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Bei religiösen Ausschreitungen in der Stadt Nuh kam es zu Toten und Verletzen.

© imago/Hindustan Times/IMAGO/Hindustan Times

Ethnische Gewalt in Indien: Muslime und Christen werden verfolgt und ermordet

Immer wieder greifen hinduistische Extremisten Muslime in Indien an. Besonders schlimm ist die Lage in den Bundesstaaten, die von der Partei von Premierminister Modi regiert werden.

Ein Gastbeitrag von Sushant Singh

Chetan Singh war ein Bahnschutzbeamter, zuständig für die Sicherheit eines Zuges in der indischen Stadt Mumbai - bis er am 31. Juli drei muslimische Fahrgäste auswählte und sie kaltblütig erschoss. 12 Schüsse feuerte der Beamte aus seinem automatischen Gewehr ab.

Er tötete aus Hass, die Tat bereut er nicht. In einer kurzen Stellungnahme nahm er nach seinem Verbrechen sogar stolz Bezug auf den indischen Premierminister Narendra Modi, der immer wieder die Muslime provoziert.

Wo Modis Partei regiert, ist die Lage besonders schlimm

Besonders schlimm ist die Lage unter anderem in Uttarakhand, einem Bundesstaat, der von Modis Bharatiya Janata Party (BJP) regiert wird. Dort versucht die Partei ein Deva Bhoomi – ein heiliges Land der Hindus – zu schaffen.

Hinduistische Extremistengruppen markierten Häuser und Geschäfte von Muslimen mit schwarzen Kreuzen und forderten sie auf, zu gehen. Die Regierung unternahm nichts dagegen.

In Haryana, einem weiteren von Modis BJP regierten Bundesstaat, wurden zwei junge muslimische Männer von einer Bande sogenannter Kuhschützer gelyncht. Der Grund für die Tat: Sie wurden verdächtigt, Kühe, die einige Anhänger des Hinduismus als heilig ansehen, zu transportieren.

Sie reihen sich ein in eine lange Liste jener muslimischen Männer, die seit 2014 unter dem unbewiesenen Vorwurf, Rindfleisch gegessen oder die Tiere transportiert zu haben, getötet wurden. Offizielle Ermittlungen und eine Bestrafung dieser Taten bleiben oftmals aus.

Religiöse Mehrheit nach Bundesstaaten, Anteil der größten Gruppe an der Gesamtbevölkerung

© pewresearch.org/religion/2021, Zensus 2011, Tagesspiegel/Rita Böttcher

Anfang dieses Monats wurde in Gurgaon, einem Vorort von Delhi, in dem viele weltweit tätige Unternehmen ihren Sitz haben, eine Moschee angegriffen und der muslimische Priester erstochen. Zuvor war es zu Ausschreitungen und Gewalttaten während einer Prozession im - ebenfalls von der BJP regierten - benachbarten Bundesstaat Haryana gekommen. Extremistischen Hindutva-Gruppen waren durch mehrheitlich muslimische Gebiete in der Stadt Nuh gezogen.

Die Polizei des Bundesstaates verhaftete wahllos junge muslimische Männer, während die Regierung Bulldozer einsetzte, um 1.200 Geschäfte und Häuser von Muslimen zu zerstören. Schließlich schaltete sich das Oberste Gericht ein, um diese kollektive Bestrafung zu stoppen, da die Vorgänge den Anschein einer ethnischen Säuberung erweckten.

Indische Spezialeinheiten sichern eine Straße in Haryana, Indien.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Pradeep Gaur

Mobs plündern Waffen- und Munitionslager der Polizei

Ethnische Säuberung ist ein Begriff, der nicht leichtfertig verwendet werden sollte, aber er trifft genau das, was im östlichsten Bundesstaat des Landes, Manipur, geschieht, der auch von Modis Partei regiert wird.

Der an Myanmar grenzende Bundesstaat wird seit mehr als drei Monaten von unerbittlicher Gewalt heimgesucht. Mehr als 160 Menschen sind tot, 60.000 sind obdachlos, mindestens 300 Kirchen und 200 Dörfer wurden niedergebrannt. Die Waffenlager der Staatspolizei wurden geplündert und fast 5.000 tödliche Waffen – darunter Mörser, Maschinengewehre und Automatik-Waffen – sowie mehr als 630.000 Schuss Munition von den Mobs erbeutet.

Ein verwüsteter Spiritousenladen in der Stadt Nuh.

© imago/Hindustan Times/IMAGO/Hindustan Times

Das Ziel ist die Minderheitengemeinschaft der Kuki, die christlichen Glaubens sind und in den Hügeln leben. Die Gewalttäter sind die Meitei, eine ethnische Gruppe innerhalb der größten hinduistischen Gruppe, die die politische Macht im Bundesstaat kontrolliert. Polizei und Regierung des Bundesstaates stellen sich auf die Seite der Mehrheitsgruppe.

Misstrauensvotum gegen den Premierminister

Bislang wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, und Modi hat sich nicht auf das Gesetz berufen, um Manipur unter seine direkte Herrschaft zu bringen. Modi hat den Bundesstaat weder besucht noch eine offizielle Sitzung zu diesem Thema geleitet.

Nach 80 Tagen der Gewalt nahm er in 30 Sekunden Stellung, als das Video eines sexuellen Übergriffs auf zwei Kuki-Frauen im Internet auftauchte und für große öffentliche Empörung sorgte. Seine Weigerung, im Parlament über Manipur zu sprechen, zwang die Oppositionsparteien, einen Misstrauensantrag gegen seine Regierung zu stellen. Selbst dann sprach er in einer zweistündigen Rede kaum fünf Minuten über die schrecklichen Vorfälle.

Proteste gegen die Gewalt in Haryana.

© imago/Hindustan Times/IMAGO/Hindustan Times

Manipur ist physisch zwischen den Gemeinschaften der Kuki und der Meitei durch eine Pufferzone geteilt, die von den dorthin entsandten Bundestruppen besetzt ist. Die durch eine anhaltende politische und sicherheitspolitische Krise verursachte Instabilität hat auf die Nachbarstaaten und -länder übergegriffen, während der indische Staat seine Autorität und Glaubwürdigkeit verloren hat.

Die Bewegung scheint von den antimuslimischen Unruhen in dem Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002 inspiriert zu sein, wo Modi damals Regierungschef war. Die USA zogen sein Visum zurück, und andere westliche Länder mieden ihn. Erst als er 2014 Premierminister von Indien wurde, konnte er wieder Fuß fassen.

Indien ist ein Land mit vielen unterschiedlichen religiösen, sprachlichen, ethnischen, kulturellen oder sozialen Merkmalen, die in der Verfassung verankert werden müssen. Modis ideologisches Ziel ist es stattdessen, sie in ein einheitliches Modell mit einer einzigen Sprache, einer einzigen Religion und einer einzigen Nation zu pressen. Seine Versuche, Hindi als Nationalsprache durchzusetzen, stoßen bereits auf den Widerstand der wohlhabenderen südindischen Bundesstaaten des Landes.

Die zahlreichen Unterschiede, historischen Hintergründe und geografischen Gegebenheiten Indiens machen es erforderlich, dass das Land nur als integrative, pluralistische, säkulare und liberale Demokratie vorankommen kann. Wenn es als exklusives ethno-nationalistisches Projekt umgesetzt wird, wie es Modi versucht, wird es verschiedene Verwerfungen im Land aufbrechen, sie verbreitern und zementieren, die letztlich Indiens Existenz bedrohen könnten. Die Ausschreitungen von Manipur sollten Warnung genug sein.

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