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Palästinenser feiern die Einigung auf die Feuerpause

© Belal Abu Amer/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Nahost: Gaza-Deal gebilligt - wo liegen die Stolpersteine?

Die Hoffnungen sind groß - bei den Angehörigen der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln und der Bevölkerung des Gazastreifens, die schwer gelitten hat. Doch ist der Weg zum Frieden greifbar?

Stand:

Tel Aviv (Gaza) - Mit der Zustimmung des israelischen Kabinetts zum Gaza-Deal ist der Weg zur Waffenruhe im Gazastreifen geebnet. Doch der Weg zum Frieden ist noch weit. Auch kurzfristig müssen nach gut zwei Jahren Krieg noch einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden.

- Nach zwei Jahren Gazakrieg ist das Misstrauen auf beiden Seiten groß, so hochrangige amerikanische Regierungsvertreter. Das Vertrauen, dass der 20-Punkte-Plan auch tatsächlich eingehalten werde, sei gering. So vertraue die Hamas etwa nicht darauf, dass Israel tatsächlich den Krieg nicht wieder aufnimmt - gerade wenn die Geiseln als wichtigstes Faustpfand der Islamisten übergeben sind. Israel dagegen ist voller Misstrauen, ob die Hamas wirklich im Laufe des vereinbarten Plans die Waffen abgeben wird. „Es herrscht echte Angst davor, was als Nächstes passieren wird“, hieß es bei den US-Vertretern.

- Ein Knackpunkt ist dabei: Wird die Hamas ihre Waffen abgeben - und wie kann garantiert werden, dass die Islamisten tatsächlich keinen Zugriff mehr auf Waffen haben und auch künftig nicht haben werden? Die Entwaffnung der Islamisten soll dem Friedensplan zufolge in einer zweiten Phase erfolgen.

Hamas-Führer Chalil al-Haja ging in seiner Rede über die Vereinbarung am Donnerstagabend nicht auf diese Frage ein. Er betonte lediglich, die Hamas werde weiterhin mit nationalen und islamischen Gruppen zusammenarbeiten, um die Bestrebungen des palästinensischen Volkes um die Gründung eines unabhängigen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt zu erreichen. Für die israelische Regierung, die in den vergangenen Monaten die Anerkennung Palästinas als Staat durch immer mehr Staaten als Belohnung für Terror kritisiert hatte, ein No-Go.

- Ohnehin ist die Zukunft des Gazastreifens vorerst vage. Die Regierung von Benjamin Netanjahu will einen Palästinenserstaat verhindern. Das gilt auch für einen etwaigen Einfluss der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die bislang nur im Westjordanland regiert. Dem Friedensplan zufolge sollen zunächst Stabilisierungseinheiten verschiedener Staaten für Sicherheit im Gazastreifen sorgen. Doch wann Soldaten der Türkei, Katars, Ägyptens und anderer Staaten vor Ort sein werden und wie ein Sicherheitsvakuum vermieden wird, ist weiterhin unklar. Auch einen Zeitplan zum Aufbau einer neuen Verwaltung im Gazastreifen gibt es bisher nicht. 

- Die Einlösung der Zusage, alle Geiseln freizugeben, dürfte problematisch sein. Denn bereits während der Verhandlungen war aus Hamas-Kreisen zu hören, dass man nicht weiß, wo sich alle sterblichen Überreste der toten Geiseln befinden. Von bis zu 15 toten Geiseln, deren Aufenthaltsort unbekannt sei, war in unterschiedlichen Angaben die Rede. Das liegt unter anderem daran, dass sich Geiseln auch in der Gewalt anderer islamistischer Gruppen im Gazastreifen befinden oder befanden. Hinzu dürften die Kriegszerstörungen kommen. Für die betroffenen Angehörigen, die sich von der Beerdigung einen Abschied von ihren toten Angehörigen den und Beginn eines Heilungsprozesses erhoffen, dürfte dies ein schwerer Schlag sein.

Kritik gibt es deshalb auch von einer Angehörigenorganisation: „Das derzeitige Abkommen sieht keine verbindlichen Zeitpläne vor, und es gibt keine Druck- und Strafmechanismen, die nötig wären, um die Rückgabe aller sterblichen Überreste für eine ordnungsgemäße Bestattung in Israel sicherzustellen“, hieß es in einer Stellungnahme.

- Im Austausch für die Geiseln werden mehr als 2.000 Palästinenser freigelassen, darunter 250, die zu lebenslanger Haft verurteilt waren. Schon vor der Abstimmung über den Gaza-Deal hatten die rechtsextremen Minister im Kabinett von Benjamin Netanjahu gegen diesen Teil des Plans protestiert, Polizeiminister Itamar Ben-Gvir stimmte dagegen. 

Gegenwind gibt es auch von einer Organisation von Familien, deren Angehörige Opfer terroristischer Anschläge wurden. Sie hat beim obersten Gericht Israels einen Einspruch gegen die Freilassung von Terroristen im Rahmen der Vereinbarung erhoben. Das Gericht solle die Regierung anweisen, keine Terroristen freizulassen, die erneut morden könnten, berichtete das Nachrichtenportal ynet. „Das Blut unserer Kinder ist zu einer Währung geworden. Wir werden niemals Gerechtigkeit erfahren“, so die Organisation. Für die Hamas wiederum ist die Freilassung der Gefangenen die Basis, um ihrerseits Geiseln zu übergeben.

Welche Gefahr künftig von den freigelassenen Gefangenen ausgeht und ob sich die nach dem 7. Oktober festgenommenen Palästinenser im Gefängnis weiter radikalisiert haben, bleibt abzuwarten. Umgekehrt ist nach den vorangegangenen gezielten Tötungen hoher Funktionäre der Hamas und anderer islamistischer Organisationen unklar, ob Israel diese Praxis fortsetzt. Das dürfte das wechselseitige Vertrauen weiter erschweren.

- Selbst wenn die Waffenruhe hält - der Terrorangriff der Hamas und der zweijährige Krieg haben tiefe Wunden auf beiden Seiten geschlagen. Noch völlig offen ist, wie die Erfahrung des längsten Krieges im Küstenstreifen in den Menschen weiter wirkt und zu Hass und dem Wunsch nach neuer Gewalt geführt hat. 

Unabhängig von der Umsetzung des Gaza Deals bleibt das Gewaltpotenzial radikaler Siedler im Westjordanland, die in den vergangenen Monaten ihre Angriffe auf palästinensische Dörfer verstärkt haben. 

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© dpa-infocom, dpa:251009-930-140626/5

Das ist eine Nachricht direkt aus dem dpa-Newskanal.

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