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Eine Demo für trans Rechte in Berlin (Archivbild).

© Tilmann Warnecke

Wie wäre es mit Transgendergerechtigkeit?: Trans und inter ist kein Trend, sondern eine Realität

Selbst queere Menschen ertragen Vielfalt nicht immer. Gruppenegoismen richten sich oft gegen die trans und inter Community. Das muss sich ändern - ein Plädoyer.

TransInterQueer (TrIQ) ist ein Berliner Verein, der sich für die Belange trans- und intergeschlechtlicher Menschen einsetzen. Der Verein hat als Gruppe ein Manifest verfasst, um darauf aufmerksam zu machen, dass auch in der queeren Community oft Gruppendenken vorherrscht - das sich dann gegen Trans* und Inter* wendet. Wir veröffentlichen im Folgenden den Text von TrIQ als Gastbeitrag.

Wir sprechen gerne von der LSBTIQ*-Community. In Wahrheit sind es viele Communitys, was wir beispielsweise dann deutlich spüren, wenn es um Fragen von Assimilierung versus Subversion geht und sich Schwerpunkte und Ziele der einzelnen Communitys im Weg zu stehen scheinen.

Spürbar wird es ebenso, wenn mal eben Gruppeninteressen zu Gruppenegoismen mutieren. Oder wenn sich die Cis-Grenze, die sonst eher unsichtbar quer durch die Communitys verläuft, mit einem Mal und dann nicht selten mit großer Drohgebärde in den Vordergrund schiebt.

Mit „cis“ werden jene Menschen bezeichnet, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Das ist bei der Mehrheit der Menschen der Fall, nur eben nicht bei trans*, inter* und nicht-binären Personen.

Die Cis-Grenze meldet sich immer

Wo es um Fragen von Geschlecht und Identität geht, meldet sich die Cis-Grenze so oder so, ob wir es wollen oder nicht. Denn die Verteidigungshaltung scheint ihr so eingepflanzt zu sein wie die von ihr produzierte binäre Körperfixiertheit. Zu nennen wären hier all jene, für die sich die Abkürzung „Terf“ (trans exclusionary radical feminist) mittlerweile eingebürgert hat. Am Ende summieren sich misogyne Haltungen und Verhaltensweisen zu stets wiederkehrenden Alltagserfahrungen, die wir in Bars, Clubs, Saunen, Dating-Plattformen oder wo auch immer machen.

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Dann kann es allerdings auch geschehen, wie uns der Community-Alltag gelegentlich lehrt, dass trans* und inter*geschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen gar noch als Bedrohung stilisiert, zum Feindbild eines biologistisch argumentierenden schwul-lesbischen Fundamentalismus erklärt werden, als ob es trans*, inter* und nicht-binären Aktivismen um die Abschaffung anatomischer Fakten ginge.

Zweifel an unserer menschlichen "Echtheit"

Ebenso oft, ob explizit oder unausgesprochen, knüpft sich daran der Zweifel an unserer menschlichen „Echtheit“. Der amerikanische Philosoph Stanley Cavell meinte einmal, Mensch zu sein bedeute, als Mensch gesehen zu werden. Vielleicht klingt das zu banal, weil allzu selbstverständlich. Aber es ist die fehlende Selbstverständlichkeit, mit der wir oft konfrontiert sind. Weshalb wir jenen Fundamentalist*innen gerne empfehlen möchten: Überprüft erst einmal euer Menschenbild, um das Maß an Menschenverachtung darin zu erkennen

Ein besonderes Reizwort stellt in diesem Zusammenhang der Begriff der Genderfluidität dar. Gut, Identitäten mögen für sich nicht fluide sein, wir holen sie nicht morgens aus dem Kleiderschrank wie unsere Kleidung. Aber mit Blick auf Selbstwahrnehmung und Lebensweisen sind sie es, denn nichts anderes meint unser aller Lieblingswort Vielfalt.

Worüber sprechen wir bei Genderfragen?

Gleichwohl ist Gender nicht mit Gender Expression (Geschlechtsausdruck) zu verwechseln. Wir gehen da gern alle unsere eigenen Wege.

Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir Genderfragen behandeln? Zunächst einmal fällt eine gewisse, stets virulente Begriffsverwirrung auf, wie gerne Geschlecht und Identität durcheinandergebracht, verwechselt werden und erst recht, wenn dann noch Rolle und Begehren hinzukommen.

Um Trans*, Inter* und Nicht-binär (TIN*) begreifen zu können, bedarf es der Entkopplung von Körpergeschlecht und Identität.
Um Trans*, Inter* und Nicht-binär (TIN*) begreifen zu können, bedarf es der Entkopplung von Körpergeschlecht und Identität.

