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Noah Tinwa (Mitte) spielt Linda, die ihre Identität nur im Geheimen leben kann.

© Amazon Prime

Trans Beraterin für die Serie „Luden“: „Oberste Priorität hatte für mich die Frage, ob etwas transphob ist“

In der Amazon-Prime-Serie „Luden“ über das Hamburger Rotlicht-Milieu der Achtziger gibt es einen Erzählstrang mit einer trans Figur. Diesen realistisch zu gestalten half die trans Beraterin Ilonka Petruschka.

Von Patrick Heidmann

Stand:

Ilonka Petruschka, Sie sind eigentlich Schauspielerin, doch bei der neuen Serie „Luden“ wurden Sie als trans Consultant engagiert. Wie kamen Sie zu diesem Job?
Anfangs wurde ich, noch lange vor dem Dreh, zunächst gefragt, ob ich ein paar Drehbücher lesen könne, speziell aus der trans Perspektive. Die haben mich total gecatcht, ich habe Rotz und Wasser geheult. Ich sollte Feedback geben und habe ganz akribisch alles aufgeschrieben, was mir aufgefallen ist, jede Unstimmigkeit und natürlich vor allem, wie ich die trans Figur in der Serie sehe.

Mein Meeting mit dem Autor*innen-Team war ein verrücktes Brainstorming, weil Vivien Hoppe, Rafael Parente und Peter Kocyla unglaublich offen für meinen Input waren. Ich dachte danach, dass es das war. Doch dann fragten sie mich, ob ich nicht den ganzen Entstehungsprozess der Serie als trans Consultant begleiten könnte, vom Writers‘ Room über die Dreharbeiten bis zur Postproduktion.

Wenn Sie die Drehbücher auf Anhieb mochten, wie viel Hilfestellung und Beratung Ihrerseits war denn dann überhaupt nötig?
Das Team, mit dem ich es zu tun hatte, besteht aus echten Profis, die wirklich von Anfang an gute Arbeit gemacht haben. Schwierig wurde es nur an den Punkten, wo es um die ganz kleinen, feinen Erzählweisen ging. Da guckte ich einfach: was sind die Dinge, an denen ich mich stoße. Aber natürlich gibt es beim trans Consulting nicht die bloß eine richtige Meinung und den einen richtigen Weg. Ich bin ja auch nicht völlig naiv, sondern weiß, dass ich meine Utopie von trans Geschichten nicht so schnell auf dem deutschen Markt sehen werde. Aber es bewegt sich ganz viel.

Was war denn etwas, woran Sie sich im Drehbuch gestoßen haben?
Es gab zum Beispiel eine Szene, die nun am Ende in der Serie auch gar nicht zu sehen ist, in der Bernd/Linda von besoffenen Touristen angegangen wird, bevor ausgerechnet eine Gruppe Rocker die Situation deeskaliert. Sehr schön erzählt eigentlich, nur dass Bernd/Linda da in ihren hohen Stöckelschuhen steht und alle Männer überragt. Das störte mich, denn es war mir zu exotisch und mit allzu typischen Bildern gezeichnet. Das hat die Autor*innen erst einmal irritiert, denn sie fanden, trans Frauen seien doch oft groß. Aber sie sind es eben nicht nur, und mir war es wichtig, so etwas bodenständiger und nicht so nah am Klischee zu erzählen.

Sie betonen, wie gewünscht Ihr Input war und dass es dafür viel Offenheit gab. Trotzdem brauchte es doch sicher eine Menge Selbstbewusstsein, sich Gehör zu verschaffen, oder?
Mir fiel das eigentlich auf Anhieb leicht, weil ich gerade im Writers‘ Room sofort das Gefühl hatte, sehr ernst genommen zu werden. Schwieriger wurde es dann später am Set, wo in diesem ganzen Apparat jeder sein eigenes Ziel vor Augen hat, von Kamera und Licht über die Regie und Produktion bis zu den Schauspielenden.

Da war immer Stress, und ich brauchte am Anfang schon ein bisschen, bis ich wirklich sagen konnte: Moment, zwei Minuten fürs trans Consulting bitte, denn ich habe da eine Anmerkung und halte mal kurz den Betrieb auf. Wobei ich mir natürlich dann auch wirklich jedes Mal überlegt habe: ist mein Einwand wichtig genug, um mal kurz den Dreh zu sprengen? Oberste Priorität hatte für mich immer die Frage: ist etwas transphob oder nicht? Aber davon abgesehen ging es ja auch oft um das Finden von Kompromissen.

Viele der Figuren in „Luden“ basieren auf realen Vorbildern. Gilt das auch für Bernd/Linda?
Ich habe ein bisschen recherchiert, und tatsächlich gab es damals eine trans Frau auf dem Kiez, also einen Zuhälter, der dann die Transition gemacht hat. Aber die Person hat mit der Figur Bernd/Linda nichts zu tun und war deswegen für meine Arbeit nicht relevant. Ich habe mich da eher an meine eigenen Erfahrungen angelehnt.

