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Aufstehen und gehen ohne die Rechnung zu begleichen? Das gestaltet sich schwieriger als man denkt.

© imago

Im Restaurant: Von der Gabe, die Zeche nicht zu prellen

Der Plan ist perfekt, der Ort mit bedacht gewählt. Nach Lammsteak und drei Schorlen husche ich hinaus - und werde verfolgt.

Von Maris Hubschmid

Ich komme allein. Niemand wollte mich begleiten in die Kriminalität. Für eine Mutprobe, wie man sie macht, um in eine Straßengang aufgenommen zu werden: das Prellen der Zeche. 553 Mal geschah das in Berlin laut Polizeistatistik im zurückliegenden Jahr. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Als Straftat vergleichsweise milde – und doch niederträchtig, weil Menschen unmittelbar betrogen werden.

Es ist Samstagabend, ein Restaurant mit gehobener mediterraner Küche. Der Laden ist voll. Man weist mir einen Platz gegenüber dem Schanktresen zu. Ich bestelle Apfelschorle, warte mit dem Essen, lasse den Kellner glauben, ich sei verabredet. 20 Minuten später versuche ich vergeblich, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Vielleicht doch nicht so schwer, hier unbemerkt wegzukommen?

Zwischen mir und der Tür befindet sich die Kasse

Ich habe diesen Ort mit Bedacht gewählt. Nicht zu klein, in einer Gegend, in der ich mich auskenne, ohne dass man mich kennt. Doch das Gesicht, das jetzt auf mich zusteuert, ist mir vertraut – von der Website. „Wie’s aussieht, schafft meine Begleitung es nicht, ich werde trotzdem etwas essen“, sage ich. „Oder gerade deswegen!“, sagt der Chef.

Mein Plan geht nach hinten los. Von nun an bin ich die arme Sitzengelassene. Während ich den Salat esse, fühle ich aufmunternde Blicke der Angestellten. Der Kellner bedient mich ungewöhnlich herzlich. Lammsteak von der Hüfte mit Kräutermarinade an Pfannengemüse, wunderbar, ich genieße keinen Bissen. Zwischen mir und der Tür befindet sich die Kasse, meist steht der Chef davor. Mit Schrecken sehe ich, wie Gäste an der Garderobe ihre Mäntel über meinen hängen und die Gruppe am Nebentisch aufbricht, so dass ich im Sichtfeld der Theke sitze.

Als der Kellner abräumt, bestelle ich die dritte Schorle, um Zeit zu schinden. Im Sommer wäre es leichter gewesen, wenn man sich nicht raus-, sondern nur davonstehlen muss. Ich starre auf mein Handy. „Ist bei dir alles okay, meine Liebe?“, fragt eine sanfte Stimme. Ich zucke zusammen. Die Wirtin. „Ja.“

Ich muss mich nicht verlegen geben, ich bin es

Die Minuten verstreichen. Da verschwindet der Chef, die Tresendame dreht sich zur Wand. Blitzschnell springe ich auf, die Küchentür schwingt auf. „Tttt..Toiletten?“, frage ich.

Lange, sehr lange betrachte ich mich im Spiegel. Bin ich fähig, das zu Ende zu bringen? Den Parka hervorgewühlt, auf die Tür zugesteuert, fast renne ich die Wirtin um. Tue dann, als wählte ich. „Ich verstehe dich schlecht“, spreche ich in mein Telefon und husche hinaus.

Hilfe! Jemand folgt mir. Der Kellner zündet sich eine Zigarette an. Jetzt muss alles schnell gehen. Ich stecke das Smartphone weg, bin schon am Fahrrad, das Schloss klemmt, der Lenker verkantet sich. Da packt mich jemand am Arm. „Entschuldigung? Kommst du noch mal wieder?“ Ich gebe mir Mühe, verständnislos zu gucken. „Wieso?“ – „Weil du noch nicht bezahlt hast.“

Natürlich habe ich mich für den Ernstfall vorbereitet und den Ausdruck einer E-Mail an die Kollegen dabei, aus der hervorgeht, was ich beabsichtige, vor allem: dass ich am Folgetag die Rechnung begleichen werde. Vor Gericht könne das Schreiben helfen, den Vorsatz zu widerlegen, meint unser Justiziar.

Vorerst tu ich überrascht. „Oh nein, das ist mir schrecklich peinlich!“ Ich muss mich nicht verlegen geben, ich bin es. Der Kellner winkt ab, er könne die Rechnung ja rausholen. „Du bist versetzt worden, oder?“, fragt er. „Hm“, mache ich. „Freundin oder Freund?“, will er wissen. „Ich möchte nicht darüber reden“, stammele ich. „Klar, klar“, sagt er. Ich gebe üppig Trinkgeld.

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