© Getty Images/iStockphoto

Das wundert uns in einer cis-dominierten Welt nicht, denn sie kennt nur einen kausalen Zusammenhang von Körpergeschlecht und Identität und neigt zudem zu Geschlechterstereotypen. Für sie bleibt die Entkopplung einer ideologisierten Bindung von Körpergeschlecht und Identität eine scheinbar unüberwindliche Hürde. Um aber Trans*, Inter* und Nicht-binär (TIN*) begreifen zu können, bedarf es dieser Entkopplung. Mit Binarität und Heteronorm ist da nichts zu verstehen und zu erklären, denn sie verwechseln stets die Kultur mit Natur. Was heißt das?

Trans* und Inter* ist kein Systemfehler

Das heißt beispielsweise: Zweigeschlechtlichkeit „funktioniert“ nur, wenn die Wirklichkeit von Trans*, Inter* und Nicht-binär ausgeklammert bleibt, wenn diese weiter als pathologische Fälle behandelt werden.

Aber TIN* ist kein Systemfehler. Das System ist falsch, weil es auf ein patriarchales, auf Reproduktion getrimmtes Modell aufbaut, was – und das steht ja wohl außer Frage – längst hinfällig ist. Hier passt das schöne Wort des Schriftstellers Jayrôme Robinet: Wir wollen kein Stück vom Kuchen, nein, wir wollen ein neues Rezept. Darum geht es. In unserer binären, heteronormativen Kultur, die aus der Biologie einen ideologischen Biologismus hat entstehen lassen, brauchen wir eine Art kopernikanische Wende in Genderfragen. Ganz simpel: Identität erklärt sich nicht aus dem Körpergeschlecht so wenig wie die Sonne um die Erde kreist.

Natur liebt Vielfalt

Und wo es dauernd um die Biologie geht, wäre da nicht – und dies ebenfalls als Empfehlung an die Fundamentalist*innen – ein etwas genauerer, weniger selektiver Blick auf sie notwendig? Denn wie heißt ein biologischer Grundsatz? Ganz richtig, Natur liebt Vielfalt. Der Philosoph Kwame Anthony Appiah steht mit Sicherheit nicht in Verdacht, ein TIN*-Aktivist zu sein. In seinem im letzten Jahr erschienenen Buch „Identitäten“ räumt er unter anderem auch mit dem XY- und XX-Geschlechterideal auf: „Wie sich gezeigt hat, sind diese Kategorien jedoch nur zwei der vielen regelmäßig anzutreffenden Kombinationen aus Geschlechtschromosomen und Geschlechtsmorphologie.“

Soviel zur Vielfalt des menschlichen Körpers und geschlechtlicher Möglichkeiten. Dazu käme dann noch das weite Feld der Identität. Klar, das ist alles kompliziert, aber dafür hat uns die Schöpfung mit reichlich Gehirn ausgestattet, um unsere Umwelt zu begreifen.

Bei manchen reicht es scheinbar nur zu dumpfer Gesinnung – und manchmal wird sie zu gewaltbereitem Hass. Jene, die überall „Transgenderideologie“ wittern, sich bedroht fühlen von vermeintlicher Geschlechterverwirrung, die beim Stichwort Trans* von einer Schwulen- und Lesben-Verhinderungs-Ideologie schwadronieren, schaffen jedenfalls ein aggressives Klima.

Trans joy is real!

Wären diese Angriffe, Ausgrenzungen und Verdrehungen nicht so ernst, könnte man fast darüber lachen. Etwas Komisches haftet diesen fiktiven Bedrohungsszenarien jedenfalls an. Denn keine nicht-binäre trans* Person wird einer cis-geschlechtlichen, sich weiblich fühlenden Lesbe ihre Geschlechtsidentität oder Sexualität absprechen wollen. Kein cis-geschlechtlicher Schwuler muss um den Besuch in der Männersauna und ausreichend mann-männlicher Kontakte oder Bilder des männlichen Genitals bei Gayromeo (heute PlanetRomeo) fürchten, nur weil es TIN* Menschen gibt.

Wir sind schon immer für die Selbstbestimmung aller eingetreten. Nur heißt das eben auch Selbstbestimmtheit für alle – und Identität ist nicht verhandelbar. TIN* ist kein Trend und kein Hype, sondern eine Realität. Diese Realität mag, von außen betrachtet, erst jüngeren Datums sein, aber nur, weil es die Frage der Lebbarkeit betrifft. Das wiederum sollten wir auch aus der Geschichte der Lesben-, Schwulen- und aller Nicht-Heteronorm-Bewegungen gelernt haben. Vielleicht begreifen wir dann auch noch dieses altmodische Wort Solidarität. Und noch eine Botschaft zum Schluss, nämlich das wunderschöne Graffiti: trans joy is real!

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