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Pierre Poilievre, der Spitzenkandidat der Konservativen (links) und der liberale Premierminister Mark Carney verurteilten Trumps Angriffe auf Kanada.

© REUTERS/Christopher Katsarov

Wahlen in Kanada: Die Kanadier beunruhigten die Mietpreise – doch dann kam Trump

Zölle, „Gouverneur“, 51. Bundesstaat: Immer wieder provozierte der US-Präsident den nördlichen Nachbarn. Doch die Kanadier sorgen sich auch um andere Probleme, sagen Experten.

Stand:

Wenn sich ein Großteil der knapp 30 Millionen wahlberechtigten Kanadierinnen und Kanadier am Montag auf den Weg ins Wahllokal macht, geht es vor allem um eine Frage: Bleiben die Liberalen um den derzeitigen Premier Mark Carney an der Regierung? Oder können die Konservativen zum ersten Mal seit etwa zehn Jahren die Macht zurückgewinnen?

Gewählt wird in 343 Wahlbezirken. Das riesige Land hat sechs Zeitzonen, entsprechend versetzt werden am Montag die Ergebnisse erwartet. Die Provinzen selbst haben dabei zum Teil eine beachtliche Größe. Zum Vergleich: Die flächenmäßig größte Provinz Quebec ist mit 1.540.680 Quadratkilometern etwa fünfmal so groß wie Deutschland.

Vier größere Parteien treten dabei gegeneinander an: die Liberalen, die Konservativen, die New Democrats und der Bloc Québécois. Eine realistische Chance auf den Wahlsieg und das Amt des Premiers haben aber nur die Liberalen und die Konservativen.

Dass diese Wahl besonders im Fokus steht, zeigt sich auch an den bereits abgegeben Stimmen. Am Donnerstag vergangener Woche hatten nach Angaben des kanadischen Fernsehsenders CBC bereits 7,3 Millionen Kanadier ihre Stimme abgegeben. Das Land erwartet eine Rekordwahlbeteiligung.

Das hat nicht unwesentlich mit einer Person zu tun, die gar kein kanadischer Staatsbürger ist, aber großen Einfluss auf den Wahlkampf hatte: Donald Trump.

Donald Trumps Zollpolitik hat weltweit große Verunsicherung ausgelöst.

© dpa/Mark Schiefelbein

Seit Monaten kokettiert der US-Präsident damit, dass er Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen will, zudem belegte er den Nachbarn im Norden mit hohen Zöllen. Den ehemaligen kanadischen Premier Justin Trudeau, der im März nach einer Regierungskrise sein Amt abgab, nannte er abfällig „Gouverneur Trudeau“.

Kanadier reagierten mit Trotz und Nationalstolz auf Trump

Die Kanadier reagierten mit Trotz und Nationalstolz. Die Regierung erhob nach Trumps Vorstoß Gegenzölle. Seit Wochen boykottieren viele Kanadier zudem Waren aus den Vereinigten Staaten, als Reaktion auf Trumps Zölle entfernten viele Supermärkte amerikanische Produkte aus den Regalen.

Die als freundliches Volk bekannten Kanadier buhten bei Eishockeyspielen, wenn die amerikanische Hymne gespielt wurde. Übers Land verteilt fanden Proteste gegen Trump statt.

Zudem wollen die Kanadier offenbar ihren südlichen Nachbarn nicht mehr besuchen. Viele stornierten Flüge, Hotels und Busreisen. Einer Schätzung der Datenanalyse-Firma Tourism Economics zufolge könnte der Tourismus von Kanada in die USA in diesem Jahr um 20 Prozent einbrechen, was die Vereinigten Staaten 3,4 Milliarden Dollar kosten würde.

Immer wieder demonstrieren die Kanadier gegen Trumps Annexions-Fantasien.

© IMAGO/Middle East Images/IMAGO/Dominic Gwinn

Kanadische Politiker kritisierten einstimmig das Verhalten und die Aussagen Trumps – darunter auch die beiden Spitzenkandidaten.

