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Wenn Kinder wenig erzählen: „Wie war’s in der Schule?“ - „Gut.“
Kinder wollen nicht ausgefragt werden. Die Psychologin Ulrike Döpfner über Strategien, wie man trotzdem mit ihnen ins Gespräch kommt.
Stand:
Ulrike Döpfner, 51, ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Sie hat eine Praxis am Holländischen Viertel in Potsdam, in der sie auch Eltern coacht. Döpfner wurde als Ulrike Weiss in Frankfurt am Main geboren, hat im belgischen Louvain-la-Neuve Psychologie studiert und erst als Kommunikationstrainerin gearbeitet. Gerade ist ihr Buch „Der Zauber guter Gespräche – Kommunikation mit Kindern, die Nähe schafft“ erschienen.
Frau Döpfner, gibt es typische Fehler, die Eltern im Austausch mit ihren Kindern machen?
Eltern können ganz schlecht ertragen, wenn ihre Kinder unangenehme Gefühle äußern. Deshalb reagieren sie oft reflexhaft mit Ratschlägen. Wenn ein Kind beispielsweise davon berichtet, dass seine beste Freundin neuerdings lieber mit einer anderen spielt, antwortet die Mutter: „Mach’ dir nichts draus. Das war bei mir früher auch so. Typisch Mädchen!“
Ein Trost, damit das Kind nicht persönlich gekränkt zu sein braucht. Was ist daran schlecht?
Dass die Mutter von sich redet, anstatt auf das Kind einzugehen. Ich finde für solche Situationen die Methode des „Aktiven Zuhörens“ sehr wirksam, die der amerikanische Psychologe Carl Rogers Mitte des 20. Jahrhunderts für Therapiegespräche erfunden hat. Dabei drückt das Elternteil, das, was das Kind gesagt hat, nochmal in eigenen Worten aus. Nicht nur die Sachaussage, sondern auch das Gefühl, was dahinter steckt. Zum Beispiel: „Du fühlst dich ausgeschlossen. Das macht dich ganz schön wütend, richtig?“
Stülpt man einem Kind auf diese Weise ein Gefühl nicht erst über?
Man muss das Ganze natürlich so formulieren und intonieren, dass das Kind einen korrigieren kann: „Nee, ich bin nicht wütend, sondern …“
Warum nicht gleich fragen, wie das Kind sich fühlt?
Mit Fragen lenkt man das Gespräch in eine bestimmte Richtung, das Kind muss reagieren. Indem wir hingegen die Gefühle unserer Kinder spiegeln, helfen wir ihnen, sie überhaupt erst zu klären. Bei Stress-Situationen merkt man ja zunächst nur: Es stimmt irgendwas nicht in meinem Bauch. Und wenn wir als Eltern richtig liegen mit der Rückmeldung, fühlt sich das Kind verstanden und ist motiviert, weiterzuerzählen. Es ist ein Trugschluss zu denken, dass man Redefluss nur initiiert, indem man Fragen stellt.
Sie haben drei Söhne. Haben Sie die Methode auch bei denen angewendet?
Ja. Es war gar nicht leicht, sie mir anzugewöhnen. Man kommt sich erst albern vor, fast wie ein Papagei. Ich dachte, das müssen sie doch merken! Die Mutter, die sonst immer so fragt, und jetzt plötzlich … Aber sie haben sich einfach nur wohlgefühlt.
Kann man vielleicht grundsätzlich sagen, dass Kinder nicht gern etwas gefragt werden, außer, was ihre Lieblingsfarbe ist? Sie antworten häufig sehr einsilbig.
Nein. Kinder mögen es nur nicht, ausgefragt zu werden. Auch auf bloßes Abfragen wie „Wie war es in der Schule? Wie war die Mathearbeit?“ reagieren sie oft allergisch.
Manche Frage kann man ihnen nicht ersparen …
… aber neben der ganzen Alltagsorganisation ist es wichtig, Gespräche zu führen, bei denen man sein Kind überrascht. Und sich selbst auch. Diese Unterhaltungen können mit einer Frage beginnen. Zum Beispiel: Was würdest du machen, wenn du Superkräfte hättest? Oder: Wie stellst du es dir vor, unsichtbar zu sein? Ich habe in meinem Buch 100 Fragen zusammengestellt, über die man mit Kindern ins Gespräch kommt.
Wenden Sie die auch bei Ihren Patienten an?
