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Eins mit seinem Instrument. Jazzpianist Keith Jarrett.

© Patrick Hinely/ECM

Keith Jarrett: Auf den Flügeln der rechten Hand

Der Videoblogger Rick Beato hat den von Schlaganfällen schwer gezeichneten Pianisten in seinem Haus in New Jersey besucht. Coup oder Ärgernis?

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Stand:

Sein letzter für die Ewigkeit festgehaltener Ton, der unter beiden Händen erklang, erreichte die Öffentlichkeit mit sechs Jahren Verspätung. Im vergangenen September erschien bei ECM Records Keith Jarretts „Bordeaux Concert“, in dem sich noch einmal seine ganze Improvisationskunst spiegelt. Das Album erinnert schmerzhaft daran, dass der Pianist 2018 zwei Schlaganfälle erlitt, die ihm, wie er im Oktober 2020 bekannt gab, wohl künftig jeden Auftritt verbieten. Auf unabsehbare Zeit ist er linksseitig gelähmt.

Was für eine Erleichterung daher, dass er, mittlerweile 77 Jahre alt, schwer gehandicapt, aber aufrecht durch die Welt geht und zumindest mit der rechten Hand von dem Instrument, das sein Leben war, nicht lassen kann. Was dabei entsteht, nennt er selbst zwar nur „Doodling“. Doch die Zeugnisse davon, die nun in Rick Beatos Videoblog auf YouTube im Rahmen eines Interviews aufgetaucht sind, tragen auch in ihrer entvirtuosierten Form noch die Züge seiner überreichen melodischen und harmonischen Erfindungsgabe.

Der Gitarrist und Produzent Rick Beato, mit 3,39 Millionen Kanalabonnenten nicht nur einer der erfolgreichsten, sondern auch einer der kenntnisreichsten Musikblogger, hat zuletzt unter anderem Gespräche mit Pat Metheny und Sting geführt. Im Fall von Keith Jarrett könnte man ihm vorwerfen, dass er ihn vorführt. In seinem Hausstudio in New Jersey kämpft er sich durch stockend formulierte Sätze, und es bricht einem fast das Herz, wie ungläubig Jarrett sich selbst in einer alten Soloaufnahme zusieht: einer in ihrem furiosen Flow übermenschlich anmutenden Version von Miles Davis‘ „Solar“.

Beatos Einfühlungsvermögen und Jarretts Bereitschaft, sich in diesem Zustand filmen zu lassen, tragen gemeinsam über das verblasste Bild vom Tastenlöwen hinweg. Denn neben einem gesundheitlich schwer gedemütigten Menschen lässt sich auch einer entdecken, der mit allen Mitteln um seine Würde ringt.

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Natürlich ist das Ganze auch ein Marketingcoup, der einem weniger reichweitenstarken Interviewer kaum gelungen wäre. Nehmen wir ihn auch im Interesse von Keith Jarretts darbenden Bewunderern als Hinweis auf die Wiederveröffentlichung des „Book of Ways“. Dieses wieder von Grund auf improvisierte Nebenprojekt entfaltet seinen Klangzauber auf den herrlich dehnbaren Saiten des Clavichords.

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