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Gesundheit: Lichtgeschwindigkeit: Schneller als Einstein erlaubt

Es gab einmal eine Sache, auf die sich Physiker fest verlassen konnten: die Lichtgeschwindigkeit. Albert Einsteins Relativitätstheorie besagt, dass sich die Geschwindigkeit von Licht, das sich durch ein Vakuum bewegt, nie verändert.

Es gab einmal eine Sache, auf die sich Physiker fest verlassen konnten: die Lichtgeschwindigkeit. Albert Einsteins Relativitätstheorie besagt, dass sich die Geschwindigkeit von Licht, das sich durch ein Vakuum bewegt, nie verändert. Mit 300 000 Kilometern pro Sekunde sollte es die höchste erreichbare Geschwindigkeit im Universum haben.

Die neuesten Studien aber deuten darauf hin, dass selbst die Lichtgeschwindigkeit nicht heilig ist. Anfang vergangenen Jahres bremsten amerikanische Physiker das Licht auf ärmliche 17 Meter pro Sekunde ab, ein Tempo, das sogar ein Radfahrer übertreffen kann. Und in den vergangenen zwei Monaten haben andere Forscher Lichtstrahlen über die kosmische Grenze hinaus beschleunigt. In der am heutigen Donnerstag erscheinenden Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Band 406, Seite 277) berichten Physiker von einem Fall, in dem dieses Limit um etwa ein Dreihundertstel überschritten wird: Das Licht scheint dabei sogar rückwärts zu laufen!

Trotzdem wackeln die Fundamente der Physik noch nicht. Denn die Experimente verletzen die geliebten physikalischen Gesetze nicht, ja nicht einmal die Gesetze der Relativitätstheorie. Aber sie zeigen, dass es möglich ist, die Ausbreitung des Lichts in einer Weise zu beeinflussen, die Albert Einstein sicherlich überrascht hätte.

Die Relativitätstheorie enthält zwei wesentliche Betrachtungen: Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist konstant und wird hier mit dem Symbol "c" bezeichnet, das etwa in Einsteins berühmter Formel E = m c2 auftaucht. Keine Information aber kann schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden.

Wissenschaftlern ist seit langem bekannt, dass die Lichtgeschwindigkeit abnimmt, wenn sich Licht nicht im Vakuum, sondern in einem Medium wie Luft, Wasser oder Glas fortbewegt. Wie stark es abgebremst wird, hängt von einer Eigenschaft des Mediums ab, die als deren "Brechungsindex" bezeichnet wird. Licht durchläuft transparente Festkörper mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Dritteln bis etwa der Hälfte der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit.

1999 verlangsamten Lene Hau und ihre Kollegen vom Rowland Institute for Science in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts das Licht auf Schneckentempo, indem sie einen Stoff mit außergewöhnlich hohem Brechungsindex schufen, wie sie damals in "Nature" berichteten. Dazu kühlten sie ein Gas aus Natriumatomen so stark ab, dass ihre Temperatur nur noch wenige millionstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt von minus 273 Grad Celsius lag. Das Gas wurde dadurch sehr dicht. Ein Lichtpuls bewegte sich daher durch die Natriumatome wie ein Schwimmer durch einen dickflüssigen Brei.

Die Experimente, die die Lichtgeschwindigkeit über "c" hinaus anwachsen lassen, scheinen die Relativitätstheorie allerdings in ärgere Not zu bringen. Einsteins Relativitätstheorie besagt nämlich, dass sich jedes Objekt, das schneller als mit "c" dahineilt, in der Zeit rückwärts bewegt. Etwa so, wie es in folgendem Limerick verbildlicht wird

There was a young lady named Bright

Whose speed was faster then light.

She went out one day

In a relative way

And returned the previous night.

(ins Deutsche übertragen etwa

Der Ruhm gebührt Lady Bright allein

noch schneller als Licht zu sein.

Eines Tags ging sie auf Reise

doch auf relative Weise

und kam nachts zuvor schon heim.)

