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Hier reift was Edles. Wer den Winzern beim Arbeiten zuschauen will, muss nicht mit dem Auto hinfahren. In der Region werden auch Fahrradtouren angeboten.

© Jeremy Hoare/p-a

Auf Weintour in Argentinien: Nippen kostet nichts

Nirgends gedeiht die Malbec-Traube so gut wie in der argentinischen Region Mendoza. Wer Wein liebt, fährt hin.

Es ist 10.52 Uhr, und endlich gibt es das erste Glas Wein. Endlich, denn seit über einer Stunde macht uns Laura Mendoza, die Mitbesitzerin des kleinen Weinguts St. Diego in Lunlunta, den Mund wässrig. Die junge Frau zeigt uns die tiefroten Malbec-Trauben an den Reben, während wir den Hügel hinaufgehen. Sie erzählt, wann die Früchte erntereif sind („weiche Haut, nein, harte Haut, ja.“), und drückt die Trauben so geschickt aus, dass kein Spritzer auf ihrem hellgrünen Schal landet, dafür aber der Saft blutrot auf die Erde tropft. Kurz: Die Sinne sind wie ein Flitzebogen gespannt, als die Zwölfergruppe endlich unter dem schattigen Olivenbaum sitzt, und Laura mit den Worten „Jeder Tag ist ein besonderer Tag“ eine Flasche Rosé-Sekt öffnet.

Während wir trinken, redet Laura in perfektem Englisch weiter: von den 320 Sonnentagen hier in der argentinischen Mendoza-Region, die für die Malbec-Traube so wichtig sind. Sie lässt sich auch durch das Auftauchen eines erdfarbenen Fuchses nicht aus dem Konzept bringen. Ganz im Gegenteil, grinsend erklärt die blonde Frau, dass die Familie die Tiere mit rohem Fleisch füttert, wegen der Füchse die Vögel fernbleiben und so die Trauben ungestört reifen können.

Für Laura könnte der Rosé-Sekt auch als Champagner durchgehen. Aber natürlich darf sie das nicht aufs Etikett schreiben. Das lassen die Franzosen nicht zu. Champagner darf nur aus der Region der Champagne kommen. So heißt der verkostete Schaumwein „Elea“, benannt nach der Nichte von Laura. Elea ist die Prinzessin der Familie, sechs Jahre alt und Besitzerin eines selbstgebauten Holzhäuschen am anderen Ende des Rasens. Weil sie so gerne von den Malbec-Trauben genascht hat, aus denen der Sekt gekeltert ist, wählte Lauras Vater die Enkelin als Namenspatronin aus.

Menschen aus aller Welt interessieren sich inzwischen für Malbec-Trauben und die Region Mendoza, in der sie so gut gedeihen. Der Schweizer Künstler und Musiker Dieter Meier, in den 80er Jahren mit der Band Yello berühmt geworden, besitzt in Agrelo Alto ein eigenes Gut und verkauft die Weine unter dem Label „Puro“. Hier sei das beinahe durchgehend trockene Klima eben gut für die „zickige Malbec-Traube“, die bei feuchter Kälte schnell eingehe, meint er.

Rund um die Stadt Mendoza wird beinahe jeder Quadratmeter Land für den Weinanbau genutzt. Bei schönem Wetter – und das trifft ja fast auf jeden Tag zu – verschwinden die Estancias, Bäume und Büsche vor dem mächtigen Eindruck der nahen Anden. Sieben Busstunden entfernt hinter den Bergen liegt Santiago de Chile, mindestens 13 Stunden durch die Pampa brauchen die Busse in die Hauptstadt Buenos Aires. Knapp eine Million Menschen lebt in der westlichen Provinz Mendoza, etwas mehr als 100 000 wohnen in der gleichnamigen Provinzhauptstadt.

