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Die soziale Ungleichheit in Deutschland wächst.

© dpa

Soziale Ungleichheit: Die Demokratie ist in Gefahr

Wir brauchen mehr sozialen Zusammenhalt. Deshalb müssen Unternehmen mehr Menschen aus benachteiligten Milieus fördern, sagt unser Gastautor.

Seit dem PISA-Schock 2000 ist bekannt, dass es kein anderes OECD-Land gibt, in dem die soziale Herkunft so stark über Bildungs- und damit Arbeitsmarktchancen entscheidet wie Deutschland. Insofern verwundert es, dass sie in den Diversity-Konzepten vieler Unternehmen keine große Rolle spielt.

Das mag an den unzureichenden Personal- und Sozialdaten liegen und am fehlenden gesetzlichen Handlungsdruck. Weiterhin ist zu vermuten, dass die soziale Herkunft ein eher unbequemes Thema ist, richtet es den Blick doch auf Machthierarchien.

Die Elitenforschung weist darauf hin, dass die obersten Führungsetagen nicht nur vor allem männlich, weiß und westdeutsch sind. Eliten rekrutieren sich in einigen Branchen auch sehr stark aus bürgerlichen bis großbürgerlichen Kreisen.

Organisationen wie die OECD warnen vor einer Gefährdung des sozialen Zusammenhalts durch die wachsende soziale Ungleichheit. Die reichsten 10 Prozent sind in Deutschland deutlich reicher als in den meisten anderen OECD-Staaten. Sie verfügen über 60 Prozent des Vermögens.

Die zugleich zunehmende Einkommensungleichheit sowie ein gespaltener Arbeitsmarkt mit inzwischen mehr als sieben Millionen prekär beschäftigten Menschen schwächen die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft und das Vertrauen in das politische System, so die Autor*innen der OECD.

Soziale Ungleichheit ist die größte Gefahr für die Demokratie

In den vergangenen 20 Jahren ist außerdem die Lohnschere in Deutschland relativ stärker auseinandergegangen als in den USA oder Großbritannien. Hauptgrund ist die gesunkene Tarifbindung, so eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

Demokratieforscher wie Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung oder Oliver Nachtwey von der Universität Basel sehen in der wachsenden sozialen Ungleichheit die größte Gefahr für die Demokratie, da sich immer mehr Menschen aus zentralen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und sich viele aus dem politischen System zurückziehen.

Gleichzeitig hat die soziale Verunsicherung massiv um sich gegriffen, was auch zur Folge hat, dass Privilegien aggressiv verteidigt werden oder nach unten getreten wird. Der Rechtspopulismus lenkt die wachsende Unzufriedenheit geschickt auf Sündenböcke. Geflüchtete, Muslime, Juden und andere gesellschaftliche Gruppen werden zu Projektionsflächen für eigene Unsicherheiten.

Genderbashing und Homophobie gehören zum weiteren Arsenal. Die Diversität unserer Gesellschaft ist im Kontext wachsender sozialer Ungleichheit zum Prisma grundlegenderer Auseinandersetzungen geworden.

Unternehmen müssen sozial Benachteiligte fördern

Daher ist es wichtig, dass Unternehmen stärker als bisher den sozialen Ausgleich fördern und die soziale Herkunft mehr in den Blick nehmen. Einige Unternehmen sind hier schon aktiv, wie etwa die Berliner Stadtreinigung: Sie bietet berufsvorbereitende und soziale Maßnahmen an und unterstützt wie FedEx Express die Initiative Arbeiterkind.de, die Schüler*innen aus Familien ohne Hochschulerfahrung zum Studieren ermutigt.

Andere Unternehmen arbeiten gezielt mit Schulen und Hochschulen zusammen, die versuchen, stärker Schüler und Studierende aus sozial benachteiligten Milieus zu gewinnen und fördern. Oder sie werben bewusst in sozial schwächeren Gebieten für sich als Arbeitgeber und Ausbilder.

Nur wenn es Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gelingt, die dynamischen Veränderungen unserer Zeit, die drei D's der Megatrends „Demografie – Digitalisierung – Diversity“ in Verbindung mit dem vierten D, der Demokratie und dem sozialen Zusammenhalt, zu gestalten, werden die Grundlagen unseres Zusammenlebens und Zusammenarbeitens mittelfristig gesund erhalten bleiben.
Andreas Merx ist Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Diversity Management (idm e. V.)

Andreas Merx

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