Kurzum: Dessen Attacken und der von ihm angezettelte Handelskrieg haben dem kanadischen Wahlkampf eine ganz neue Wendung gegeben. Anfang des Jahres lag der konservative Pierre Poilievre, dem selbst ein Trump-artiger Stil nachgesagt wird, in den Umfragen deutlich vorn.

Etwa 19 Prozent der Wähler betrachten Trumps Einfluss als wichtigen Faktor für ihre Wahlentscheidung.

Seitdem jedoch fiel er deutlich zurück, derzeit liegen die beiden Parteien gleichauf, zum Teil mit leichten Vorteilen für die Liberalen um Mark Carney. Der 60-Jährige hatte Justin Trudeau im März als Premierminister abgelöst.

„Pierre Poilievre wird aufgrund seiner populistischen Rhetorik und seiner Nähe zu Positionen des US-Präsidenten von politischen Gegnern als ‚Trump light‘ dargestellt“, sagt Yvonne Denz, Geschäftsführerin der Deutsch-Kanadischen Industrie- und Handelskammer in Toronto.

Die Liberalen profitierten deshalb von der Anti-Trump-Stimmung, die Konservativen hingegen würden an Boden verlieren. „Im Wahlkampf zeigt sich Poilievre zwar ebenfalls empört über die Übergriffigkeit des US-Präsidenten, schlägt aber einen weniger konfrontativen Ton gegenüber Washington an als Premier Carney“, sagt Denz. Trump habe einen „nationalen Reflex“ ausgelöst. „Etwa 19 Prozent der Wähler betrachten seinen Einfluss als wichtigen Faktor für ihre Wahlentscheidung“, sagt sie.

Insbesondere für die älteren Wählerinnen und Wähler über 50 hat die Wahrung der Souveränität Kanadas gegen den übergriffigen Trump und die Abwehr der Zollpolitik Trumps oberste Priorität.

Entscheidend sei zudem, dass sich die Stimmung unter den älteren Kanadiern geändert habe, sagt Martin Thunert, Politikwissenschaftler und Kanada-Experte am Heidelberg Center for American Studies der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

„Insbesondere für die älteren Wählerinnen und Wähler über 50 hat die Wahrung der Souveränität Kanadas gegen den übergriffigen Trump und die Abwehr der Zollpolitik Trumps oberste Priorität“, sagt er dem Tagesspiegel. „Davon profitiert die Liberale Partei weitaus mehr als die Konservative.“

Doch jenseits von Trumps scharfer Rhetorik und dessen Einfluss auf die Wahl gibt es drängende Probleme, die für die Kanadierinnen und Kanadier wichtig sind. Die Top-Themen waren laut Umfragen dabei vor allem die wirtschaftliche Lage, die hohe Inflation, die gesundheitliche Versorgung – und die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Immobilien- und Mietpreise.

Diese seien mit „das beherrschende Thema im kanadischen Wahlkampf, insbesondere für junge Wähler zwischen 18 und 34 Jahren“, sagt Yvonne Denz. Viele junge Kanadierinnen und Kanadier müssten mehrere Jobs annehmen oder sich verschulden, „um die hohen Mieten zu bewältigen, während Inflation und unerschwingliches Wohneigentum ihre finanziellen Sorgen verstärken.“

Dass diese Themen derart im Vordergrund gestanden hätten, war zunächst ein Nachteil für die Liberalen. Viele Kanadier machten die Regierung von Justin Trudeau, der knapp zehn Jahre als Premier an der Macht war, für die schwierige Situation verantwortlich. Die Liberalen lagen Anfang des Jahres teilweise 20 bis 25 Prozent hinter den Konservativen.

Das habe zunächst den 45-jährigen, „dynamischen, konservativen Oppositionsführer Pierre Poilievre“ besonders für jüngere Wähler interessant gemacht, sagt Martin Thunert. Doch dann habe der Trump-Effekt eingesetzt.

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