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Kidnapping-Krise in Nigeria: So will die Regierung verschleppte Kinder zurückholen
Zahlreiche Entführungen von Kindern und Jugendlichen in Nigeria bringen die Führung des Landes in Bedrängnis. US-Präsident Trump droht sogar mit Militärschlägen. Und nun?
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Für die Eltern sind es größte Qualen: die Angst, die Ungewissheit, die Sorgen um ihre verschwundenen Kinder. „Ich bete, dass mein Kind sicher und gesund zurückkehrt“, sagte Joseph Dima aus Nigeria mit brüchiger Stimme vor wenigen Tagen einem Kamerateam der Nachrichtenagentur AP.
Dimas siebenjähriger Sohn ist eines von mehr als 300 Kindern, die am 21. November in der katholischen Schule des Orts Papiri im Bundesstaat Niger entführt wurden. 50 Schülerinnen und Schülern konnten zwei Tage später fliehen und zu ihren Familien zurückkehren.
Verlassene Klassenräume mit leeren Schulbänken
Doch vom Großteil der Kinder fehlt jede Spur. Die Bilder ihres verlassenen Klassenzimmers mit leeren Schulbänken gehen seither um die Welt. Sie sind zum Symbol für die Kidnapping-Krise in Nigeria geworden.
Der Überfall auf die Schule hat Politik und Öffentlichkeit in dem westafrikanischen Land aufgeschreckt.
„Das ist ein nationaler Notfall, und wir antworten darauf mit der Entsendung von mehr Bodentruppen“, teilte Präsident Bola Tinubu am 26. November per Online-Statement mit. Und: „Ich habe beschlossen, den landesweiten Notstand auszurufen und zusätzliche Rekrutierungen für die Streitkräfte anzuordnen.“

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Der seit 2023 amtierende Staatschef will die Täter so schnell wie möglich zur Strecke bringen und weitere Entführungen verhindern. Dafür soll die Armee deutlich aufgestockt werden, die Polizei um 30.000 Beamtinnen und Beamte anwachsen.
Auch Tausende staatliche Leibwächter von Spitzenpolitikern und anderen Prominenten sollen für diesen Kampf eingezogen werden. Kann das die Kidnappings stoppen?
Das ist ein nationaler Notfall, und wir antworten darauf mit der Entsendung von mehr Bodentruppen.
Bola Tinubu, Nigerias Präsident
Das Problem gibt es in Nigeria seit Jahren. Mehr als 1500 Menschen sind seit 2014 in den abgelegenen Savannen-Regionen im Norden und Westen verschleppt worden, wo die meisten Menschen als Kleinbauern von Ackerbau und Viehzucht leben.
Dschihadisten und Banditen
Dort treiben bewaffnete Gruppen ihr Unwesen: Islamisten wie jene der Dschihadistengruppe Boko Haram, aber auch Banditen, die es auf Lösegeld abgesehen haben.
In schrecklicher Erinnerung ist vielen die Entführung von 276 Schülerinnen aus dem Ort Chibok im April 2014 durch Kämpfer von Boko Haram. Bis heute sind 82 der Mädchen verschwunden.
Dass die nigerianische Regierung nach dem jüngsten Überfall in Papiri sowie Angriffen auf eine weitere Schule und eine Kirche binnen weniger Tage in die Offensive gehen will, hat nicht nur innenpolitische Gründe.

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Zwar sind die Entführungen in den Medien des Landes das Hauptthema. Im Norden sind aus Angst vor weiteren Überfällen zahlreiche Schulen geschlossen. Doch auf Staatschef Tinubu lastet auch Druck von außen.
Donald Trump droht
So hat US-Präsident Donald Trump Anfang November mit Militärschlägen gedroht, sollte das Land einen angeblichen „Genozid“ an der christlichen Bevölkerung nicht unterbinden. Die Regierung in Abuja weist die Vorwürfe zurück.
„Tatsächlich greifen die Islamisten immer wieder gezielt Christen an“, sagt der nigerianische Politikwissenschaftler Olumide Abimbola, Direktor des „Africa Policy Research Institute“ in Berlin.
„Die meisten Opfer von Boko Haram und anderen Terrorgruppen sind allerdings Muslime, die in den Augen der Extremisten nicht konservativ genug leben.“ Von einem Völkermord an Christinnen und Christen könne also keine Rede sein.
Es wird mehr als ein paar Wochen oder Monate dauern, um die Kidnapping-Krise zu beenden. Die Frage ist, ob der US-Präsident so viel Geduld hat.
Olumide Abimbola, Direktor des Africa Policy Research Institute in Berlin
Doch dass der Überfall in Papiri Kinder aus einer katholischen Schule getroffen hat, dürfte im Trump-Lager die Erzählung von der Christen-Verfolgung weiter nähren.
„Das Thema wird die Beziehungen zwischen Nigeria und den USA wohl noch eine Weile bestimmen“, sagt Abimbola. Präsident Tinubu ist deshalb um Deeskalation bemüht. Vor zwei Wochen schickte er eine Delegation nach Washington, um bei Verteidigungsminister Pete Hegseth die Wogen zu glätten.
Allerdings kündigte US-Außenminister Marco Rubio am Mittwoch an, jenen Menschen aus Nigeria Visa zu verweigern, die für Gewalt gegen Christen in dem westafrikanischen Land verantwortlich sein sollen.
Lob für erste Erfolge
In Nigeria selbst versucht man, das Kidnapping-Problem in den Griff zu bekommen. Am Montag erklärten 19 Gouverneure ihre Unterstützung beim Ausbau der Polizei und lobten einen ersten Erfolg der Regierung: Die habe zuletzt „jeden Stein umgedreht, um die schnelle Befreiung von einigen Kindern sicherzustellen“.
Vor einer Woche hatten Sicherheitskräfte 24 Mädchen gerettet, die im Bundesstaat Kebbi verschleppt worden waren. Auch einigten sich die Landeschefs darauf, bis auf Weiteres den Bergbau im rohstoffreichen Norden auszusetzen. Das soll illegale Minen stilllegen, mit denen Islamisten und Banditen ihre Aktivitäten finanzieren.
Experte Abimbola ist zuversichtlich, dass die neuen Anstrengungen der Regierung die Entführungswelle eindämmen können.
„Das Problem ist: Die Sicherheitslage in Nigeria ist seit Jahren sehr schwierig“, sagt er. „Es wird also mehr als ein paar Wochen oder Monate dauern, um die Kidnapping-Krise zu beenden. Die Frage ist, ob der US-Präsident so viel Geduld hat.“
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