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Sonntagsausflug. Gemäßigte Biker nehmen dann ihre Familie mit. Die anderen, mit Piratentuch, Zöpfchen und Lederboots, treffen sich im Klub zum Schrauben.

© Patrick Frilet/hemis.fr/laif

Kubanische Biker: Schnittig durchs koloniale Erbe

Havanna ist bekannt für seine alten Straßenkreuzer. Auch viele Motorräder sind Kult. Ihre Besitzer sehen oft martialisch aus – und hören Schmusesongs.

Donnerhall. An- und abschwellend. Das Geräusch nähert sich. Und schon biegt es um die Ecke. Der röhrende Sound stammt von einer Harley Davidson. Nicht fabrikneu, aber vorzeigbar. Gepflegt wie ein Scheckheft. Auf dem Scheinwerfer klebt das amerikanische Stars-and-Stripes-Banner.

Auch der Fahrer, sorry: der Biker, kommt stilecht daher: Blue Jeans, Piratentuch und ein angegrautes Zöpfchen. Zudem Lederhandschuhe, Lederblouson, Lederboots. Alles in Schwarz. Unter dem grauen T-Shirt wölbt sich ein Genussbäuchlein. Der schwere Junge steigt ab. Lässig wie einst Marlon Brando. Eine Handvoll Besucher, Touristen aus Kanada, eilen heran und zücken ihre Fotoapparate. Der Biker aalt sich in der Aufmerksamkeit, obwohl sie hauptsächlich seiner Maschine gilt. Ein Modell aus den sechziger Jahren. Das Grinsen geht weiter, als er sich mit seinen Kumpels abklatscht: „Todo bien?“ „Si, bien!“ Die Jungs tragen Kutten. Hinten drauf zwei Flügel und der Schriftzug „Latino Americanos Motociclistas Asoc., Habana, Cuba“.

Aus Lautsprechern scheppert westliche Partymusik: „Celebration“ von Kool & The Gang oder „The final countdown“. Wir befinden uns nicht etwa in Kalifornien, Arizona oder Florida – Hochburgen der Harley-Driver. Sondern in der Hauptstadt von Kuba – Hochburg fahrbereiter Oldtimer. Jeder kennt die Fotos von den alten Schlitten. Doch es gibt auch rare Zweiräder. Die Rede ist nicht von klapprigen Mofas, die bald auseinanderzufallen drohen. Oder von den gelben Cocotaxis mit stinkendem Auspuff. Sondern von gut erhaltenen, liebevoll restaurierten Motorrädern.

Jeden Sonnabend geben die Motorradfreunde Gas und flitzen über die Stadtpisten ans westliche Ende des Malecóns, der berühmten Uferstraße von Havanna. Dort, zwischen dem geschichtsträchtigen Hotel Nacional und dem protzigen, Schatten werfenden Focsa-Hochhaus befinden sich ein paar Straßenkioske. Davor ein kleiner Platz. Treffpunkt der Latino Americanos. Im Volksmund heißt der Ort La Piragua, das Kanu.

Bei den Bikertreffen geht’s freilich nicht um Paddelboote sondern um Feuerstühle. Nicht wenige aus vorrevolutionärem Bestand. Raritäten aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren. Etwa amerikanische Whizzer, englische Triumph oder österreichische Puch. Und natürlich Harleys. Allesamt fein herausgeputzt und aufpoliert.

Aber auch Motorräder aus späteren Jahrzehnten sind zu bestaunen, oft über Umwege auf der Insel gelandet. Außerdem Krafträder aus den früheren sozialistischen Bruderstaaten. Etwa Ural-Bikes aus der Sowjetunion oder MZ-Motorräder aus der DDR. Viele sind beflaggt. Auf einigen flattert die kubanische einträchtig neben der US-Fahne.

Die sozialistische Regierung Kubas ist den Vereinigten Staaten nach wie vor in inniger Abneigung verbunden. Doch die Bevölkerung ist geteilt: Manche tragen ihren Antiamerikanismus offen zur Schau, manche kümmert Politik wenig und manche sympathisieren unverhohlen mit dem kapitalistischen American way of life. Oder zumindest mit den angenehmen Seiten davon. Wie mancher Latino Americano.

