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Gesundheit: Von Putsch zu Putsch

Welche Ereignisse haben Saddams Herrschaft den Boden bereitet? Eine kleine Geschichte des modernen Irak

Es geschah am 17. Juli 1968. Mit einem freundlichen „Herzlich Willkommen“ öffnete der Kommandeur einer Panzereinheit, die von Angehörigen der Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei kommandiert wurde, die Tore des Präsidentenpalastes in Bagdad. Präsident Abd al-Rahman Aref ergab sich ohne großen Widerstand und verschwand im Exil. Endlich war die Baath-Partei im Irak an der Macht – ein Militärputsch mit einschneidenden Folgen für den Irak. Wie konnte es zu dem Putsch kommen? Welche geschichtlichen Ereignisse haben Saddams Herrschaft den Boden bereitet?

Der Irak ist ein junges Land. Gerade 50 Jahre war es alt, als die Militärs den Präsidenten verjagten. Vorhergegangen war eine Phase, in der politische Parteien mit ideologischen Ausrichtungen keinen Erfolg haben konnten. Stattdessen entwickelte sich ein komplexes Klientelsystem, bei dem verwandtschaftliche, religiöse und berufliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielten. Als das Osmanische Reich zum Ende des Ersten Weltkriegs zusammengebrochen war, hatten britische Truppen das Land zwischen Euphrat und Tigris besetzt.

Das Schatt al-Arab war ein wichtiger Teil des Golfs bei der Kontrolle des Seewegs zur britischen Kronkolonie Indien. Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs war industriell abbaubares Öl im Irak entdeckt worden. Die drei früheren osmanischen Provinzen Basra, Bagdad und Mosul unter direkte britische Kontrolle zu bringen, erwies sich aber recht bald als illusorisch. Unruhen waren an der Tagesordnung. Dann, 1921, brach ein regelrechter Aufstand aus. Die Bewohner des Zweistromlandes hatten die Thesen des amerikanischen Präsidenten Wilson von der Selbstbestimmung der Völker ernst genommen. Sie forderten ihre Unabhängigkeit. Damit begann das, was man zu Recht als doppelte Moral im Umgang des Westens mit den eigenen demokratischen Idealen bezeichnen kann: Demokratisierungsbewegungen wurden nur dann unterstützt, wenn es den eigenen Interessen diente – also kaum. Getrieben von der Unabhängigkeitsbewegung, die den Parlamentarismus forderte, waren die Briten gezwungen, im Irak eine staatliche Struktur zu etablieren, die irakische Politiker an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligte. Wie in Jordanien setzten die Briten im Irak einen Haschimiten, Prinz Faisal, auf den Thron, weil sie glaubten, beide Könige so besser kontrollieren zu können.

Der neue Staat war nicht einfach zu regieren. Zu unterschiedlich war die ethnische und religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung. Die Mehrheit bildeten die vor allem südlich von Bagdad lebenden Schiiten, die sich ihrerseits aber wiederum aus mit einander konkurrierenden arabischen, iranischen, indischen und zentralasiatischen Gruppen zusammensetzten. Die im Norden des Landes lebenden Kurden stellten einen ständigen Unruheherd für die Regierung in Bagdad dar. In dem Gebiet um Kirkuk, in dem die ersten großen Erdölförderanlagen gebaut wurden, waren Turkmenen die stärkste ethnischen Gruppe. Die ältesten jüdischen Gemeinden des Orients und verschiedene christliche Minderheiten bemühten sich ebenfalls um politischen Einfluss.

Schließlich, am 3. Oktober 1932, endete das britische Völkerbundsmandat über den Irak. Das Land wurde formal unabhängig, und der britische Einfluss nahm erkennbar ab. Inzwischen hatte sich unter Studenten, Intellektuellen, aber auch in Militärkreisen ein irakisch-arabischer Nationalismus entwickelt, der zu einem wichtigen Faktor für die weiteren politischen Ereignisse werden sollte. Immer wieder kam es zu Putschversuchen nationalistischer Offiziere gegen Regierungen, die die Zusammenarbeit mit den Briten betrieben. Kein Wunder, dass es auf die Ablehnung weiter Bevölkerungsschichten stieß, als der Irak während des Kalten Kriegs in die westlichen Bündnissysteme eingebunden wurde. In großen Demonstrationen machten sich die Irakis Luft.

