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Angela Seitz, Christopher Chiari und der kleine Luca haben den Geburtsmarathon gut überstanden.

© Thilo Rückeis

Protokoll einer Geburt: Warten auf Luca

Ein Kind zu bekommen, ist schon anstrengend genug. Aber darauf warten zu müssen, macht es noch schwerer. Von Angela Seitz (34) und ihrem Partner ChristopherChiari (30) wird viel Geduld verlangt

Tag um Tag vergeht, ohne dass sich Angela Seitz‘ erstes Kind auf den Weg machen möchte. Als sie am Montagmorgen im Krankenhaus Waldfrieden in Zehlendorf ankommt, ist der errechnete Geburtstermin schon elf Tage überschritten. Die Ärzte beginnen um 8 Uhr, die Geburt einzuleiten. Alle sechs Stunden bekommt sie Tabletten, sogenannte Prostaglandine, um den Muttermund weich zu machen. Wann wird es denn nun losgehen, fragt Angela Seitz? Jörg Schreier, Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe will sich nicht recht festlegen. Er hat schon einige Erfahrung mit solchen Situationen: "Die Wehen können in wenigen Stunden starten oder in ein paar Tagen", sagt er. "Eine Geburt ist eigentlich unplanbar."

Donnerstag, 11:00 Uhr 14 Tage ist Angela Seitz nun schon über dem Termin. Seit vier Tagen sind sie im Krankenhaus – sie hatten gehofft, längst wieder im heimischen Wohnzimmer zu sitzen. Aber ihr Sohn lässt sich Zeit. "Mittlerweile kennen uns alle auf der Station schon beim Namen", erzählen beide Eltern im Wartestand. Es klingt ein bisschen verunsichert. Heute morgen wurde ihr eine Art Zäpfchen in den Gebärmutterhals eingeführt. Die Idee dahinter ist, dass die Gebärmutter mit Wehen reagiert, wenn der Muttermund weich genug ist. Und es klappt. Die ersten Wehen setzten ein.

17:00 Uhr Inzwischen ist der Muttermund sechs Zentimeter weit. Er muss sich noch bis auf zehn Zentimeter öffnen, damit der Kopf des Kindes durchpassen kann. Endlich, Angela Seitz wird in Kreissaal Nummer drei verlegt. Der Saal ähnelt einem großen Stationszimmer. Allerdings hängt ein gestreiftes Geburtsseil von der Decke und hinten, unter dem Fenster, steht eine blaue Geburtswanne. Auch ein pinkfarbener Petziball ist vorhanden. Manchen Frauen helfen diese Geräte, die Wehen besser zu verarbeiten. Angela Seitz hat sich für die klassische Variante entschieden. Sie liegt auf einem höhenverstellbaren Metallbett. Das weiß-grüne Krankenhaus-Nachthemd wölbt sich. Darunter ist der Bauch mit dem Baby, das heute kommen soll.

20:15 Uhr Draußen wird es langsam dunkel. Angela Seitz erhält über einen Venenzugang das wehenfördernde Hormon Oxytocin. Ein zweiter Infusionsbeutel enthält eine Kochsalzlösung, um für genug Flüssigkeit im Körper zu sorgen. Momentan sind die Wehenschmerzen erträglich. Sie sagt: "Es war so frustrierend, dass andere Mütter, die viel später ins Krankenhaus gekommen sind als wir, alle schon ihre Kinder bekommen haben." Angela Seitz will, dass es auch bei ihr endlich richtig losgeht. Sie wünscht sich eine natürliche Geburt, weil sie glaubt, das sei das Beste fürs Kind. Ob sie eine PDA legen lässt, hat sie sich offen gehalten. Sie ist zwar eigentlich kein Fan davon, zusätzliche Medikamente zu nehmen, aber als Erstgebärende weiß sie ja nicht, was auf sie zukommt.

"Eine Geburt ist unplanbar", sagt Jörg Schreier, Chefarzt der Geburtshilfe am Krankenhaus Waldfriede.
"Eine Geburt ist unplanbar", sagt Jörg Schreier, Chefarzt der Geburtshilfe am Krankenhaus Waldfriede.