Ja. Dabei kommen manchmal tiefergehende Wünsche zu Tage, die ein Kind aufgrund von Defiziten hat. Abgesehen davon macht das Rumspinnen einfach Freude. Wenn Kinder die Möglichkeit haben, Wünsche oder verrückte Vorstellungen zu erzählen, schafft das eine Verbindung.
Wie wichtig ist für die Beziehung zwischen einem Elternteil und seinem Kind die Zeit, die man sich füreinander nimmt?
Es gibt Eltern, die viel Zeit mit ihren Kindern verbringen und keine gute Beziehung haben. Und umgekehrt.
Ihr Vater saß im Vorstand der Deutschen Bank, der Vater Ihrer Kinder ist der Chef des Springer-Konzerns – beides zeitaufwändige Berufe. Kann man häufige Abwesenheit überhaupt ausgleichen?
Schon. Der entscheidende Faktor ist meines Erachtens, wie sehr sich eine Mutter oder ein Vater auf eine Beziehung einlässt.
Was halten Sie vom amerikanischen Begriff „Quality Time“, der besagt, dass man Zeitfenster für die Beschäftigung mit dem Kind in den vollen Terminkalender einplant?
Was ich daran richtig finde, ist, dass man Momente schafft, in denen das Kind ungeteilte Aufmerksamkeit genießt. Ich glaube nur nicht an ganz so starre Strukturen. Aber im Zweifelsfall, denke ich, ist es besser als gar nichts.
Bereits Kleinkinder kann man anleiten, über Gefühle zu sprechen

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Haben Sie das Gefühl, dass Eltern heute schwerer mit ihren Kindern ins Gespräch kommen als früher?
Ich glaube, dass durch die Informationsflut, durch die Eltern wie Kinder heute permanent abgelenkt sind, seltener eine entspannte, vertrauensvolle Atmosphäre zustande kommt, in der Kinder erzählen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Eltern müssen diese Gespräche bewusst herbeiführen.
Was halten Sie von Handy-Verboten?
Während der Mahlzeiten versuchen wir bei uns zu Hause die Handys zur Seite zu legen. Grundsätzlich glaube ich, dass man Kinder nicht von sozialen Medien fernhalten kann. Der britische Schriftsteller Douglas Adams schrieb mal sinngemäß: Alles, was es bereits gibt, wenn wir auf die Welt kommen, ist für uns normal. Erfindungen, die gemacht werden, bis wir 30 sind, finden wir spannend und können sie möglicherweise auch beruflich nutzen. Erfindungen, die kommen, nachdem wir 30 Jahre alt sind, empfinden wir als Angriff auf unsere Zivilisation. Nach zehn Jahren haben wir uns daran gewöhnt. So ist das auch mit den Kommunikationsmitteln, die unsere Kinder benutzen. Was durch die Kommunikation über Text- und Sprachnachrichten zu kurz kommt, ist die Interpretation von Mimik, Gestik, Tonlage des Gegenübers. Das können Eltern ausgleichen, indem sie auf Gefühlsäußerungen von anderen Menschen besonders eingehen.
Wie meinen Sie das?
Wenn beispielsweise die Supermarktverkäuferin unfreundlich war, können Sie Ihr Kind fragen, wie die sich wohl fühlt. Und woran man das erkennen kann. Wie war ihr Blick, ihr Ton, wie ihre Körperhaltung?
In vielen Kitas werden Karten verwendet, auf denen Kleinkinder in verschiedenen Gemütszuständen abgebildet sind: Eines schreit, ein anderes lacht, ein drittes guckt verärgert. Mithilfe der Karten sollen Kinder lernen, Mimik zu lesen. Ist das nicht absurd?
Wieso? Das ist ein gängiger Ansatz, um die soziale Kompetenz von Kindern zu schulen ...
… indem man menschliche Mimik durchnimmt wie die Jahreszeiten oder Tierarten? Handelt es sich beim Gesichterlesen nicht um einen Instinkt?
Ich erlebe oft Kinder, die zwar sagen können, dass es ihnen schlecht geht, aber nicht in der Lage sind zu erklären, was schlecht heißt: wütend, traurig, enttäuscht.
Das weiß man selber oft auch nicht so genau.
Wenn man nicht in der Lage ist, seine Gefühle zu benennen, wird man große Schwierigkeiten haben, sie bei anderen zu erkennen und darauf einzugehen, und erst das macht einen zu einem verständnisvollen Gesprächspartner.