Einspruch gegen diese Art der Zeitreise gibt es von Seiten der Logik und der Physik. Was wäre geschehen, wenn Lady Bright nicht in der Nacht zuvor, sondern 50 Jahre früher zurückgekehrt wäre und ihre Großmutter umgebracht hätte, bevor diese Lady Brights Mutter hätte zur Welt bringen können? Dann hätte es auch Lady Bright niemals gegeben. Dieses Großeltern-Paradoxon zeigt, wie absurd eine Bewegung schneller als mit Lichtgeschwindigkeit wäre. Sie würde den Gesetzen der Kausalität widersprechen, dem Prinzip nämlich, dass alle Ursachen den Wirkungen vorausgehen müssen.

Nun aber berichten L. J. Wang, Alexander Kuzmich und Arthur Dogariu vom NEC Research Institute in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey in "Nature", sie hätten Lichtpulse schneller als mit Lichtgeschwindigkeit durch eine Kammer geschickt. Damit hätten sie denselben logischen Widerspruch erzeugt, der im Großeltern-Paradoxon ausgedrückt wird: Der Lichtstrahl schien die Kammer wieder zu verlassen, ehe er überhaupt in sie eingetreten war!

Wangs Forschergruppe ist nicht die erste, die einen Lichtpuls beschreibt, der sich schneller als mit Vakuum-Lichtgeschwindigkeit bewegt. Physiker haben schon vor Jahren erkannt, dass dies auf extrem kurzen Wegstrecken möglich ist. Die Distanzen sind nicht größer als ein Mehrfaches der Wellenlänge des Lichts, was bei sichtbarem Licht etwa ein tausendstel Millimeter bedeutet.

Erst im Mai dieses Jahres verkündete Anedio Ranfagni in Florenz dagegen in den "Physical Review Letters", er habe Mikrowellen mit einer Geschwindigkeit schneller als "c" mehr als einen Meter weit geschickt. Das Geschwindigkeitslimit wurde bei diesem Experiment um fünf bis sieben Prozent überschritten. Auch Wang und seine Kollegen sprechen nur von einer sehr kleinen Geschwindkeitsüberschreitung: um weniger als ein Dreihundertstel.

Die Forscher verwendeten ein Gas aus Metall-Atomen, in diesem Falle Cäsium statt Natrium. Es gibt eine Resonanz zwischen den natürlichen Schwingungen der Cäsium-Atome und Licht einer bestimmten Frequenz: ein Lichtpaket mit einer Frequenz, die sehr nahe bei dieser Resonanzfrequenz liegt, wird beim Durchgang durch das Gas verstärkt. Das bedeutet auch, dass der Brechungsindex des Cäsium-Gases sehr außergewöhnlich ist und Lichtwellen beschleunigen kann.

Wie aber können diese Lichtwellen Einsteins Gesetze verletzen? Der kritische Punkt ist, dass sie sich als Wellenpaket fortbewegen, und zwar mit einem speziellen Mittelwert, den Physiker als "Gruppengeschwindigkeit" bezeichnen. Diese Geschwindigkeit kann "c" überschreiten, auch wenn keine einzelne Lichtwelle dies tut. Und zwar kann, wenn das Wellenpaket stark verzerrt ist.

Wangs Team vermied solche Effekte. Die Forscher brachten zwei Laserstrahlen auf den Weg, deren Frequenz sich ein klein wenig unterschied. Der Trick erlaubte es ihnen, den Brechungsindex des Cäsium-Gases ganz nach Wunsch abzustimmen und Verzerrungen zu unterdrücken. Die Forscher gingen so jeglichen Vorwürfen aus dem Wege, ihr Geschwindigkeitsrekord beruhe lediglich auf einer altbekannten Veränderung der Form des Wellenpakets. In der Tat ist die Gruppengeschwindigkeit bei ihnen nicht nur größer als "c", sondern negativ: Der Lichtpuls läuft in die entgegengesetze Richtung der Wellen, die ihn tragen. Daher erscheint es so, als verlasse er die Kammer 62 Milliardstel einer Sekunde eher, als er in sie eintritt.

Steht dies in Widerspruch zu den Gesetzen der Kausalität? Nur dann, wenn ein Signal aus der Zukunft die Vergangenheit beeinflussen kann. Dies aber ist nur dann möglich, wenn Informationen in die Vergangenheit geschickt werden. Auch wenn die vorderste Spitze des Wellenpakets im Experiment schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ankommt, dürfte jede in dem Lichtpuls kodierte Information erst später eintreffen. Ursache und Wirkung werden also nicht vertauscht.

Philip Ball

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