© Thilo Rückeis

20:30 Uhr Angela Seitz ist an ein CTG angeschlossen. Das Gerät misst die Herztöne des Kindes und die Wehentätigkeit der Mutter. Die Daten werden graphisch auf einer Papierrolle aufgezeichnet, die kontinuierlich aus einem Schlitz des Geräts herausrattert. Auf einmal fällt der Herzschlag des Kindes rapide ab. Die diensthabende Ärztin Anja Winkler eilt herbei. Schnell wird Angela Seitz umgelagert, von der linken auf die rechte Seite. Der Herzschlag normalisiert sich wieder.

21:45 Uhr Ein großer Teil des Fruchtwassers läuft ab. Eine Hebamme fängt es mit einer Plastikwanne auf. Der Bauchumfang ist danach schon sichtbar kleiner und der Druck, den Angela Seitz gespürt hat, lässt nach.

22:30 Uhr Eine Anästhesistin wird gerufen. Angela Seitz hat sich jetzt doch für eine PDA entschieden, also einer lokalen Betäubung über die Lendenwirbelsäule. Die Schmerzen wurden zu heftig. Die Anästhesistin tastet am unteren Rücken nach einer geeigneten Stelle, betäubt diese lokal und legt dann die PDA. Mit einem Kühlkissen testet sie an mehreren Stellen, was Angela Seitz noch spürt. Die Anästhesistin warnt sie, dass die PDA keine Betäubung sondern nur eine Schmerzlinderung sei. Würden die Wehen stärker, wird sie diese in jedem Fall merken. Angela Seitz nickt.

23:30 Uhr Währen der ganzen Zeit kommt etwa alle 10 bis 15 Minuten eine Schwester, eine Hebamme oder eine Ärztin in den Kreißsaal und schaut, ob alles in Ordnung ist. Sie verabreichen Angela Seitz Antibiotika gegen Streptokokken der Gruppe B, die für das Neugeborene potenziell gefährlich sein könnten, geben mehrfach Oxytocin nach, erneuern die Kochsalzinfusion, tauschen die Unterlagen aus, nehmen Urin ab, regulieren die Sauerstoffzufuhr für die Maske, die sich Angela Seitz ab und zu aufsetzt und messen den Blutdruck. Ab und zu kontrolliert die Hebamme die Wehentätigkeit und gibt Angela Seitz Tipps, wie sie richtig atmet: tief in den Bauch und langsam.

Freitag, 00:30 Uhr Die Ärztin Anja Winkler erklärt dem Paar, dass sie nachschauen möchte, ob mit dem Kind wirklich alles in Ordnung ist, da das CTG Unregelmäßigkeiten zeigt. Das Bett wird zu einer Art Gynäkologie- Stuhl umgebaut. Eine Lampe leuchtet in das Innere von Angela Seitz. Mit einer langen dünnen Nadel nimmt Frau Winkler vorsichtig ein Blutströpfchen vom Kopf des Babys, das sich noch immer hinter dem Muttermund befindet. Dann eilt sie aus dem Raum, um das Blut zu untersuchen. Dem Baby gehe es bestens, meldet sie nach fünf Minuten.

02:00 Uhr Die Hand von Christopher Chiari liegt auf dem Bettrand. Angela Seitz hält sie mit ihren Fingern umklammert. Sie liegt auf dem Rücken, die Augen geschlossen, über dem Mund die Sauerstoffmaske. Er schaut abwechselnd auf das Gesicht seiner Freundin und auf den Bildschirm des CTG-Geräts. Klettert die kleine orangene Zahl in der rechten Ecke nach oben, kommt eine Wehe. Parallel dazu wird auch das Atmen von Angela Seitz lauter und ihr Gesicht verkrampft sich. Trotz der PDA und mehrmaliger Nachdosierung sind die Wehen schmerzhaft. Mittlerweile hat sich der Muttermund bis auf zehn Zentimeter geöffnet.

03:15 Uhr Das Kind müsste jetzt vom oberen Teil des Beckens in den unteren rutschen. Aber es geht nicht vorwärts. Die Wehen kommen und gehen, der Sauerstoff blubbert, das CTG-Gerät piept. Christopher Chiari redet beruhigend zu seiner Frau und reicht ihr ab und zu einen Plastikbecher mit Wasser.