Mehrere Attentate

Außerdem führten die gesellschaftlichen Veränderungen aber auch zu einer Stärkung der Kommunistischen Partei. So stieß der blutige Putsch von General Abd al-Karim Qassem am 14. Juli 1958, der die Monarchie beendete, auf allgemeine Zustimmung in der Bevölkerung. Doch schon bald kam es teilweise zu bürgerkriegsähnlichen Situationen. Mehrere Attentate auf Qassem scheiterten, darunter eins am 7. Oktober 1959, an dem auch Saddam Hussein beteiligt war. Zum Schluss wurde Quassem nur noch von der armen Bevölkerung Bagdads gestützt, um die er sich besonders gesorgt hatte. Bei ihr blieb er bis heute in guter Erinnerung. Bei einem Putsch unter der Führung von Oberst Aref wurde Qassem 1963 getötet.

Aref wurde Präsident und schaltete zunächst die Baath-Partei aus, mit deren Hilfe er an die Macht gekommen war. Aref, ein arabischer Nationalist, machte sich daran, eins der dringendsten Probleme des Landes, den seit Jahren geführten Krieg in Kurdistan, zu beenden. Bevor Aref die Verhandlungen aber beenden konnte, kam er bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Sein Bruder Abd al-Rahman Aref übernahm die Macht, war aber nicht in der Lage, die Entwicklung des Landes zu prägen.

Als 1968 die Baath-Partei unter der Führung von General Hasan al-Bakr die Herrschaft übernahm, hatte sie zunächst eine Reihe von internen Machtkämpfen zu verzeichnen, bei denen sich Saddam Hussein als gerissener und skrupelloser Leiter der parteiinternen und der staatlichen Sicherheitsdienste erwies. Er „säuberte“ die Partei vor allem von schiitischen Anhängern. Wichtigster Faktor der Herrschaftssicherung wurde die Verwandtschaft oder die regionale Herkunft aus Tikrit, der Heimatstadt von Saddam. Die Ausschaltung der Schiiten verbreiterte auch die Anhängerschaft der Baath-Partei in der sunnitischen Bevölkerung.

Die Situation des Landes veränderte sich grundsätzlich nach der Ölkrise von 1973. Unter der Baath-Herrschaft und mit Hilfe der nun hereinsprudelnden Ölmilliarden entwickelte sich der Irak zu einer Entwicklungsdiktatur, die in zahlreichen Nachbarländern über die arabische Welt hinaus als positives Beispiel galt. Vor allem entstand ein breiter Mittelstand aus Akademikern, Kleinunternehmern und Freiberuflern. Im Juni 1979 löste Saddam Hussein seinen Onkel als Staatspräsident ab. Der neue Präsident ist ein intelligenter, völlig skrupelloser Machtpolitiker, dessen große Schwächen seine mangelnde außenpolitische Erfahrung und sein fehlendes militärisches Know How sind. Dies wirkte sich für den Irak gleich zwei Mal verhängnisvoll aus, zuerst beim Angriff auf den Iran 1979. Seine zweite Fehleinschätzung unterlief Saddam Hussein, als er im April 1990 Bemerkungen von amerikanischer Seite als einen Freibrief für einen Angriff auf Kuwait missverstand.

Die Niederlagen haben die innenpolitische Position von Saddam Hussein aber nicht geschwächt. Die Schuld für die ökonomischen und gesellschaftlichen Katastrophen werden von der Bevölkerung auf das von den USA verursachte Embargo zurückgeführt. Ohne eine Einmischung von außen bliebe der Diktator in Bagdad sicher noch weiter an der Macht. Im besten Falle würde der Westen also mit einem amerikanischen Eingreifen das tun, was er immer versäumt hat: Die Demokratisierung im Irak voranzutreiben. Im schlechtesten Falle werden aber jene Zentrifugalkräfte verstärkt, die schon immer am Irak gezerrt haben. Dann würde das Land in seine kurdischen, sunnitischen und schiitischen Einzelteile zerfallen.

Der Autor ist Professor für Islamwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin

Peter Heine

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