Gesundheit: Gift im Paradies
In tropischen Gewässern lauern gefährliche Quallen und Fische. Schutzanzüge können helfen – und manchmal auch Essig
Es sollte eine Traumreise werden! Weit schwamm die junge Frau ins tropische Meer hinaus – bis zur folgenschweren Begegnung mit dem Seeungeheuer. Schreiend vor Angst und Schmerz erreichte sie gerade noch den Strand. Vier Tage später, zurück in Deutschland, waren ihre Arme blau verfärbt, die Fingerspitzen schwarz und abgestorben. Trotz chirurgischer Behandlung bleibt sie ihr Leben lang behindert.
Es war kein Haiangriff, „nur“ ein Kontakt mit den langen Tentakeln einer Giftqualle, wie der Rechtsmediziner Dietrich Mebs (Uni Frankfurt am Main) schilderte. Das Berliner Institut für Tropenmedizin hatte den Toxikologen, Autor eines Buchs über Gifttiere, gebeten, beim „Berliner Tag der Reisemedizin“ über giftige Begegnungen im und am Wasser zu sprechen. Die sind in tropischen und subtropischen Gewässern weit häufiger, als sorglose Fernreisende ahnen.
Quallen zum Beispiel: Meist sieht man sie im Wasser nicht, man fühlt sie aber. Ihre langen Tast- und Greifarme sind mit Tausenden von Nesselzellen besetzt. Bei Berührung injizieren sie ein lähmendes Giftgemisch in ihre Beutetiere und machen sie damit fluchtunfähig. Die mildesten Folgen sind auch Nordseeurlaubern bekannt: Schmerz, Juckreiz und Pusteln nach Kontakt mit Feuerquallen.
In exotischen Meeren aber kann es zu tödlich endenden Vergiftungen kommen. Durch schmerzhaften Kontakt mit den bis zu 15 Meter langen Tentakeln der Giftqualle „Physalia physalis“, auch Portugiesische Galeere genannt, geraten die Betroffenen zudem oft in Panik und sind in Gefahr zu ertrinken. Sieht man so etwas wie weiße, aufgeblähte Folienbeutel im Wasser: Vorsicht! Das könnte sie sein. Je länger der Kontakt, desto gefährlicher. Also muss man die Nesselzellen möglichst schnell unschädlich machen.
Abduschen verschlimmere die Lage aber nur, erläuterte der Experte. Im Süßwasser herrscht nämlich ein geringerer osmotischer Druck als in der Giftzelle. Daher schwillt sie an, platzt schließlich, und es wird noch mehr Gift frei. Anhaftende Tentakeln lassen sich mit Sand abrubbeln. An australischen Stränden findet man Flaschen mit Essig, der noch nicht entladene Nesselzellen vernichtet. Vorsichtige Schwimmer tragen dort dünne Schutzanzüge aus Lycra.
Mebs warnte Fernreisende auch vor Verletzungen und Infektionen durch Wassergetier. Die brüchigen Stacheln der nachtaktiven Seeigel zum Beispiel lassen sich schwer herausziehen. Heilen sie in der Nähe von Gelenkkapseln ein, kann es zu Versteifungen kommen. Tritt man auf einen im Sand eingebuddelten Stachelrochen, entsteht eine tiefe, infektionsgefährdete Wunde. Wer in die Stacheln des gut getarnten Steinfischs tritt, drückt dessen Giftdrüsen aus. Der Fuß schwillt unförmig an und schmerzt 24 Stunden lang. Man kann nichts tun, als den Schmerz zu bekämpfen. Beim Versuch, das Gift mit heißem Wasser zu zerstören, bekommen die Opfer nur Brandblasen: Das Fischgift ist hitzestabil. Deshalb nützt es auch nichts, toxinhaltige Fische und Meeresfrüchte zu kochen.
Als Risikoregionen für Fischvergiftungen gelten vor allem die Karibik und Japan. Toxine sind nicht nur in dem berühmt-berüchtigten Kugelfisch, sondern „praktisch in allen japanischen Meeresfrüchten“, sagte Mebs. Eine Misosuppe brachte eine ganze Familie um – samt den Hühnern, die das Erbrochene aufgepickt hatten. In der Karibik kann man sich sogar in Fünf-Sterne-Hotels die als „Ciguatera“ bekannte Fischvergiftung holen. Die Folgen sind Juckreiz, Durchfall und Erbrechen, aber auch seltsame neurologische Symptome, etwa die Umkehrung des Kalt-warm-Empfindens: Man friert unter der heißen Dusche.
Todesfälle sind zum Glück nicht bekannt, aber die Beschwerden halten drei, vier Monate an. Da ist das Toxin längst nicht mehr im Körper, „und was da eigentlich abläuft, wissen wir noch nicht“, sagte Mebs. Ein Gegenmittel gibt es nicht. Also bleibt nur das Vermeiden des Risikos: „Keinen Fisch essen in der Karibik, sonst ist der Urlaub gelaufen.“
Wie aber kommt es zu den hohen Toxinkonzentrationen, und warum macht den Fischen selbst das Gift gar nichts aus? Giftalgen lagern sich auf Wasserpflanzen ab, die von Fischen abgeweidet werden. Raubfische fressen diese Fische, und am Ende der giftigen Nahrungskette steht der Mensch. Und der Mensch ist im Unterschied zu den Meerestieren evolutionsgeschichtlich noch viel zu jung, um sich an die Gifte gewöhnt zu haben. Pech für uns!