Gesundheit: Für die Moral bedarf es Hirn und Herz
Defekt im Stirnhirn lässt Mitgefühl schwinden
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Moralische Entscheidungen erfordern neben Hirn auch Herz. Das verdeutlichen sechs Patienten, über die US-Forscher im Magazin „Nature“ berichten. Aufgrund einer Schädigung in einer bestimmten Gehirnregion können die Personen nur noch eingeschränkt Gefühle wie Scham, Mitleid oder Schuld empfinden. In einem moralischen Konflikt neigen sie deshalb zu nüchternen, das Gemeinwohl maximierenden Entscheidungen.
Diese Beobachtung spreche für die Vermutung, dass Emotionen nicht bloß eine Begleiterscheinung moralischer Entscheidungen seien, schreibt die Gruppe um Michael Koenigs von der Universität von Iowa und Liane Young von der Harvard-Universität. Im Verein mit rationalen Überlegungen und gesellschaftlichen Normen könnten sie auch erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen solcher Entscheidungen haben.
Alle sechs Patienten wiesen infolge von Tumoroperationen oder Gehirnblutungen Defekte in dem hinter der Nasenwurzel liegenden Bereich der Großhirnrinde auf. Daher waren sie nur noch eingeschränkt fähig, sich in andere hineinzuversetzen und Mitgefühl zu empfinden. Ihre Intelligenz und ihr logisches Denkvermögen waren dagegen kaum beeinträchtigt. Die Forscher beschrieben den Patienten 50 extreme Situationen samt einer Handlungsoption. Beispielsweise konnte ein außer Kontrolle geratener Güterwaggon so umgelenkt werden, dass er eine Person erfasste statt einer fünfköpfigen Gruppe. Die Patienten sollten jeweils angeben, ob sie die vorgegebene Option befürworteten. Als Vergleichsgruppen dienten je zwölf Personen mit Defekten in nicht für das Gefühlsleben wichtigen Gehirnbereichen oder solche ohne Gehirnschäden.
In emotional wenig konfliktträchtigen Situationen und in solchen, in denen der Entscheidende selbst nur am Rande beteiligt war, stimmten sämtliche Teilnehmer überein. Ging es jedoch um das Leben des eigenen Kindes oder darum, eigenhändig eine andere Person von einer Brücke zu stoßen, waren die sechs Patienten deutlich häufiger mit dem nüchternen Handlungsvorschlag einverstanden als die Kontrollpersonen.
„Das Erstaunlichste ist die genaue Kontur des moralischen Defizits“, erklärt Marc Hauser von der Harvard-Universität, einer der Forscher. Zwar lasse die Schädigung des Stirnlappens eine Reihe moralischer Fähigkeiten intakt. Sie wirkt sich jedoch auf Entscheidungen aus, bei denen Mitgefühl und Gemeinwohl im Konflikt sind. jkm
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