Gottes Dionyssios zu vergewaltigen und deshalb von dem Gott getötet wurde. Dann aber wurde er in eine Orchidee verwandelt. Er wird also von etwas unglaublich Hässlichem zu etwas Schönem. Und so ähnlich ist es auch mit Isio, der Protagonistin des Films. Sie nimmt ihr Trauma und verwandelt es in etwas Schönes.
„Dreamers“ spielt in britischer Abschiebehaft. Isio, die als Lesbe in Nigeria verfolgt wurde, versucht Asyl zu bekommen und muss beweisen, dass sie lesbisch ist. Die Geschichte des Films ist in Teilen auch Ihre Geschichte, oder?
Ja, der Film basiert grob auf meinen eigenen Erfahrungen in diesem System. Ich war zwar nie in Abschiebehaft, aber ich habe Asyl beantragt und musste nachweisen, dass ich lesbisch bin. In dem Film gibt es eine Szene, in der Isio mit ihrem Sachbearbeiter spricht. Er fragt sie, ob sie schon einmal mit einem Mann geschlafen habe. Sie bejaht, weil sie nicht lügen will. Aber der Sex war nicht einvernehmlich.
Ein Großteil der Szene ist wörtlich meiner eigenen Erfahrung entnommen. Ich wollte, dass die Leute verstehen, wie lächerlich das System ist: Wie soll man denn beweisen, dass man lesbisch ist? Ich wollte zeigen, wie unmenschlich das ist.
Der Film erzählt nicht nur das entmenschlichende System von Migrationsregimen. Er erzählt auch von Freundinnenschaft und von der Liebe zwischen Isio und Farah, mit der sie in Abschiebehaft ein Zimmer teilt.
Indem ich diese Liebe zeige, indem ich zeige, wie Isio neue Freundinnen findet, und schließlich, wie sie ihre Stimme findet, wollte ich an die Menschlichkeit erinnern – so wie auch ich meine Stimme gefunden habe und an einen Punkt gelangt bin, an dem man versteht: Ich habe eine Wahl, ich habe Möglichkeiten. Ich muss mich nur daran erinnern und meine Stimme einsetzen.
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Sind das für Sie auch Motive des Widerstands?
Ja, ich denke, Liebe an einem solchen Ort zu finden, ist eine enorme Form des Widerstands. Es geht darum, die Dinge zu tun, von denen man gesagt bekommt, dass man sie nicht tun darf. Isio fragt sich, ob sie Liebe überhaupt an einem Ort erleben sollte, an dem alles so laut und so hart ist.
Letztendlich lernt sie, dass sie lieben kann, dass sie lieben sollte und dass sie Liebe verdient – unabhängig davon, wo sie ist. Und für mich ist das etwas unglaublich Schönes. Die Idee, dass Liebe selbst an den dunkelsten Orten existieren kann. Es erinnert uns daran, niemals aufzugeben und immer Hoffnung zu bewahren. Diese Art von Hoffnung, die uns am Leben hält, ist unglaublich wichtig.
Wie war es für Sie einen Film über eine so persönliche Erfahrung aus Ihrer Biografie, zu drehen, die gleichzeitig viele Geflüchtete teilen?
Die erste Version des Films schrieb ich schon 2016. Aber ich hatte Schwierigkeiten Isios Charakter wirklich zu finden, weil ich noch so tief in meiner eigenen Erfahrung steckte. Ich konnte Isio deshalb zum Beispiel nicht scheitern lassen. Erst als ich während der Pandemie eine Therapie machte, schaffte ich es Distanz aufzubauen und zu lernen, dass ich nicht Isio bin.
Ich habe mit einigen Menschen gesprochen, die selbst in Abschiebehaft saßen, um ihre Erfahrungen und Geschichten in Isio einfließen zu lassen. Ich denke, das erklärt, warum so viele Migrant*innen den Film sehen und sich darin wiederfinden. Ich habe eine gewisse Universalität in den Erfahrungen gefunden, die Menschen gemacht haben – und trotzdem bleibt Isio eine individuelle Figur mit ihrer ganz eigenen Reise.
Die Doppeldeutigkeit, das Finden von Menschlichkeit in einem entmenschlichenden System, über die wir eingangs sprachen, steckt auch im Titel Ihres Films. Isio hat einerseits fortwährend Albträume, andererseits träumen die Frauen von einem Leben in Freiheit. Die gegenwärtige Abschottungspolitik wirkt oft auch albtraumhaft. Was würden Sie dem entgegensetzen?
Menschen nutzen derzeit vor allem Angst, um uns in zwei Lager zu teilen. Man liest die Zeitung und bekommt gesagt, diese oder jene Menschen wollten einem etwas wegnehmen. Man ist wütend auf Menschen, denen man im Leben noch nie begegnet ist. Aber man hält nie inne und fragt sich: Stimmt das eigentlich?
Mein Traum wäre, dass sich diese beiden Seiten zum ersten Mal begegnen und miteinander sprechen. Dass Menschen öfter neugierig aufeinander zugehen – und erkennen, dass es nichts gibt, wovor man Angst haben müsste; dass wir stattdessen offen und liebevoll sein sollten. Stellen Sie sich vor, wie schön das Leben und die Gemeinschaft wären, die wir hätten, wenn wir mehr davon zuließen.
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