Gesundheit: Schuften für die Erdnuss
Wer viel körperlich arbeitet, verträgt fetthaltige Nahrung besser – und wie bedenklich sind Spaghetti?
In den 70er Jahren war es das Eiweiß, das die gesunde Ernährung auszeichnete: Viel mageres Fleisch sollte auf den Teller, dazu eine ordentliche Portion Salat. Ein Jahrzehnt später wurden die Sättigungsbeilagen gründlich rehabilitiert: Brot, Getreideflocken, Reis und Nudeln bildeten das Fundament der Ernährungspyramide. Viel Kohlenhydrate, doch wenig Fett sollte der Mensch zu sich nehmen, dazu reichlich Obst und Gemüse. Kommt nun eine weitere Ära?
Zwei Forscher der Harvard School of Public Health in Boston, der Ernährungswissenschaftler Meir Stampfer und der Epidemiologe Walter Willett, halten die Empfehlung, Fett zu meiden und sich an Kohlenhydraten satt zu essen, für veraltet und gefährlich. Die Kritik trifft auch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die seit Jahren rät, den Fettanteil in der Gesamtkalorienmenge auf höchstens 30 Prozent zu beschränken. Macht Fett doch fit?
Ganz so einfach ist es auch für die beiden Kritiker Stampfer und Willett nicht. In einem ausführlichen Beitrag, der jetzt in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft" erschienen ist, werfen sie den Fett-Verächtern vor, zu viel in einen Topf zu werfen: Weil Arteriosklerose in westlichen Ländern häufig vorkomme, wo zugleich auch der Anteil an gesättigten Fettsäuren in der Nahrung hoch sei, rate man zur Magerkost. Dabei müsse man eigentlich nur von tierischen Fetten abraten. Denn einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, wie sie in pflanzlichen Ölen zu finden sind, zeigten den verhängnisvollen Effekt auf die Herzkranzgefäße nicht.
Ihr Blick geht nach Kreta: „Die Bewohner der griechischen Insel verzehren zum Beispiel viel Olivenöl (das reich an einfach ungesättigten Fettsäuren ist) und Fisch (der viel mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthält)." Trotzdem hätten sie weniger Herzkrankheiten als etwa die Japaner, in deren traditioneller Diät Fett eine viel geringere Rolle spielt.
Die Argumentation der Harvard-Forscher bleibt nicht unwidersprochen. Auch sie selbst geben zu bedenken, dass der Lebensstil in die Überlegungen mit einbezogen werden muss. Hier könnte der Haken des freizügigen Umgangs mit der Ölflasche liegen: Denn Fett hat eine hohe Energiedichte, und kretische Bauern verbrennen meist mehr Kalorien als Bostoner Büroangestellte. Ist der Fettanteil der Nahrung hoch, die körperliche Aktivität aber niedrig, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Energiebilanz auf Dauer nicht ausgeglichen bleibt.
Übergewicht aber ist ein anerkannter Risikofaktor für Herz-Kreislaufkrankheiten und für Diabetes. Das spricht gegen die gerösteten Erdnüsse auf dem Couchtisch – auch wenn sie wertvolles Pflanzenöl enthalten. Menschen mit „erhöhter körperlicher Aktivität“ dagegen billigt auch die DGE einen Fettanteil von 35 Prozent in der Nahrung zu.
Noch brisanter ist möglicherweise die zweite Speiseplanumstellung, die die Bostoner Ernährungsexperten fordern: Die klassischen Sättigungsbeilagen Reis, Kartoffeln, Nudeln und Weißbrot sollen ihre zentrale Stellung verlieren. Der Grund: Die leicht verdaulichen Kohlenhydrate lassen den Blutzuckerspiegel nach der Mahlzeit schnell steigen. Ihr „glykämischer Index“, das Maß, in dem sie diesen Anstieg bewirken, ist eine Herausforderung für den Insulin-Stoffwechsel.
Erhöhen Spaghetti und Co das Diabetes-Risiko? Heiner Boeing, Leiter vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potdsam-Rehbrücke, gibt zu bedenken, dass man nicht weiß, „ob die Zufuhr von Lebensmitteln mit hohem glykämischem Index auch dann gesundheitliche Wirkungen hat, wenn die Population normalgewichtig ist und sich körperlich betätigt". Denn nicht nur kretische Bauern, die viel Olivenöl essen, sondern auch chinesische Bauern, die sich überwiegend von Reis ernähren und meist eher mager sind, haben ein geringes Infarkt-Risiko und selten Diabetes. Über dem Streit um den glykämischen Index und das Fett sollte man zudem nicht vergessen, dass beide Seiten über die meisten Elemente einer gesundheitsförderlichen Ernährung erstaunlich einmütig urteilen: Viele Vollkornprodukte sollte sie enthalten, deutlich mehr Pflanzenöl als tierisches Fett aus Schweinefleisch, Butter oder Margarine.
Wichtig sind auf jeden Fall Obst und Gemüse. An dieser Empfehlung wurde seit Jahrzehnten nicht gerüttelt. Boeing plädiert zudem dafür, Teile der Ernährungspyramide offen zu lassen: „Schon die bisher gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, stellt eine besondere Herausforderung dar." Ein bisschen Spielraum dürfe darüber hinaus noch bleiben: für das „hedonistische Prinzip“. Wenn die Bilanz stimmt, darf’s für den einen ein Löffel Olivenöl aus Kreta, für andre ein Schälchen Duftreis aus Thailand mehr sein.
Adelheid Müller-Lissner