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„Moral im Gesundheitswesen auf historischem Tiefstand“: Britische Assistenzärzte starten Rekordstreik
Assistenzärzte in Großbritannien wollen für sechs Tage die Arbeit niederlegen. Sie fordern eine höhere Bezahlung angesichts der gestiegenen Inflation.
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In Großbritannien haben Assistenzärzte mitten in der Erkältungssaison im Winter den längsten Streik in der Geschichte des staatlichen Gesundheitsdienstes begonnen. Die Assistenzärzte wollen von Mittwoch an für sechs Tage ihre Arbeit niederlegen.
Die Gewerkschaft British Medical Association (BMA) forderte die Regierung zu einem „glaubwürdigen“ Gehaltsangebot auf, um die Streiks zu beenden. „Die Moral im gesamten Gesundheitswesen ist auf einem historischen Tiefstand. Viele werden sich fragen, ob es sich noch lohnt, den gewählten Beruf auszuüben – die Regierung hat die Chance, diesen Ärzten zu zeigen, dass sie in diesem Land noch eine Zukunft haben“, erklärte die BMA.
Ärzte haben in Großbritannien im vergangenen Jahr bereits mehrfach gestreikt, um angesichts der steigenden Inflation eine höhere Bezahlung einzufordern. Der staatliche Nationale Gesundheitsdienst (NHS), der seit seiner Gründung 1948 eine kostenlose Gesundheitsversorgung anbietet, hat seit Beginn der Streiks 2023 insgesamt 1,2 Millionen Termine abgesagt. Mehr als 7,7 Millionen Menschen suchen auf Wartelisten eine Behandlung.
Lohnerhöhung um 35 Prozent gefordert
Die Gewerkschaft fordert eine Lohnerhöhung um 35 Prozent, die ihrer Ansicht nach nötig ist, um die Auswirkungen der Inflation über mehrere Jahre hinweg zu decken. Die Gespräche mit der Regierung, die ein Plus von acht bis zehn Prozent anbot, wurden abgebrochen. Die Gewerkschaft argumentiert, dass das Angebot „für viele Ärzte immer noch eine Gehaltskürzung bedeuten würde“.
Zuletzt hatten die Assistenzärzte vor Weihnachten drei Tage lang die Arbeit niedergelegt. Bei den sogenannten „junior doctors“ handelt es sich um qualifizierte Mediziner mit oft mehrjähriger Erfahrung, die unter der Leitung von Oberärzten arbeiten und einen großen Teil der Ärzteschaft ausmachen.
„Dieser Januar könnte einer der schwierigsten Jahresanfänge sein, die der NHS je erlebt hat“, sagte NHS-Direktor Stephen Powis am Dienstag. „Die Maßnahme wird nicht nur enorme Auswirkungen auf die geplante Versorgung haben, sondern kommt noch zu einer Reihe von saisonalen Belastungen wie Covid, Grippe und krankheitsbedingten Abwesenheiten des Personals hinzu.“
Vor einem Krankenhaus in London hielten streikende Mediziner Schilder hoch, auf denen sie etwa eine bessere Finanzierung des NHS forderten. „Viele Ärzte ziehen nach Australien, nicht nur wegen der Bezahlung, sondern auch, weil die Work-Life-Balance besser ist“, sagte die 28-jährige Ärztin Georgia Blackwell.
„Andere Länder verstehen, dass Ärzte hier nicht angemessen bezahlt werden und sie machen viel bessere Angebote“, sagte der Medizinstudent Shivani Ganesh.
Assistenzärzte verdienen im ersten Jahr 37.000 Euro
Assistenzärzte in England verdienen nach Angaben der Regierung in ihrem ersten Berufsjahr etwa 32.000 Pfund (etwa 37.000 Euro). Der Ärztegewerkschaft British Medical Association (BMA) zufolge sind die Gehälter seit 2008 unter Berücksichtigung der Inflation um fast ein Viertel gesunken.
Die Inflation in Großbritannien fiel in den vergangenen zwei Jahren noch höher aus als in vielen anderen westlichen Staaten. Gesundheitsministerin Victoria Atkins warnte vor den „ernsthaften“ Auswirkungen, die der Streik auf die Patienten habe.
Mehr als 1,2 Millionen Termine hätten seit dem Start des Arbeitskampfes verschoben werden müssen, gab sie an. Im vergangenen Monat seien es 88.000 Termine gewesen. „Ich fordere den Assistenzarzt-Ausschuss der BMA dazu auf, ihren Streik abzusagen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sodass wir eine faire und vernünftige Lösung finden können, um die Streiks ein für allemal zu beenden“, erklärte Atkins.
Gewerkschaftsvertreter Robert Laurenson hingegen sagte, dass Streiks das einzige seien, worauf die britische Regierung reagiere. Er warnte, dass es weitere Aktionen geben könne, wenn London kein „glaubwürdiges“ Angebot vorlege. (Reuters/AFP)
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