Ich bin ein Stück weit auch ein Kind der 80er Jahre und habe recht früh meine Transition gemacht, habe viele Travestie-Shows gemacht, die dank Mary & Gordy populär waren, und kenne diese ganzen Schuppen und Spelunken. Daher bin ich vertraut mit dem Umgangston, und daher stammt auch die Idee mit den Hormonen, die da vertickt wurden. Das war damals nämlich tatsächlich so, und ich war wirklich froh, auch eigene Erlebnisse als Input mit in diese Geschichte einfließen lassen zu dürfen.

Noah Tinwa (links) mit Aaron Hilmer (Klaus) und Henning Flüsloh (Andy).

© Amazon Prime

Apropos Input: von dem hat ja sicherlich auch Noah Tinwa profitiert, der die Rolle verkörpert, obwohl er selbst ja ein cis Mann ist, oder?
Es gab natürlich eine große Diskussion darum, wer diese Figur spielt. Eigentlich hat Amazon Prime in den Statuten klar festgelegt, dass trans nur von trans gespielt werden darf. Aber ich habe von vornherein gesagt, dass das in diesem Fall leider nicht funktioniert, so gerne ich das auch hätte. Wir können nicht von einer trans Frau erwarten, die womöglich mitten in oder kurz nach ihrer Transition ist, dass sie 90 Prozent der Zeit als Mann spielt. Das würde nicht funktionieren, ganz zu schweigen von der Gefahr, sie zu re-traumatisieren.

Also fiel der Entschluss, die Rolle mit einem cis Schauspieler und mit Noah zu besetzen. Er hat ein Coaching bekommen, aber wir hatten auch schnell Kontakt und haben am Set dann eng zusammengearbeitet. Er war wirklich offen für alle Themen rund um die Figur, aufgeschlossen, neugierig und vor allem sehr respektvoll. Durch den Kontakt zu mir und auch Thea Ehre, der trans Schauspielerin, die mit ihm vor der Kamera stand, hat er gelernt, was für ein Schmerz trans bedeutet, und was es für die trans Community heißt, damit sensibel umzugehen. Er ist in der Rolle immer wieder auch über seine Grenzen hinausgegangen, und ich finde, er hat das wirklich erstaunlich gut gemacht.

Ich finde es gut, dass gerade mit dem Brecheisen versucht wird, eine Tür zu öffnen, die von den alten weißen cis Männern geschlossen gehalten wurde.

Ilonka Petruschka

Stimmen Sie denn insgesamt den Amazon-Statuten zu? Sollten trans Figuren nur noch von trans Schauspieler*innen gespielt werden?
Natürlich ist das im Grunde richtig, und ich als trans Schauspielerin profitiere davon, dass endlich trans Rollen mit trans Schauspielenden besetzt werden. Trotzdem ist es eben auch sinnvoll, von Fall zu Fall zu entscheiden, denn unsere Situation zeigt ja, dass es eben nicht immer geht. Ich hoffe vor allem, dass es irgendwann gar nicht mehr nötig sein wird, sich darüber zu unterhalten, und alle Schauspielenden alles spielen können. Aber das muss dann auch für trans Schauspielende gelten, damit ich auch mal die Mutter Beimer der Nation spielen kann.

Für den Moment finde ich es gut, dass jetzt gerade mit dem Brecheisen versucht wird, eine Tür zu öffnen, die von den alten weißen cis Männern sehr geschlossen gehalten wurde. Noch ist diese Bewegung nötig, aber tatsächlich öffnet sich diese Tür gerade, und ich hoffe, dass wir das irgendwann nicht mehr brauchen und einfach in einem guten Flow miteinander sind.

Die eben schon erwähnte Thea Ehre wurde gerade auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Hat die hiesige Branche also wirklich langsam verstanden, worauf es jetzt ankommt?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke schon, dass nach wie vor eine Menge Nachhilfe nötig und die Reise noch lange nicht zu Ende ist. Es ist unbestritten, dass sich viel tut und es bei dem Thema mehr Offenheit gibt. Aber man muss auch aufpassen, denn wir haben viele heterosexuelle cis Autoren, die diese Themen jetzt beackern, weil es gerade im Trend liegt.

Die glauben, damit Quote machen zu können, beherrschen aber mitnichten, worauf es dabei wirklich ankommt – und kommen mit jedem Klischee daher. Prinzipiell ist es natürlich gut, dass trans sichtbar gemacht wird, aber eben nicht um jeden Preis. Das ist nach wie vor ein echter Balanceakt, und deswegen reicht das, was sich gerade tut, noch lange nicht.

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