Mit den Weinexporten des Landes steigt die Zahl der Reisenden, die sehen wollen, wo die teils prämierten Tropfen entstehen. Seit ein paar Jahren zählt die Stadt Mendoza neben Mainz und Bordeaux zu den neun „Great Wine Capitals of the World“. Immer Ende Februar kommen Tausende Touristen zum Weinfestival „Vendimia“, bei dem eine bunte Parade durch die Straßen zieht. Jede Gemeinde sponsert einen gigantischen Truck, auf dem die Weinkönigin des jeweiligen Ortes thront, winkt und lächelt. Am Ende der Feierlichkeiten wird die Majestät aller Königinnen gewählt – eine ernste Angelegenheit in und um Mendoza. Läden, Banken und Autohäuser bekunden mit Bannern ihre Sympathien.

Ansonsten gibt die Stadt wenig her. Obwohl bereits im 16. Jahrhundert von Spaniern gegründet, erinnert kaum etwas an die Kolonialzeit. Mendoza wurde 1861 von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht. Mehr als 12 000 Menschen sollen damals gestorben die „New York Times“ schrieb über die Überlebenden: „Diejenigen, die noch arbeiten können, finden niemanden, der sie einstellen kann, und die größtmögliche Armut liegt nun vor ihnen.“

Die Stadt lebt von den Parks, der spektakulären Aussicht auf die Anden und dem Tourismus. Manche Anbieter haben Klettertouren im Programm, in einigen Hochtälern kann man Wildwasserkanu fahren, aber das meiste verdient die Reisebranche doch an den Weinfans. Tagestouren in großen Bussen werden organisiert, aber auch Fahrradtrips, individuell oder in kleinen Gruppen. Und natürlich soll überall verkostet werden, was in den Eichenfässern so reift.

5000 Flaschen Wein pro Jahr

Mit Sorgfalt für die Reben. Helfer auf dem Gut Joaquin Villanueva.
Mit Sorgfalt für die Reben. Helfer auf dem Gut Joaquin Villanueva.

© D.Garcia/AFP

Die Option einer Fahrradtour klingt auf dem Papier sympathisch, allein drei Umstände erschweren das fröhliche Strampeln: die Temperaturen über 30 Grad, die weit verstreute Lage der Weingüter – und vor allem das völlige Desinteresse argentinischer Brummifahrer, gegenüber den kleinen Wesen am Straßenrand Rücksicht walten zu lassen. Über Mendozas Straßen läuft der gesamte Güterverkehr Richtung Chile, und das tut er verdammt schnell.

Da erscheint eine kleine organisierte Tour wie die von Malbec Symphony schon sicherer. In einem Mini-Van fahren wir in die Region um den Ort Maipu, besuchen drei Winzer und erfahren nebenbei Interessantes über die Geschichte des Landstrichs. Dass die katholische Kirche im 17. Jahrhundert den Weinanbau in die Wüstengegend gebracht hat – um Messwein vorrätig zu haben. Dass italienische Einwanderer Ende des 19. Jahrhunderts das Weintrinken einführten und damit die massenhafte Kultivierung der Wüste einsetzte – dank eines ausgeklügelten Kanalsystems, das Wasser aus den Anden in die Stadt und die Weingüter umleitet.

Das Wasser fließt in Gräben entlang der Straßen, Schieber regeln die Zufuhr zu den Gehöften. So wie das von Familie Mendoza, wo Laura die nächste Flasche öffnet. Sie riecht an dem Rotwein, 80 Prozent Malbec, 20 Prozent Cabernet Sauvignon, und schwärmt: „Zimt! Das erinnert mich an die Apfelkuchen meiner Großmutter.“

Der Blick schweift zur kleinen Kirche am Eingang des Dorfes. Keine sternwürdige Sehenswürdigkeit, aber vor der Kulisse des sattgrünen Rasens und des azurblauen Himmels machen die lehmfarbenen zwei Kirchtürme einen stärkeren Eindruck als der Kölner Dom an einem Regentag. Am Horizont erhebt sich 6570 Meter hoch der schneebedeckte Gipfel des Tupungato. Neben der Winzeroase weisen schroffe Sand- und Steinhügel auf die ursprüngliche Landschaft hin, bevor die Siedler Wein, Olivenbäume und Tausende Pappeln pflanzten.

