Gesundheit: Eine Stütze fürs Herz
Metallröhrchen halten verengte Herzgefäße offen. Die billigen Modelle sind häufig die besten
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Ist ein Herzkranzgefäß gefährlich verengt, so wird es seit Ende der 80er Jahre bei einer Untersuchung mit dem Herzkatheter häufig nicht nur mit einem Ballon aufgedehnt. Zusätzlich wird bei dieser Gelegenheit oft gleich auch noch ein kleines Metallröhrchen mit Gitterstruktur eingepasst, ein Stent. Diese Stütze soll dafür sorgen, dass das Gefäß offen und durchlässig bleibt.
Dummerweise reagiert das Gewebe der Blutgefäß-Innenwand auf die Verletzung und den Fremdkörper oft mit einer Wucherung und der Neubildung von kleinen Gefäßen, die wieder zum Verschluss führen kann. Herzspezialisten sehen das als die Achillesferse der klassischen Stents. Als im Jahr 2002 im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ eine Studie erschien, in der eine neue Art von Gefäßstütze vorgestellt wurde, war deshalb die Euphorie groß: Die neuen Stents waren mit einer Schicht versehen, die nach und nach Medikamente freisetzte.
Die dabei verwendeten Wirkstoffe Sirolimus und Paclitaxel halten Entzündungen in Schach und schützen vor Gewebewucherungen. Und tatsächlich – bei den Patienten, die so behandelt wurden, verengten sich die Gefäße nicht von Neuem. Vor allem in den USA begann damit ein wahrer Siegeszug der neuartigen Röhrchen. 80 Prozent der Patienten, die eine Gefäßstütze brauchen, werden dort mit den neuen, deutlich teureren Stents versorgt, weltweit sollen inzwischen vier Millionen dieser Stützen implantiert worden sein.
Das letzte Wort zum Stent war damit aber längst noch nicht gesprochen. Das Thema wird heiß diskutiert, seit der Fachwelt im September 2006 die Ergebnisse einer Schweizer Studie präsentiert wurden. Dort hatte sich gezeigt, dass sich bei Patienten, denen bei verengten Herzkranzgefäßen beschichtete Stützen eingesetzt wurden, in einigem zeitlichen Abstand zu dem Eingriff deutlich häufiger lebensgefährliche Blutgerinnsel bildeten. Patienten – und alle, die fürchten, es eines Tages zu werden – sind besorgt.
Der Herzspezialist William Maisel von der Harvard Medical School in Boston, der in einer eilends berufenen Kommission der Aufsichtsbehörde FDA den Vorsitz führt, wirft den beiden Herstellerfirmen vor, zwar in den letzten Monaten mit insgesamt 19 Pressemitteilungen viel Publicity für ihre Produkte gemacht, dabei aber das Thromboserisiko mit keinem Wort erwähnt zu haben.
Maisels Einschätzung der Lage findet sich in demselben Journal, das vor fünf Jahren die erste Aufsehen erregende Studie veröffentlichte. Dort wurden jetzt gleich fünf Studien und zwei Kommentare zu Nutzen und Nachteilen der medikamentenbeschichteten Gefäßstützen veröffentlicht. Die Studien werten allesamt die Daten aus früheren Untersuchungen oder von großen Krankenregistern aus. Vier von ihnen wirken eher beruhigend, die Autoren können in Sachen Thrombose keine statistisch aussagekräftigen Unterschiede zwischen den beiden Arten von Stents feststellen.
Die fünfte, für die Informationen von fast 20 000 schwedischen Patienten ausgewertet wurden, ergab allerdings ein erhöhtes Thromboserisiko für Träger der beschichteten Modelle. In den ersten sechs Monaten waren sie zwar, was Herzinfarkte und Todesfälle betrifft, besser dran als Patienten mit unbeschichteten Stents. Danach jedoch starben mehr Patienten mit beschichteten Stents. „Unsere Ergebnisse geben Anlass zur Sorge“, schreiben die Autoren um Bo Lagerqvist von der Uni Uppsala. Allerdings ist denkbar, dass die Patienten, die mit den beschichteten Stents versorgt wurden, von Anfang an schwerer krank waren.
