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Gesundheit: Schatten auf der Elite

Amerikas Spitzenunis haben Schwächen, die Deutschland nicht kopieren sollte

Vor kurzem hat das Institute of Higher Education der Shanghai Jiao Tong University eine Rangliste aller Universitäten der Welt aufgestellt. Unter den ersten zehn Universitäten finden sich nur amerikanische Hochschulen mit Ausnahme von Oxford und Cambridge. Zu den ersten 50 Universitäten gehören 35 amerikanische und nur eine einzige deutsche, nämlich die TU München.

Das war einmal ganz anders. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die deutsche Universität ein Exportschlager. Sie war das Modell für die Reform der US-amerikanischen Universität wie zum Beispiel bei den Neugründungen von Johns Hopkins in Baltimore, der Reform von Harvard und der University of Chicago. Studienaufenthalte an deutschen Universitäten waren fast ein „Muss“ für die Besten der akademischen Elite. So studierte W.E.B. Dubois in Berlin, William James bei Wundt in Leipzig und Talcott Parsons in Heidelberg. Bis vor noch gar nicht so langer Zeit war Deutsch Pflichtsprache für amerikanische Chemiker. Heute ist es genau umgekehrt.

Sind die amerikanischen Studenten, Professoren und Hochschulen wirklich so viel besser? Und sollen sich die deutschen Hochschulen nach dem amerikanischen Vorbild reformieren? Um es gleich vorwegzunehmen: Die deutschen Hochschulen sind unterfinanziert und reformbedürftig, aber sie sind – auch im Vergleich zu den meisten amerikanischen Hochschulen – sehr viel besser als ihr Ruf.

In den USA gibt es 4182 Hochschulen, davon 544 Universitäten mit Promotionsstudiengängen. 120 amerikanische Hochschulen gelten als herausragende Forschungsuniversitäten. Der Großteil der amerikanischen Studierenden studiert an Hochschulen, die akademisch eher schlechter sind als das Mittel der deutschen Hochschulen. Die Professoren sind dort weniger qualifiziert, sie haben nämlich meist nicht mehr Forschungsleistungen als die Dissertation erbracht. Ein erheblicher Teil der Lehre wird von adjunct professors und studentischen Tutoren (teaching assistants) bestritten. Viele Lehrveranstaltungen an den großen Staatsuniversitäten sind Massenveranstaltungen mit schematisierten Prüfungen und wenig Kontakt zu den Professoren.

Die etwa 20 bis 30 Spitzenuniversitäten in den USA sind besser, weil sie über sehr viel mehr Finanzausstattung verfügen (Yale zum Beispiel hat ein Vermögen von 11 Milliarden Dollar), weil sie international die besten Professoren anwerben können, diese weniger Stunden unterrichten müssen und weil sie ihre Studenten aus der ganzen Welt aussuchen können. Nach meinen eigenen Erfahrungen unterscheiden sich meine Berliner Soziologiestudenten im Hauptstudium und meine Yale graduate students jedoch gar nicht so gravierend. Die Berliner Studenten sind fachlich besser und breiter ausgebildet, aber von den Yale Studenten wird sehr viel mehr verlangt, und sie verlangen (und bekommen) sehr viel mehr Unterstützung von den Professoren. Deutsche Studenten haben hervorragende Chancen in der Auswahl für Graduate Schools in den besten amerikanischen Universitäten, und es sollten sich mehr darum bewerben.

Die amerikanischen Universitäten haben einige große Probleme, die wir nicht nachahmen sollten.

Studiengebühren. Ich bin für höhere Studiengebühren in Deutschland, weil die staatliche Finanzierung nicht ausreicht und nicht einzusehen ist, dass die Masse der Nicht-Akademiker die Hochschulstudenten subventioniert. Dies setzt allerdings ein funktionierendes und großzügiges Stipendiensystem voraus. Die Studienkosten in den USA galoppierten in den letzten Jahren aber davon. Ein College Jahr an einem privaten College oder einer Universität kostet fast 40000 USD im Jahr. Eine Eliteausbildung droht zum Privileg ökonomischer Eliten zu werden.

Auswahldruck. Der Wettbewerb um die besten Studienplätze führt nicht nur zu einem sehr engen Erfolgsstreben in den High Schools und zu weitverbreiteten Misserfolgserlebnissen, sondern auch zu wahren Exzessen. So gibt es inzwischen eine Reihe von Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, für sehr teures Geld Schüler der High School auf die Bewerbungen und die SAT Tests vorzubereiten (ähnlich den Repetitoren im deutschen Jurastudium). Dies führt zu sozial selektiven Verzerrungen bei der Auslese.