5000 Flaschen Wein pro Jahr produziert die Domaine St. Diego, darüber lachen sie auf dem Weingut Trapiche höchstens. Denn Trapiche bringt es auf 29 Millionen Liter im selben Zeitraum. Das Gut ist der Platzhirsch unter den Herstellern – und das völlige Gegenteil vom kleinen Familienbetrieb Mendoza, in dem noch der Vater mit Schaufel und kurzen Hosen an den Besuchern vorbeimarschiert.

Bei Trapiche, 20 Minuten Autofahrt entfernt, gibt es Empfangsdamen in Business-Kleidung, die jeden Gast in einem Besucherzentrum begrüßen. Man zeigt einen Imagefilm über die restaurierte Industrieanlage, Hochglanzprospekte über die ausgezeichneten Weine werden verteilt und natürlich wird zur Weinprobe gebeten: Diesmal probieren wir einen Iscay 2008, ein Malbec-Cabernet Franc. Ein, zwei Schluck steigen sofort in den Kopf, kein Wunder bei einem Alkoholgehalt von 14,5 Prozent.

Wer keinen Nachschlag bittet, verliert sein Ansehen

Seit 1912 werden hier Rot- und Weißweine produziert. Die Geschichte merkt man dem Backsteinbau an jeder Ecke an. Auf einem gusseisernen Gullideckel steht „Arthur Koppel, Berlin“. Die Firma Koppel belieferte vor dem Ersten Weltkrieg viele Betriebe der Neuen Welt, das Grab des Gründers befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.

Die stillgelegten Gleise am anderen Ende des Weinguts erzählen von der Zeit, als alle Weinfässer in die Hauptstadt Buenos Aires verschickt wurden. Nur dort gab es Flaschen zum Abfüllen. Erst vor etwa 30 Jahren hörte dieser Unsinn auf. Mittlerweile fahren keine Züge mehr durch Mendoza. Ihre Aufgabe haben die allgegenwärtigen Trucks übernommen.

Die zwölfköpfige Besuchergruppe, zehn Amerikaner und zwei Deutsche, ist nun ordentlich aufgekratzt. Hunger! Nach rund 30-minütiger Fahrt erreichen die Weinfans das Gut Zuccardi. Im Nirgendwo warten Fleischberge und Weinflaschen auf die Gäste. Geflügel, Rind, Schwein, alles von eifrigen Kellnern serviert. Saucen gibt es nicht, dafür reichlich gegrilltes Gemüse als Beilage. Wer weniger als fünfmal um einen Nachschlag bittet, verliert bei den Kellnern sein Ansehen.

Die Weintouristen sind nach dieser Kraftanstrengung entsprechend platt und dösen eine Stunde, bis der Van wieder Maipu erreicht. Viele Reisende haben sich auf einem der Güter einquartiert, die ihre Umsätze mit Übernachtungen mehren und vor dem Abendessen Gratis-Verkostungen anbieten. Zum Beispiel im Tapiz Club, wo das ehemalige Herren- und das Dienstbotenhaus zum Hotel umgebaut wurden. Einen Swimmingpool gibt es, Pflaumenbäumchen im Garten und eine kleine Olivenöl-Manufaktur zur Besichtigung. Auch Kurse in einer nahen Kochschule sind im Angebot.

Der Höhepunkt ist jedoch die Weinprobe mit Santiago. Der stämmige Mittvierziger präsentiert die Weißweine formvollendet, er schwenkt die Gläser, schnuppert und schlägt die Note vor. „Pfirsich“. sagt er . Eine Deutsche protestiert: „Holunder!“ Santiago hat noch nie von dieser Frucht gehört. Diplomatisch sagt er: „Wenn Sie meinen.“ Weiter geht’s. Eine Stunde nippen die zehn Clubgäste am Wein, langsam geht die Sonne hinter den Anden unter – ein Tag könnte wirklich schlimmer ausklingen. Doch nach acht oder neun verschiedenen Verkostungen zwischen Frühstück und Rinderbraten geht es manchem wie dem jungen Engländer in der Runde, der plötzlich sagt: „Ich hätte jetzt wirklich gern einen Gin Tonic.“

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