04:30 Uhr Ärztin Winkler erklärt Angela Seitz und Christopher Chiari, dass sie mit der Oberärztin gesprochen hätte und es beide für das beste hielten, nun doch einen Kaiserschnitt zu machen. Zu Angela Seitz sagt sie: »Sie haben gekämpft wie ein Tiger, aber es geht nicht voran. Besser jetzt den Kaiserschnitt als später, wenn Sie und das Kind schon sehr erschöpft sind.« Angela Seitz nickt still. Auch Christopher Chiari hält es für das Beste. Hauptsache Kind und Mutter überstehen alles gesund.

04:40 Uhr Die Vorbereitungen für die Kaiserschnitt- OP beginnen. Die Oberärztin kommt dazu und die Anästhesistin kommt zurück. Da Angela Seitz noch in guter Verfassung ist, braucht sie keine Vollnarkose, sondern wird nur örtlich betäubt. Die Anästhesistin verabreicht ihr über den Zugang, der für die PDA gelegt wurde, ein anderes, stärkeres Schmerzmittel. Angela Seitz wird auf eine Transportliege umgelagert und in den Operationssaal gegenüber geschoben. Mehrere in grün oder violett gekleidete OP-Schwestern eilen herbei.

05:00 Uhr Der Kaiserschnitt beginnt. Angela Seitz erinnert sich danach, dass im OP zunächst die Stoffwand zwischen ihr und ihrem Unterkörper gezogen wurde. Die Betäubung fängt schnell an zu wirken. Die Anästhesistin spricht die ganze Zeit mit ihr und machte Scherze, um sie abzulenken. Das empfindet sie als sehr hilfreich. Denn sie hat zwar keine Schmerzen, aber spürte unangenehme Ruckbewegungen und Druckverlagerungen. Christopher Chiari darf auch mit in den OP, allerdings nicht auf die Seite des Vorhanges, auf der die Ärzte arbeiten. Eigentlich hatte er sich gewünscht, die Nabelschnur selbst durchzuschneiden, aber das geht nicht. Die Ärzte fürchten, dass ihm übel werden könnte. Er sei von Beruf Bestatter und habe schon einiges gesehen, sagt er. "Aber vielleicht hatten die Ärzte Recht, ich habe wenig gegessen an dem Tag und es war ja sehr spät. Vielleicht hätte mein Kreislauf tatsächlich nicht mitgemacht."

05:19 Uhr Luca ist auf der Welt. Die Hebamme trägt ihn vorbei an Angela Seitz und geht mit ihm in einen Nebenraum. Dort wartet sie einige Minuten ab, ob seine Haut rosig wird und ob er gut alleine atmet. Es ist alles bestens. In ein Handtuch gehüllt übergibt sie ihn Christopher Chiari. Es stellt sich heraus, dass die Nabelschnur einen sehr seltenen, aber losen Knoten hatte. Bei einer natürlichen Geburt hätte er sich womöglich zuziehen können, was die Versorgung des Kindes beeinträchtigt hätte. Eine Gefahrensituation, die der Kaiserschnitt gleich mit vermieden hat.

06:00 Uhr Die Kaiserschnitt-Operation ist abgeschlossen. Im Flur steht schon das Bett aus dem Stationszimmer bereit. Auf dem Kopfkissen liegt ein Hündchen-Plüschtier – eine Spieluhr. Angela Seitz hat sie während der Schwangerschaft oft auf ihren Bauch gelegt und ihrem Sohn vorgespielt. Luca kriegt ein Bettchen, neben dem der Mama. Sie ist sich erst nicht sicher, ob sie ihn über Nacht behalten soll, weil sie sich durch die OP-Naht so schlecht bewegen kann. Wenn etwas passiert, kann sie ihn nicht alleine hochnehmen. Doch die Schwestern beruhigen sie. Der Papa verbringt den Rest der Nacht zu Hause.

Am Dienstag verlassen Luca, Christopher Chiari und Angela Seitz das Krankenhaus als Familie.

Anna Ilin

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