Gesundheit: Manchmal ist eine Narbe das kleinere Übel
Von Adelheid Müller-Lissner Im Umkleideraum des Fitnessstudios vergleichen zwei junge Frauen ihre Narben: Beiden ist vor ein paar Monaten ihr „Blinddarm“ entfernt worden: Die eine hat einen fünf Zentimeter großen Hautschnitt am rechten Unterbauch, die andere mehrere kleine punktförmige Veränderungen. Erinnerungen an einen minimal-invasiven Eingriff, für den nicht das Messer angesetzt, sondern spezielle Rohre in den Bauchraum eingeführt wurden.
Von Adelheid Müller-Lissner
Im Umkleideraum des Fitnessstudios vergleichen zwei junge Frauen ihre Narben: Beiden ist vor ein paar Monaten ihr „Blinddarm“ entfernt worden: Die eine hat einen fünf Zentimeter großen Hautschnitt am rechten Unterbauch, die andere mehrere kleine punktförmige Veränderungen. Erinnerungen an einen minimal-invasiven Eingriff, für den nicht das Messer angesetzt, sondern spezielle Rohre in den Bauchraum eingeführt wurden. Warum wurden nicht beide Frauen mit der gleichen Technik operiert?
Beim 119. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der zurzeit in Berlin stattfindet, stand am Dienstag auch diese Frage auf der Tagesordnung. Die Chirurgen diskutierten, welche Daten es über Erfolge der Minimal-Invasiven Chirurgie (MIC) im Vergleich zu konventionellen Verfahren inzwischen gibt. Gut zehn Jahre Erfahrung mit der „Schlüsselloch“-Chirurgie in verschiedenen Einsatzgebieten können die Mediziner überblicken, die Daten haben in unzähligen Studien ihren Niederschlag gefunden.
Nach anfänglicher Euphorie und herber Kritik ist nun die Zeit für die wissenschaftliche Auswertung und den „evidenzbasierten Einsatz“ der Methoden gekommen. „Wir sind aus der stürmischen Phase heraus und müssen nun die Ergebnisse wissenschaftlich prüfen", sagte Friedrich Köckerling aus Hannover.
Für den Patienten hat die MIC Vorteile, die schnell auffallen: Weil kein größerer Hautschnitt gemacht wird, sondern die Instrumente durch kleine Röhren in den Körper eingeführt werden, sind kleinere Narben, schnellere Erholung und weniger Schmerzen zu erwarten.
Die Orthopäden operieren inzwischen vielfach den Meniskus mit Miniinstrumenten, die sie durch das Röhrchen einführen, Urologen durch den Harnleiter hindurch die Prostata. Auch für die Entfernung der Gallenblase wird nur noch in fünf bis zehn Prozent aller Fälle ein 15 Zentimeter großer Schnitt am Rand des Rippenbogens angelegt.
„Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass der Patient sich nach minimal-invasiven Eingriffen schneller erholt", sagte Andreas Encke von der Frankfurter Uniklinik. Dabei spielt sicher der Eindruck eine Rolle, dass ein Eingriff „kleiner“ ist, der kleinere Narben hinterlässt. Doch in einigen Bereichen lässt sich anhand von Werten bestimmter Hormone und molekularbiologischer Marker dieser Eindruck auch objektivieren.
Der Erfolg des Eingriffs bemisst sich aber nicht an der Größe der Narbe. Deshalb ist man in der Tumorchirurgie auch mit dem Einsatz der „Schlüsselloch“-Technik besonders zurückhaltend. Oberstes Prinzip bleibt die Entfernung der bösartigen Geschwulst aus dem gesunden Gewebe. Die Operation von Darmkrebs per Bauchspiegelung wird deshalb bisher nur innerhalb wissenschaftlicher Studien gewagt.
Auf anderen Feldern, wie etwa bei der Operation von Leistenbrüchen, konkurrieren offensichtlich verschiedene „Schulen“. Der konventionelle Schnitt ist nur etwa fünf Zentimeter groß und kann oft in Lokalanästhesie gelegt werden. Gegen die minimal-invasiven Verfahren spricht in den Augen der „offenen“ Operateure auch, dass hier Netze zum Einsatz kommen.
Patient als Übungsobjekt
Köckerling versicherte allerdings, die seien inzwischen leichter und durch Titanbeschichtung verträglicher geworden. Ein Problem bleibt, hier wie bei vielen Einsatzgebieten der MIC, dass der Operateur eine beträchtliche Lernphase braucht. Der für seine offenen Worte bekannte Kölner Chirurg Hans Troidl sagte: „Einer solchen Lernkurve möchte ich meine Angehörigen nicht aussetzen, wenn sie operiert werden müssen.“
Bei der häufigen Blinddarmoperation spielte bisher vor allem die Zeit eine Rolle: Die von den Patienten als „schonender“ betrachtete Operation mit den vorgeschobenen Röhrchen, die Mini-Instrumente und Videokamera in den Bauchraum bringen, dauert inzwischen allerdings nicht mehr länger, wie der Frankfurter Chirurg Rudolf Weiner erklärte. Köckerling wies darauf hin, dass die Komplikationsrate geringer ist als beim herkömmlichen Verfahren.
Von der MIC beim Blinddarm profitieren besonders Übergewichtige, andererseits aber auch Patienten, bei denen sich die Ärzte vor dem Eingriff nicht ganz sicher sind, ob wirklich der entzündete Wurmfortsatz den Grund für die Beschwerden bildet. Dann kann die MIC-Technik genutzt werden, um gleich nach anderen Ursachen zu fahnden.
Jede zweite Klinik in Deutschland bietet inzwischen die Blinddarmentfernung per Endoskop an. Standard ist die MIC beim Blinddarm aber noch nicht. Weil der berühmte Wurmfortsatz meist notfallmäßig entfernt werden muss, haben die Patienten selten die Wahl zwischen verschiedenen Kliniken. Weiners salomonisches Resümee: „Dass überhaupt operiert wird, ist bei der akuten Blinddarmentzündung wichtig. Die Wahl der Methode sollte von der Erfahrung des Operateurs abhängen.“ Was die Narbe betrifft, so kann eigentlich auch der fünf Zentimeter große „Bikini"-Schnitt als minimal gelten.
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