Auch die Vorzugsbehandlung von zum Teil akademisch schwachen Kindern Ehemaliger wie für Präsident Bush und seine Töchter sind ein Skandal für Institutionen, die sich dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit verpflichtet fühlen: 14 Prozent der Yale undergraduates sind Kinder von Yale-Absolventen.

Noch skandalöser ist die Rolle, die der College-Sport an vielen Hochschulen beansprucht, und die damit verbundene Abhängigkeit von den Alumni. Der Football-Coach verdient oft das Vielfache eines Uni-Präsidenten und gute Sportler werden nicht nur bei der Rekrutierung hereingeschummelt, sondern ihnen wird auch bei den Prüfungen nachgeholfen.

Übrigens ist die Ausstattung von Professoren selbst an Spitzenuniversitäten viel karger als an den meisten deutschen Universitäten. Es gibt in der Regel keine oder kaum Sekretariatsunterstützung, keine studentischen Hilfskräfte und schon gar keine wissenschaftlichen Mitarbeiter (es sei denn, es werden dafür Drittmittel eingeworben).

Vieles, was von amerikanischen (Spitzen-)Universitäten wirklich nachahmenswert ist, wird hierzulande gar nicht diskutiert. Der wichtigste Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Universitäten liegt in der Organisation und zum Teil auch der Qualität der Lehre. Der einzelne Kurs ist in den USA wichtiger, oft aber auch standardisierter. Der Kursplan (syllabus) ist sehr detailliert, was die Literatur und die Aufgaben angeht. Meist gibt es neben den vorgeschriebenen Büchern noch eine umfangreiche Sammlung mit kopierten Zeitschriftenartikeln (im Copy-Shop teuer zu kaufen für die einzelnen Veranstaltungen für jeweils 50 bis 80 Dollar). Es wird von den Studenten erwartet, dass sie mehrere hundert Seiten pro Woche lesen und oft mehrere Seminararbeiten pro Semester abliefern. Aber auch die Hochschullehrer (und bei größeren Veranstaltungen die teaching assistants) sind mehr gefordert, Studenten kommen zur Vor- und Nachbereitung häufig in die Sprechstunde.

Ein zweiter wichtiger Unterschied scheint mir darin zu liegen, dass amerikanische Studenten (zumindest an den Spitzenuniversitäten) sehr viel rascher in die Forschung integriert werden. Meine Tochter arbeitete schon vor ihrem Bachelor of Science, also schon vor dem Vordiplom, in der Chemie im Forschungslabor mit, während deutsche Chemiestudenten noch bis zum Diplom breit angelegte Standardexperimente einüben. Die Senior Thesis beim Bachelor unserer Yale-Soziologiestudenten sind häufig schon sehr respektable Forschungsarbeiten. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass es hierzu auch eine Kehrseite gibt. Amerikanische Studenten werden viel rascher spezialisiert und das Studium ist weniger breit angelegt. Es gibt keine Nebenfächer und die eigentliche Anzahl von Kursen in einem Fach dürfte in den USA zwischen der Hälfte und zwei Drittel von dem liegen, was deutsche Studierende an Veranstaltungen durchlaufen.

Ein dritter wichtiger Vorteil amerikanischer Universitäten liegt im sozialen Kontext des Studiums. Die Tatsache, dass undergraduates in dormitories oder residential colleges leben, heißt nicht nur, dass sie sich um viele Alltagsprobleme nicht kümmern müssen, sondern auch, dass sie sich in einem engen sozialen Kontext entwickeln können.

Um sich zu Forschungsuniversitäten zu entwickeln, die mit Harvard, Yale oder Stanford konkurrieren können, müssten die Hochschulen sehr viel mehr Autonomie gegenüber den Landesregierungen erhalten. Ich habe erhebliche Zweifel, ob bestehende Universitäten (und Landesgesetzgeber) zu solchen weitreichenden Reformen fähig sind. Will man in Deutschland wirklich Forschungsuniversitäten einführen, so muss man sie vermutlich neu gründen.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Yale University und Direktor des Center for Research on Social Inequalities and the Life Course (CIQLE) sowie Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Von 1993 bis 1999 war er Mitglied des Wissenschaftsrates, davor Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission.

Karl Ulrich Mayer

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