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Von Schreibenden schreiben lernen: Ist das gut gesagt?

Die Schriftsteller Steffen Mensching und Thomas Meinecke veranstalten im Rahmen ihrer Gastprofessur Autoren-Werkstätten für Studierende. Ein Besuch.

Von Sören Maahs

Textbesprechung in der literarischen Schreibwerkstatt für Studierende: Eine Studentin hat eine Kurzgeschichte geschrieben, die von einem Braunbären namens Wojtek handelt. Eine Abenteuergeschichte, beruhend auf wahren Begebenheiten: Das Tier war im Zweiten Weltkrieg von einem polnischen Regiment adoptiert worden, das im Nahen Osten für die britische Armee kämpfte. Wojtek war ein beliebter Kamerad, trank Bier aus Flaschen, bettelte um Zigaretten und hob die Moral der ganzen Truppe. Während der blutigen Schlacht um Monte Cassino soll der Bär die Soldaten mit Kanonengeschossen versorgt haben.

Gastprofessor Steffen Mensching ist begeistert. „Es ist eine tolle Geschichte, die Sie da am Wickel haben. Da steckt mehr drin als eine kurze Erzählung, Sie haben hier Stoff für einen Roman.“ Er ermuntert die Studentin zum Weiterschreiben – allerdings müsse dafür erst einmal am Stil gearbeitet werden. Steffen Mensching geht von Satz zu Satz, seine Frage lautet von Fall zu Fall ganz schlicht: „Ist das gut gesagt?“

Nächste Frage: Wie könnte man den Satz so bearbeiten, dass er das, was er vorstellt, noch weiter verdichtet? Das führt dazu, dass der Gastwissenschaftler Varianten des Satzes entwickelt, über die man gemeinsam nachdenken könne. Statt also das, was Literatur ist, einfach als gegeben zu nehmen, wird hier die Frage verhandelt: Was ist Literatur denn eigentlich, was macht einen Satz zu einem literarischen?

Studierende aller Berliner Universitäten arbeiten in den Seminaren zusammen

Die Schreibwerkstatt, die das Peter Szondi-Institut der Freien Universität im Rahmen der „Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung“ jährlich anbietet, wird in diesem Jahr vom Schriftsteller und Theaterintendanten Steffen Mensching geleitet. Und weil die coronabedingt verschobene Werkstatt von Popliterat, Musiker und DJ Thomas Meinecke nun nachgeholt werden konnte, fanden sogar zwei Autorenkollegs gleichzeitig statt.

In ihren Seminaren kommen Studierende aller Berliner Universitäten zusammen, um sich gegenseitig eigene Texte zu vorzulesen und über diese zu diskutieren. Dabei geht es nicht darum, was die Autorin oder der Autor „sagen will“, sondern um die durchaus als Qual empfundene Frage, wie der Text gemacht ist. Quälend deshalb, weil diese Frage sich früher oder später auch auf die eigenen Texte bezieht. Und dann beginnen die literarischen Händel: Die drehen sich um Erzählperspektiven, um unnötige Adjektive, stilistische Eigenheiten und die psychische Distanz oder Nähe, die ein Erzähler zum Leser aufbaut.

Wie die Werkstatt abläuft, hängt von den jährlich wechselnden Gastdozentinnen und -dozenten ab, die für unterschiedliche Genres ebenso stehen wie für unterschiedliche ästhetische Haltungen. Steffen Mensching, geboren 1958 in Ost-Berlin, sitzt im Seminarraum 109 vorn am Pult, ihm gegenüber 16 Studierende. Sein Schriftstellerkollege Thomas Meinecke, der sich von den gut 40 Jahre jüngeren Teilnehmenden duzen lässt, führt die langen, reflektierten Gespräche lieber im Stuhlkreis unterm freien Himmel. Das Miteinander von Dozent und Studierenden soll dabei eher einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gleichen als dem klassischen Lehrverhältnis, an dem sich Steffen Mensching orientiert.

Schreiben heißt erst einmal: Lesen

Schreiben lernen sei nicht das Ziel seines Seminars, sagt Thomas Meinecke, vielmehr möchte er beraten und Talente verstärken, die bereits vorhanden sind. Zwischendurch tauchen die Dozenten ein bisschen in ihren eigenen Werkkosmos ein, erzählen von der Entstehungsgeschichte ihrer Bücher und erläutern, wie sie ihre Werkstätten organisieren und Texte produzieren. Steffen Mensching berichtete etwa, wo er die Idee für seinen Roman „Jacobs Leiter“ gefunden hatte. In einem New Yorker Antiquariat war er auf eine deutsch-jüdische Emigrantenbibliothek gestoßen, hatte sie gekauft und gelesen. An den 4000 Büchern interessierten ihn die Spuren und Lebenszeichen, die deren Besitzer in ihnen hinterlassen hatten, und er begann, die Lebensgeschichte dieser Emigranten zu rekonstruieren. Eine Romanidee war geboren.

