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Hier wirkte Pfarrer Klein: Die Immanuelkirche in Prenzlauer Berg.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Viel zu lange beschwiegen“: Erstmals homosexueller Pfarrer nach NS-Verfolgung rehabilitiert

Die Evangelische Kirche in Berlin hat erklärt, Pfarrer Friedrich Klein 1943 zu Unrecht entlassen zu haben. In einem Gottesdienst gestand sie ihre Schuld ein.

Als bundesweit erste Kirche hat die evangelische Landeskirche in Berlin einen NS-verfolgten homosexuellen Pfarrer öffentlich rehabilitiert. In einem Gedenkgottesdienst in der Immanuelkirche in Prenzlauer Berg verlas am Dienstag der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein, eine Erklärung der Kirchenleitung, mit der das öffentliche Ansehen von Pfarrer Friedrich Heinrich Klein wiederhergestellt wurde.

Der 1905 in Homburg (Saar) geborene Klein war in der Nazizeit Anfang 1943 als Pfarrer der Berliner Immanuel-Gemeinde wegen Homosexualität von dem damaligen kirchlichen Konsistorium der Mark Brandenburg entlassen worden. Die Kirchenleitung teilte ihm mit, er habe damit „den Anspruch auf sämtliche Dienstbezüge und auf Versorgung, sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung zu führen, und die Rechte des geistlichen Standes verloren“.

Zuvor war der Pfarrer 1942 vom NS-Reichskriegsgericht wegen „Verführung eines 19 Jahre alten Mannes zu widernatürlicher Unzucht“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zunächst saß er im sächsischen Torgau in Haft. Später wurde er auf Frontbewährung geschickt und gilt seit August 1944 als vermisst.

Auf das Schicksal Kleins war der heutige Gemeindepfarrer Mark Pockrandt im Jahr 2018 bei der Sichtung von alten Akten gestoßen. Der Gemeindekirchenrat (GKR) der Immanuel-Gemeinde im Prenzlauer Berg fordert daraufhin vom zuständigen Kirchenkreis Stadtmitte und der Landeskirche „die Aufarbeitung der Causa Friedrich Klein und die Rehabilitierung des unrechtmäßig Verurteilten“. Damit wolle die Gemeindeleitung erreichen, dass die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) alle wegen ihrer sexuellen Orientierung aus dem Kirchdienst entfernten Mitarbeitenden rehabilitiert, hieß es.

Am 1. September 1935 wurde das Unrecht zum Gesetz

Der Zeitpunkt der nun öffentlichen Rehabilitierung Kleins am 1. September ist kein zufällig gewähltes Datum. Vor 85 Jahren, am 1. September 1935, verschärften die Nazis den Paragrafen 175 Reichsstrafgesetzbuch. Er stellte seit 1872 sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Abgeschafft wurde er in der Bundesrepublik erst 1994. Zudem war am 1. September 1939 der Beginn des Zweiten Weltkrieges.

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Mit der öffentlichen Erklärung der Kirchenleitung zu Klein sei nicht einfach „irgendetwas wieder gut“, betonte Bischof Stäblein in seiner Predigt. Die Rehabilitierung komme zu spät. „Ich sage es ganz vorsichtig: es ist ein Schritt auf dem Weg zur Umkehr“, sagte der Bischof. Auch nach 1945 habe sich die Diskriminierung fortgesetzt, „in Worten und Taten, öffentlich und hinter vorgehaltener Hand“. „Viel zu lange haben wir uns selbst beruhigt, haben das alles so hingenommen, haben es verdrängt, haben das schreiende Unrecht mit verantwortet, mit beschwiegen“, sagte Stäblein.

Die Landeskirche werde die Fälle von Diskriminierung nicht nur unter den Nazis aufarbeiten, kündigte der Bischof an. Geplant ist unter anderem ein öffentliches Bußwort oder eine theologische Erklärung im Sommer 2021. Zudem soll für Betroffene in der Landeskirche eine Anlaufstelle geschaffen werden. (epd)

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