Gesundheit: „Kein Fall für Amnesty“
Kultusminister Schreier weist Bildungsbericht des UN-Kommissars zurück
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Herr Schreier, heute erfährt die UN, dass das Recht auf Bildung in Deutschland nicht überall umgesetzt sei. Der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz kritisiert nach einem neuntägigen Besuch in Deutschland, Migranten, Kinder mit Behinderungen und sozial Schwache würden in der Schule ausgegrenzt. War Deutschland auf diesem Auge bislang blind?
Ich halte die Einschätzungen von Herrn Muñoz für mehr als gewagt. Man kann sich in ein paar Tagen nun wirklich kein seriöses Bild von dem komplexen Bildungssystem in Deutschland machen. Ich jedenfalls hätte Skrupel, so schnell und so pauschal zu urteilen.
Der Kern seiner Aussage, Migranten und sozial Schwache würden in der Schule nicht genug gefördert, ist doch aber durch die Ergebnisse der Pisa-Studie gedeckt?
Es stimmt: In der Pisa-Studie sind große Herausforderungen beschrieben. Die verkennen wir ja auch gar nicht. Wir haben sofort Verbesserungen eingeleitet. Ich glaube, nirgendwo wird so intensiv über Pisa diskutiert wie in Deutschland. Was allerdings empört, ist, dass Herr Muñoz so getan hat, als würden hierzulande Menschenrechte verletzt. Das deutsche Bildungssystem ist kein Fall für Amnesty International!
Warum bekommt Deutschland überhaupt Besuch von einem Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung?
Das müssen Sie ihn selbst fragen. Aber ganz sicher nicht, weil hier das Recht auf Bildung nicht gewährleistet ist.
Kann Deutschland aus dem Bericht also nichts lernen?
Man kann aus allem etwas lernen. Allerdings hätte es eines solchen Berichtes nicht bedurft, um Problemstellen in unserem Bildungswesen zu erkennen und zu beheben.
Die KMK wollte, dass der Bericht vor seiner Präsentation in Genf in bestimmten Passagen verändert wird. In welchen Punkten hatte die KMK hier Erfolg?
Es gab in der Tat in Abstimmung mit der Bundesregierung den Versuch der KMK, nachweislich falsche und schiefe Darstellungen im Bericht zu korrigieren. Bedauerlicherweise hat das wenig genutzt.
Offenbar hat sich dem Sonderberichterstatter nicht der Eindruck vermittelt, dass Deutschland nach Pisa deutlich mehr für die sozial Schwachen in der Schule tut. Er schreibt, die Ergebnisse etwa in der Sprachförderung blieben hinter den Erwartungen zurück. Warum sind die Reformen für den Beobachter von außen nicht sichtbar?
Wer objektiv und aufgeschlossen die Anstrengungen der deutschen Bildungspolitik nach – im Übrigen auch schon vor – Pisa betrachtet, kann die Veränderungen gar nicht übersehen. Ich nenne nur den Bereich des Frühen Lernens, die Sprachförderung und die Bildung und Betreuung am Nachmittag – alles Elemente zur Verbesserung der Chancengleichheit. Im Übrigen sollte Herr Muñoz wissen, dass Veränderungen im Bildungswesen ihre Zeit brauchen.
Muñoz kritisiert den Föderalismus im Schulwesen. Er laufe dem Gleichheitssatz im Grundgesetz entgegen und erschwere den Wohnortwechsel. Auch viele deutsche Eltern sehen die Mobilität ihrer Familien durch die Schulpolitik der Bundesländer beeinträchtigt. Was tun die Kultusminister, um für mehr Einheitlichkeit zu sorgen?
Der föderale Aufbau ist aus wohl erwogenen historischen Gründen in unserem Grundgesetz verankert. Er stärkt nicht nur den Wettbewerb, sondern fördert auch die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Daher muss an einer hohen Durchlässigkeit und besseren Mobilität über Ländergrenzen ständig gearbeitet werden.
Der Sonderberichterstatter befürchtet auch, im Zuge der Bildungsoffensive in den deutschen Kindergärten könne das Recht zum Spielen abgeschafft werden. Könnte tatsächlich die Gefahr drohen, dass Kinder bald nur noch als kleine Lernmaschinen betrachtet werden?
Welch absurdes Denken! Im deutschen Kindergarten wird weiter gespielt, aber auch kindgemäß gelernt.
In Deutschland ist Heimunterricht verboten. Muñoz sieht dadurch das Recht der Eltern beschnitten, die Bildung ihrer Kinder zu bestimmen. Muss Deutschland hier liberaler werden?
Aus gutem Grund gibt es in Deutschland keinen Heimunterricht. Denn das würde Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit ad absurdum führen. Oder will Herr Muñoz wirklich, dass reiche Eltern ihren Kindern zu Hause teuren Privatunterricht erteilen lassen können. Die allgemeine Schulpflicht hat diese vordemokratische Privilegierung abgeschafft. Gäbe es sie noch, hätte Herr Muñoz eher Grund zur Klage.
Die Fragen stellte Anja Kühne.
JÜRGEN SCHREIER (CDU) ist Kultusminister des Saarlands. Zudem ist der 58-Jährige Erster Vizepräsident der Kultusministerkonferenz (KMK).
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