
© Lisa Rock für den Tagesspiegel
Gefühlte Hitze und Schmerzen: Kann man sich an scharfem Essen die Zunge verbrennen?
Wer scharfe Speisen isst, bricht oft in Schweiß aus. Das liegt daran, dass der gleiche Rezeptor auf Scharfes und Heißes reagiert. Entscheidend ist aber, was danach im Körper geschieht.
Stand:
Im Englischen steht das Wort „hot“ für heiß, im Sinne von hoher Temperatur, und ebenso für scharf. Es charakterisiert damit die Wahrnehmung zum Beispiel von chilihaltigem Essen. Der Ursprung dieses englischen Teekesselchens liegt vermutlich darin, dass sich die Sinneseindrücke von Scharfem und Heißem durchaus ähneln. Aber bewirken sie biologisch wirklich das Gleiche, sodass scharfes Essen genauso die Zunge verbrennen kann wie heißes?
„Ja und nein“, ist die Antwort von Jan Siemens, Professor am Institut für Pharmakologie der Uni Heidelberg. Ja, denn es werden beim Essen von Scharfem biologische Signalwege in Gang gesetzt, die identisch sind mit denen für Heißes: „Das zentrale Molekül ist hier der TRPV1-Rezeptor, für dessen Entdeckung es vor knapp zwei Jahren den Nobelpreis für Medizin gab“, so Siemens. Dieser Rezeptor ist ein Eiweißmolekül, das in der Zellmembran von Schmerzfasern lokalisiert ist.
Er reagiert sowohl auf Heißes als auch auf Capsaicin, die Substanz, die unter anderem in Chili-Schoten die Schärfe definiert. Dann ändert er seine Struktur, sodass Natrium- und Calcium-Ionen in die Zellen einströmen und molekulare Abläufe in Gang setzen, die Schmerzen vermitteln und entzündungsähnliche Prozesse bewirken. Eine anhaltende Stimulation der Rezeptoren mit Capsaicin, wie in den Capsaicin-Pflastern, die man zur Linderung von chronischen Schmerzen verwenden kann, führt sogar zum längerfristigen Abbau der Schmerzfasern. An dieser Stelle lässt sich nicht unterscheiden, ob Hitze oder Schärfe diese Abläufe ausgelöst haben.
„Aber auf der anderen Seite gilt auch ein Nein für die Ausgangsfrage“, erklärt der Biochemiker Siemens. „Denn Heißes aktiviert über den TRPV1-Rezeptor hinaus noch weitere Prozesse.“ Neben der Aktivierung von zusätzlichen Rezeptoren kann Hitze zu länger anhaltenden und deutlich massiveren Gewebsschädigungen führen als Capsaicin. Auch die Entzündungsreaktionen bei echten Verbrennungen gehen über das Maß der Capsaicin-Auslösung hinaus. Denn häufig ist dann das Immunsystem beteiligt, sodass die Reaktion großflächiger und langwieriger verläuft.
Für den Sinneseindruck auf der Zunge beim Essen von scharfen oder heißen Speisen bedeutet dies: Heißes Essen hinterlässt einen sehr ähnlichen Eindruck wie scharfes, bewirkt biologisch aber doch noch mehr.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: