Gesundheit: Studie über den Erfolgsfaktor: Herkunft wichtiger als Zeugnisse
Über den Zugang zu Spitzenpositionen der Wirtschaft entscheidet in erster Linie die soziale Herkunft. Zeugnisnoten oder Ausbildungsdauer sind dabei kaum gefragt.
Über den Zugang zu Spitzenpositionen der Wirtschaft entscheidet in erster Linie die soziale Herkunft. Zeugnisnoten oder Ausbildungsdauer sind dabei kaum gefragt. Zu diesen Ergebnissen kommt der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann in seiner neuesten Studie. Für die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Untersuchung wurden die Lebensläufe von 6500 promovierten Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern und Ingenieuren der Jahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985 ausgewertet.
"Der wirklich maßgebliche Erfolgsfaktor ist die soziale Herkunft", erläuterte der Soziologe seine Forschungsergebnisse. In der Wirtschaft gehe es bei den Spitzenpositionen stark danach, ob "die Chemie" stimmt. Hartmann: "Als entscheidend wird empfunden, ob man die gleiche Wellenlänge hat." Oft sei schon in den ersten 30 Sekunden eines Vorstellungsgesprächs klar, ob man zueinander passt. "Drei bis fünf Minuten wird etwas Fachliches erörtert, dann findet man ein anderes gemeinsames Thema, in den USA häufig aus dem Sport. Im stärker traditionell bürgerlich geprägten Deutschland sind das eher kulturelle Themen wie Architektur, Theater oder Musik."
"Jemand muss den Raum füllen", werde beispielsweise von den Managern als Kriterium für erfolgreiches Auftreten genannt. Wichtig sei die Souveränität und Selbstverständlichkeit, mit der sich jemand in diesen Zusammenhängen bewegt. "Und das kann eben am besten, wer dort aufgewachsen ist", erläutert der Soziologe Hartmann. Der beherrsche eben am besten die Situation, den Ton, passende Themen und die geforderte Bekleidung. "Natürlich kann man das auch später noch lernen. Doch wenn eine stressige Situation kommt, patzt man leicht." Wer die Regeln durch den eigenen familiären Kontext so selbstverständlich verinnerlicht habe, könne sie auch am souveränsten brechen. Denn dazu gehöre eben auch das Wissen, wie weit man gehen kann.
Ein weiteres Erfolgskriterium sei, dass jemand sich für riskante Aufgaben meldet. Hartmann: "Auch das kann man leichter im Vertrauen darauf, dass das soziale Netz einen schon auffängt, wenn es tatsächlich mal schiefgeht." Glänzende Aussichten haben aber hauptsächlich die Söhne des gehobenen Bürgertums und noch stärker des Großbürgertums: Ihre Aussichten auf Karrierejobs sind 50 bis 400 Prozent größer bei ebenfalls promovierten Männern aus der Mittelschicht. Für Frauen sieht es insgesamt schlechter aus; denn nur ganze vier von 200 promovierten Frauen haben es auf eine Führungsposition der Wirtschaft geschafft.
Wie lange jemand studiert oder ob er dabei auch einen Auslandsaufenthalt absolviert hat, falle dagegen deutlich weniger ins Gewicht, ergab die Untersuchung. Das gelte bei großen Unternehmen stärker als bei mittleren und kleinen, aber letztlich auch dort. Für die Untersuchung war ein Kriterium, ob ein Proband in das Managerverzeichnis Hoppenstedt beziehungsweise bei Professoren in den Wissenschafts-Kürschner aufgenommen war. Der Hoppenstedt verzeichnet Manager ab dem Geschäftsführer in Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten. Aus den ausgewählten drei Berufsgruppen werden rund 95 Prozent der Spitzenpositionen besetzt.
Rund drei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung gehörten für die untersuchten Jahrgänge zum gehobenen Bürgertum, ganze fünf Promille zum Großbürgertum. Zum Großbürgertum zählen höhere Beamte, leitende Angestellte, akademische Freiberufler und Unternehmer mit mehr als zehn Angestellten. "Diese drei Prozent der Bevölkerung stellen schon 60 Prozent der Promovierten", ordnet der Soziologe seine Ergebnisse ein. "Danach greift noch einmal eine massive Selektion." Mit dem Ergebnis, dass mehr als 80 Prozent der Führungskräfte in der Wirtschaft aus dem gehobenen Bürgertum stammen, fast die Hälfte sogar aus dem Großbürgertum, wie Hartmann bei einer vorhergehenden Untersuchung über die Herkunft deutscher Spitzenmanager herausfand.
"Die Strukturen an der Spitze sind im Prinzip so stabil wie zu Zeiten des wilhelminischen Kaiserreichs", fasst der Soziologieprofessor zusammen. "Die Ideologie von der Leistungsgesellschaft widerlegen diese Ergebnisse deutlich." Eine Standardaussage von Personalfachleuten laute beispielsweise, dass sie am liebsten jemanden einstellen, der sich von unten hochgearbeitet hat. "Doch tatsächlich kommt das äußerst selten vor." Doch sagen diese Ergebnisse auch etwas über die Qualität der Manager? "Ob es anders besser wäre, kann ich nicht sagen", meint Hartmann. Denn das nach sozialen Kriterien ausgewählt werde, heiße ja nicht, dass die Manager "Nieten in Nadelstreifen" sind. Doch bei der sozialen Struktur der Topjobs könne man kaum von einer Bezahlung nach Leistung sprechen. Eher ließen sich die Söhne des Bürgertums ihre soziale Herkunft ein zweites Mal vergolden.
In anderen Industriestaaten setzt sich die oberste Managerschicht sozial ganz ähnlich zusammen. Auch in Nordamerika, Frankreich oder Großbritannien entstammen circa vier Fünftel der Führungskräfte dem gehobenen Bürgertum, bei einem ähnlichen Gesellschaftsaufbau wie in Deutschland.
Eine gegenteilige Entwicklung verzeichnet der Soziologe bei den Professoren. Im Durchschnitt erreichen 6,5 Prozent der Promovierten aus der Normalbevölkerung eine Professur, aber nur vier Prozent aus dem gehobenen Bürgertum. Im Vergleich: In der Wirtschaft erreichen 6,5 Prozent der Promovierten aus der Normalbevölkerung eine Führungsposition, 13,2 aus dem gehobenen Bürgertum und aus dem Großbürgertum sind es 19 Prozent. Bei Großunternehmen wird diese Kluft noch einmal deutlich stärker. "Eine Wirtschaftskarriere scheint erheblich reizvoller zu sein, wohl weil sie mit mehr Macht, Geld und Einfluss verbunden ist", erklärt sich Hartmann dieses Phänomen. Außerdem verlaufe - bei allen Einschränkungen - die Selektion an der Universität, mit Berufungskommisionen und dem Einfluss der Wissenschaftsministerien, offenbar demokratischer als in der Wirtschaft.
Doch wohin werden die vielen anderen verdrängt? Hartmann: "Die Kriterien für Spitzenpositionen gelten auch für Trainee-Programme." Doch nach unten hin sind von Stufe zu Stufe mehr die fachlichen Kriterien gefragt.
Als nächstes möchte Hartmann die Führungsstrukturen der New Economy untersuchen. In den 80er Jahren sei die Informatik in Deutschland zwar eines der sozial offensten Studienfächer gewesen. Doch oft sei aus den Führungsetagen zu hören gewesen, dass sie in der Informatik nur schwer Bewerber mit Führungsqualitäten finden könnten. Heute hätten etliche Söhne erfolgreicher Unternehmer Firmen in diesem Bereich, und es liege nahe, dass die soziale Zusammensetzung der Führungsetagen in absehbarer Zeit ähnlich aussieht wie in den anderen Wirtschaftsbereichen, hat der Soziologe seine nächste Arbeit schon fest im Blick.