Und dabei ist der Klub ausgerechnet ein Ergebnis von Diskriminierung in den USA. Er wurde 1977 in Chicago gegründet. Von Einwanderern aus Puerto-Rico, die von anderen Bikerzünften abgewiesen wurden. Über Exil-Kubaner, die in Florida leben, schwappte die Klubidee dann auf Kuba über. Samt Flügelemblem.

Nur ein Hauch von Rebellentum

Rund 300 Mitglieder zählt man auf der Insel, 70 davon in Havanna. Den Klub gibt es auch in Argentinien, Uruguay und Mexiko. Und sogar in Deutschland und Australien tragen Mitglieder das Logo der Latino Americanos.

Doch nur auf Kuba lässt ihre Existenz richtig aufhorchen. Erstens, weil der Besitz eines Fahrzeugs hier noch immer ein Privileg ist. Wer eins hat, der benutzt es weniger als Statussymbol, sondern um via Personenbeförderung harte, konvertible Pesos dazuzuverdienen. Und zweitens, weil das mit der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Kuba so eine Sache ist. Vorsichtig ausgedrückt.

Aufsplitterungen in private Verbände und Organisationen sind unerwünscht. Um die Gleichheit aller zu unterstreichen. Deshalb sind auch die meisten Sozialvereine längst Geschichte. Wie etwa der Buena Vista Social Club (eigentlich: El Social Club de Buenavista), obwohl er vielfach mit Kuba assoziiert wird. Kurz: Die Latino Americanos bewegen sich am Rande der Legalität.

Und doch ist es nur ein Hauch von Rebellentum. Denn die Latino Americanos werden vom Staat in Ruhe gelassen. „Weil wir freundlich und kooperativ sind“, vermutet Lucas, Mitglied bei den Latinos. Sein Klub trage zum Gemeinwohl bei. Etwa durch Umweltaktionen oder durch Sammlungen für Kinderhospitäler und Waisenhäuser.

Das Tourismusministerium sieht in den Motorradfreaks gar eine Chance, die Vielfalt Kubas zu demonstrieren. Bei der vergangenen Touristikmesse in Havanna, der FITCuba, wurden die Latino Americanos offiziell eingeladen – als Staffage. Sie nahmen dankend an. Denn den Rum gab’s an diesem Tag gratis.

Bei ihren Treffen am La Piragua fließt Cuba Libre oder kubanisches Bier. Aber in Maßen. Die Stimmung ist friedlich. Die Sozias kauen auf Lutschern und versuchen auf ihren Highheels Haltung zu bewahren. Die Jungs bleiben, trotz Rockeroutfit, höflich und lieb. „Bei uns gibt es keine Probleme“, sagt Lucas. Wie zum Beweis ertönt ein Song des Schmusebarden Chris de Burgh aus den Boxen: „Lady in Red“. Man stelle sich diese Schnulze mal auf einem Treffen der Bandidos oder der Hells Angels vor!

Doch kubanische Biker kennen offenbar keine Berührungsängste. Zu den Treffen kommen auch Vertreter anderer Klubs. Und man schmückt sich mit Symbolen fremder Länder. Auf dem Motorrad von Lucas flattert ein deutsches Fähnchen. Der Grund: Er fährt eine schwarze BMW. Genauer eine R-26, erbaut Ende der fünfziger Jahre. Höchstwahrscheinlich die einzige in ganz Kuba.Sie zu ergattern war die reinste Odyssee. Fast 1000 Kilometer musste Lucas in den Osten Kubas reisen, um sie einem alten Mann abzukaufen. „Sechs Monate habe ich dann geschraubt und geputzt“, erzählt er. Jetzt steht die Maschine astrein da. „Sie ist sauber, schnell und sehr zuverlässig“, schwärmt Lucas. Todo bien also, sonnabends am Malecón von Havanna.

Auskunft: Kubanisches Fremdenverkehrsamt, Kaiserstraße 8 60311 Frankfurt am Main, Telefon: 069 288322, Internet: cubainfo.de

Martin Cyris

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