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Gegen alle Widerstände: Ärztin Annebärbel (Ulrike Krumbiegel) greift wieder zu den Schlittschuhen.

© ZDF

ZDF-Film "Die Anfängerin": Die Eiserne

Ulrike Krumbiegel im ZDF-Film "Die Anfängerin": Auch mit 58 gibt es Selbstrettung durch Selbstverwirklichung

Ein Auftakt, so stoisch, mürrisch und tieftraurig, wie er nur in ein Berlin passt, das den geistigen Mauerfall nicht zur Kenntnis nimmt. Frau Dr. Buschhaus (Ulrike Krumbiegel) wirkt, wie es ihr Vorname androht: Annebärbel. Sie stöckelt Pumps-gepfählt in ihre Praxis – „Doktor Fürchterlich“ kommt, raunt es in ihrem Rücken. „Wir unterstützen kein Krankfeiern“, verlautbart Frau Doktor, als da eine Patientin telefonisch um etwas Gnade bittet.

Nur ihre Mutter Irene (Annekathrin Bürger) ist noch schlimmer. Die hat sich zur Ruhe gesetzt, der Tochter die Praxis übergeben, spielt aber immer noch die Chefin. Das Herabsetzen von Annebärbel ist Irene zur zweiten Naturgeworden. Noch geistert ein Ehemann (Rainer Bock) durch Annebärbels Leben. Wird nicht mehr lange so bleiben, zeigt eine präzise Szene vom gemeinsamen Abendessen des Paares. Selbst dem kleinen Hund schaudert es. Vor Weihnachten zieht Rolf zu einer Jüngeren. Stille Nacht ohne Ehemann, Mutter Irene ahnt den Braten der Trennung, obwohl die Tochter sein Fehlen mit bestellter Gans und Ausreden vertuschen wollte. Die böse Glucke stimmt das Lied auch unterm Weihnachtsbaum wieder an: Tochter, du ewige Versagerin.

Wie naht das Rettende?

Durch das schnörkellose Ausmalen des seelischen Erfrierens einer Frau, exekutiert durch matriarchalische Gewalt, ist der Zuschauer gespannt, wie das Rettende, das nun auch nach den Regeln des Genres für Annebärbel kommen muss, aussehen wird. Ein Mann? Nee, es gab ja Rolf. Hineinstürzen in Arbeit durch Notarzttouren? Die Einsamkeit drückt weiter.
Die Rettung wohnt in einem Eisstadion, das die Kamera (Kolja Raschke), wie alles Übrige auch, ohne Pathos präsentiert. Ein Olympiastützpunkt, sachlich, fachlich. Eine lichte Zone, zunächst ohne Muttergespenst. In diesem Eislaufwürfel wird sich die fast zertretene Annebärbel ihren Jugendtraum erfüllen: den einer Eisläuferin. Das Projekt hat im Alter von 58 etwas Wahnsinniges.
Aber Annebärbel verfällt nicht in überschwängliche Träumerei. Sie legt weiter ihre preußische Gradlinigkeit an den Tag. Immer hartnäckig, immer zielorientiert, immer auf schöne Weise unerbittlich.
Allein um mit Kufen auf die Eisfläche zu gelangen, überwindet die Ärztin einen eigentlich unüberwindlichen Sperrgürtel aus hausmeisterlichen Bedenken (Hund), Vereinsmeiertum (Mitgliedsausweis) und Kartellen von platzhirschigen Eislaufmüttern. Dem Kult um Axel, Rittberger und Pirouette wohnt, wie „Die Anfängerin“ herausarbeitet, ein Leistungsehrgeiz inne, als käme Eis von eisern.

Sie lernt, ihre Frau zu stehen

Auf der Eisfläche macht die verspätete Jugendtraumverwirklicherin eine zunächst klägliche Figur. Sie hangelt zuerst wie trunken an der Bande entlang, sie stürzt, sie muss sich spöttisches Gelächter anhören. Aber sie lernt, ihre Frau zu stehen, wenn sie langsam immer besser gleitet. Ihr asozialer Schutzpanzer bekommt Risse: Mit einer Eislaufelevin (Maria Rogozina) freundet sie sich an und bewahrt sie durch medizinischen Rat vor irreparablen Verletzungsschäden.
Seitenblicke gelingen Regisseurin Alexandra Sell – sie hat auch das Drehbuch geschrieben – auf die Gefahren des Leistungsterrors dieser Sportart. Eine superstrenge Trainerin, ein kaum belehrbarer Vater erinnern an den Drill. Dagegen stehen entspannte Einstellungen von Formationstänzen, in denen auf dem Weg zum Star ausgemusterter Nachwuchs die altmodische Poesie auf Kufen vorführt.
Als gegen Ende im Film die Senioren loslegen und mit dem Anspruch auf Verzeihung von Mängeln ihren Stolz zeigen, erlaubt sich der Film eine Ruhepause in seinem Kampf gegen Kitsch. Da schmilzt auch die Verbissenheit der Selbstrettung einer Frau. In Ulrike Krumbiegels Gesicht, meint man, lächele jetzt ein verschüttetes Kind. Mutter Irene übergibt der Tochter Annebärbel wertvolle Schlittschuhe.

„Die Anfängerin“, ZDF, Mittwoch, um 23 Uhr 15

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