Ist es überhaupt ein zentrales Bedürfnis von Kindern, Gefühle oder Probleme zu besprechen, oder mehr der Wunsch von Eltern?
Natürlich entsteht bei Kindern ein Geborgenheitsgefühl auch über Berühren oder Umarmen. Aber gleichzeitig tragen bereits sehr früh Gespräche, in denen sich ein Kind verstanden fühlt, entscheidend zu seinem Sicherheitsgefühl bei.
Ab welchem Alter ungefähr?
Bereits im Kindergartenalter. Aber es gibt auch introvertiertere Typen, die später damit anfangen, und vielleicht nie ganz so gesprächig sind. Es kann natürlich genauso sein, dass die Schweigsamkeit eines Kindes daran liegt, dass es die Gesprächsführung seiner Eltern nicht mag.
Ist es etwas grundsätzlich anderes, eine Unterhaltung mit Kindern zu führen als mit Erwachsenen?
Nein. Konzentration, Offenheit, empathisches Eingehen auf den anderen – das gilt für Gespräche mit Kindern wie mit seinem Partner, Freunden, Kollegen. Der Unterschied ist, dass ich, wenn ich mit einem Kind rede, eine Vorbildfunktion habe. Kinder gucken sich Gesprächsstrategien ab.
Besonders verstockt sind Kinder in der Pubertät.
Es ist schon eher typisch fürs Jugendalter, zu sagen: kein Bock zu reden. Aber genauso kommt es vor, dass Eltern und Kinder in dieser Phase gut im Gespräch bleiben.
Wenn Erwachsene übers Reden Verbindung zu ihren Kindern herstellen wollen und Pubertierende Abstand suchen – ist es da nicht normal, dass der Gesprächsfaden in dem Alter abreißt?
Es findet ein Verselbstständigungsprozess statt, und wenn Eltern das respektieren, muss das Ganze nicht unbedingt in Revolution ausarten. Wenn man sie dagegen bedrängt, kommt eine Spirale in Gang: Wir als Eltern fragen die Jugendlichen etwas. Sie antworten nicht. Wir Eltern haken nach. Sie ziehen sich noch mehr zurück. Mitunter kann es helfen, wenn man dem Kind einfach sagt: „Hast gar keine Lust zu reden heute ...“ So reagiere ich manchmal auch in der Therapie. Dann kommt vielleicht etwas, an das man anknüpfen kann: „Nee, hatte ’nen doofen Tag.“
Sie greifen in Ihrem Buch einen Tipp aus Beziehungsratgebern auf: im Streit nicht die Worte „immer“ oder „ständig“ zu verwenden. Das ist schwer, wenn ein Jugendlicher „ständig“ sein Zimmer nicht aufräumt.
Wenn ich sage „Dauernd hinterlässt du Chaos“ oder „Du bist so unordentlich!“, dann ist das eine Abwertung, die beim Gegenüber oft eine Trotzreaktion hervorruft. So entstehen diese Dramen in Familien, die gar nicht sein müssen.
Sie beschreiben im Buch die Methode der „Gewaltfreien Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg, nach der diese klassischen Konflikte angeblich sogar friedlich gelöst werden können …
… erst teilt man wertfrei eine Beobachtung mit – in dem Fall: „Dein Zimmer ist sehr unordentlich seit einer Woche.“ Dann benennt man das Gefühl, was die Unordnung in einem auslöst. Im dritten Schritt formuliert man das eigene Bedürfnis, das nicht erfüllt ist: meine Sehnsucht nach Ordnung. Das Ganze endet mit einer Bitte – in dem Fall, das Zimmer aufzuräumen. Ich persönlich finde die Methode im Alltag ziemlich kompliziert. Aber weil man sich so konzentrieren muss, verlangsamt man automatisch, und das ist in einer aufgeheizten Stimmung manchmal ganz gut.
Sie schlagen vor, dass sich alle Familienmitglieder auf ein Wort einigen, und wenn einer es ausspricht, wird die Diskussion unterbrochen. Können Sie uns bitte das Codewort Ihrer Familie verraten?
Wir haben bislang noch keines gebraucht. Ich erinnere mich an einen Patienten, da hat sich die Familie oft im Auto angebrüllt. Das war eine schwierige Situation, weil man da nicht raus kann. Wenn einer das Codewort nannte, waren alle still. Das Thema wurde weiter besprochen, wenn sich die Gemüter beruhigt hatten.
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