Durch Lesen kann man gezielt die Inspiration steuern, sagte Thomas Meinecke. Schreiben heiße für ihn in erster Linie lesen und dieses Lesen dann verschriftlichen: „Das ist eigentlich mein Prinzip beim Schreiben. Und so ist das auch eine alltägliche Art von Arbeit. Nicht auf Inspiration zu warten, sondern die Einfälle selber zu lenken durch Lektüre.“ Von Formeln und Schablonen, wie sie in angelsächsischen Kursen für „Creative Writing“ gelehrt werden, hält Thomas Meinecke nichts: „Das Schreiben nach Bauplan setzt Standardisierungen voraus, die es nicht gibt.“ Für Genre-Texte mag das funktionieren, als Grundgerüst. Doch literarisches Schreiben setze sich über solche Regeln oft hinweg: Gute Texte „funktionieren“, obwohl sie ganz anders erzählen, als ihr Publikum es anfangs erwartet.

Warum nicht aus der Perspektive eines Tiers erzählen?

Ob die Erwartung von Lesenden erfüllt oder unterlaufen wird, hängt auch von der Erzählperspektive ab. Ein Romancier des 19. Jahrhunderts würde die Verortungen und Fakten rund um den Soldaten-Bären Wojtek vielleicht wie aus Vogelperspektiven abspulen – unfehlbar, auktorial, die Erzählwelt beherrschend. Wäre es nicht interessanter, fragt Steffen Mensching, durch die Augen des Tieres zu blicken? Die naiv-distanzierte Bärenperspektive könnte der Autorin auch die Möglichkeit zur handfesten Zivilisationskritik geben. Effektvoll eingesetzt, erlaubte sie, Bekanntes – die Geschichte des Zweiten Weltkriegs – zugleich unbekannt zu schildern.

„Denken Sie an die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Bären, die Gerüche, die Geräusche.“ Ein Bär würde auch Gegenstände wie einen rostigen Käfig oder Mörsergranaten mit anderer als menschlicher Begrifflichkeit belegen. Was bedeutet es für ein wildes Tier, von Soldaten als ihresgleichen behandelt zu werden? Oder einen vertrauten Kameraden zu verlieren? Wie erlebt es die Schlacht um Monte Cassino, bei der 70 000 Soldaten verwundet wurden oder starben? „Da gibt es Tausende Möglichkeiten.“ Schreiben heiße, Entscheidungen zu treffen.

Literarische Texte sind oft persönlich gefärbt

Da es kein allgemeingültiges Rezept für das Schreiben gibt, kann es manchmal schwierig sein, diese grundsätzlichen Entscheidungen zu treffen – auch weil im Laufe des Seminars so viele verschiedene Anstöße auf einen einprasseln. So wie auf eine Studentin aus der Meinecke- Werkstatt, die den Anfang eines Romanprojekts liest. Der spielt irgendwo auf einem Musikfestival, auf dem sich eine Freundesclique mit Drogen die Nächte um die Ohren schlägt, mit allen Komplikationen, die damit verbunden sind.

Wenn aber ein Kommilitone den bewusstseinsstromartigen Erzählstil als redundant kritisiert, eine zweite wiederum meint, das „Leben in Echtzeit“ sei das Beste an dem gesamten Text, wird es schon mal kompliziert für die Autorin. Aber: Auch für die Entscheidungsfindung ist Dozent Thomas Meinecke da. Er ermuntert die Studentin zum Weitermachen. „Der Text nimmt mich mit. Ich könnte problemlos noch fünf weitere Stunden zuhören.“ Und fragt dann: „Hast du schon eine Pointe im Kopf, auf die es hinausläuft?“

Nicht selten steckt im Text viel Persönliches. Das kann mitunter ganz schön nervenaufreibend sein. Die eigene Arbeit vorzustellen, ist für manche Überwindung genug. Wenn die anderen dann auch noch ihre Sichtweisen dazu melden, kann das selbst ein gefestigtes Gemüt strapazieren. Jedenfalls müssen die Studentinnen und Studenten gut mit Kritik umgehen können.

Grundsätzlich geht es in den Autorenkollegs darum, über das Schreiben nachzudenken – über den Umgang mit der Sprache als literarischem Material. Und es geht um die nächsten Entwürfe für Texte, die es auf Verfeinerung oder Erweiterung anlegen. Das lasse sich nicht alles während eines Semesters in sechs vierstündigen Sessions erledigen, sagt Thomas Meinecke. Wenn die Teilnehmenden es ernst meinen, müsse das Schreiben zu einem festen Bestandteil ihres Lebens werden. Man könne die Begabung fördern: mit wohlwollender Kritik und Ermutigung, mit Vergleichen und Übungen, nicht zuletzt mit der Vorgabe, bis zu einem festen Zeitpunkt fertige Manuskripte für die Abschlusslesung abliefern zu müssen. Am Ende haben die Studierenden ein Maß an literarischer Erfahrung gesammelt, das ihnen, nur auf sich gestellt, vielleicht nicht zugänglich gewesen wäre.

Veranstaltungshinweise:

3. Juli, 19 Uhr, Lettrétage: „Überschreibungen“ – Abschlusslesung des Kollegs 2020 unter Leitung von Thomas Meinecke.

12. Juli, 18.30 Uhr, Literaturhaus Berlin: „Rast“ – Abschlusslesung des Kollegs 2020 unter Leitung von Steffen Mensching.

Für den Inhalt des Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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