Ein weiteres Problem sieht der US-Experte Maisel darin, dass in den Studien nur der Zeitraum bis zu einem eventuell fälligen erneuten Eingriff berücksichtigt wurde. Solche Zweit- oder Dritt-Eingriffe sind bei den klassischen Metall-Stützen häufiger nötig. Durch die Ausklammerung der Zeit danach, die ein erneutes Thrombose-Risiko birgt, könnten also die beschichteten Stützen benachteiligt werden.
Trotzdem überrascht es nicht grundsätzlich, dass die Beschichtung auch Gefahren birgt. „Es gibt Hinweise darauf, dass beschichtete Stents sich nicht wie andere Fremdkörper langfristig mit einer körpereigenen Gewebeschicht überziehen“, sagt der Kardiologe Eckart Fleck, Direktor der Inneren Medizin am Deutschen Herzzentrum in Berlin. Folge des Siegeszugs, den die Medikamentenstents nach den ersten Studien des Jahres 2002 vor allem in den USA erlebten: Viele Menschen haben eine solche Stütze eingesetzt bekommen, obwohl das für ihren konkreten Fall gar nicht von den Studien gedeckt war, die für die anfängliche Euphorie gesorgt hatten. Doch die Ärzte wollten sie nicht ausgerechnet ihren Patienten mit mehreren Verengungen oder mit Begleiterkrankungen vorenthalten.
60 Prozent der neuartigen Stents werden in den USA heute in Fällen eingesetzt, die durch die Studienergebnisse nicht gedeckt sind. Das Gutachtergremium der Aufsichtsbehörde FDA warnt nun vor erhöhter Infarktgefahr bei dieser Patientengruppe. Wenn die beschichteten Stents dagegen bei dafür geeigneten Patienten eingesetzt würden, überwögen die Vorteile, stellt das Gremium klar. Unter der Voraussetzung allerdings, dass Medikamente genommen werden, um der Blutverklumpung vorzubeugen: Aspirin sowieso und unbegrenzt, aber auch Substanzen wie Clopidogrel, und das möglichst im ganzen ersten Jahr nach dem Eingriff. Vor Operationen müssen die Mittel allerdings abgesetzt werden. Mit der Folge, dass das Thromboserisiko sich erhöht. Wenn man schon weiß, dass zum Beispiel eine künstliche Hüfte eingesetzt werden soll, sollte man deshalb auf beschichtete Stents verzichten.
In vielen Fällen werden diese kostspieligen Modelle ohnehin nicht gebraucht. „Ihr Gefäß ist so groß, da wird auch mit einem herkömmlichen Stent nichts passieren“, beruhigt Fleck viele seiner Patienten. Anders als in den USA ist weniger als die Hälfte der Stents, die in Deutschland eingesetzt werden, mit Medikamenten beschichtet, schon aus Kostengründen.
Gründe für ihren Einsatz sind meist ausgedehnte Einengungen in ungünstiger Lage, kleiner Durchmesser der Blutgefäße und die Tatsache, dass der Patient zur großen Gruppe der Zuckerkranken (Diabetiker) unter den Herzpatienten gehört, bei denen sich Gefäße besonders leicht wieder verschließen. „Es spricht viel dafür, dass Diabetiker besonders profitieren“, sagt Fleck. Durch Studien ist das aber noch nicht bewiesen.
„Für unseren ärztlichen Alltag brauchen wir Untersuchungen, die aus dem Alltag kommen“, fordert Fleck. Bundesweit soll es nach den Plänen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, deren Sprecher er ist, außerdem bald ein umfassendes deutsches Langzeitregister zu den Stents geben.
Fleck und seine Kollegen setzen ihre Hoffnung aber auch in eine neue Generation von Gefäßstützen, deren Beschichtungen sich mit der Zeit selbst entfernen. Schließlich werden die in ihnen enthaltenen Arzneimittel nur in den ersten kritischen vier bis sechs Wochen gebraucht, dann hat die Beschichtung ihre Schuldigkeit getan. Das darunter liegende Metall sollte sich nun mit einer dünnen Schicht körpereigenen Gewebes überziehen und damit die Stütze wirklich einwachsen.
Adelheid Müller-Lissner
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