
© IMAGO//Florian Gaertner
Regieren unter Vorbehalt: Wer soll an die Koalitionäre glauben, wenn sie sich selbst misstrauen?
Einen Politikwechsel hatte die Union versprochen und die Wahl gewonnen. Eine Mehrheit der Wähler glaubt nicht mehr daran. Das hat Gründe. Und ließe sich ändern.

Stand:
Es ist ein bisschen zu früh, dieser Koalition ein Scheitern vorauszusagen, ehe sie formal beschlossen ist. Ehe sie die Chance hatte, auch nur irgendetwas von dem umzusetzen, was sie sich vorgenommen hat. Es wäre nachgerade unfair.
Es ist aber vielleicht noch nicht zu spät, daran zu erinnern, woran die Vorgängerkoalition so krachend gescheitert ist: an mangelndem Vertrauen. Vertrauen der Ampel-Koalitionäre untereinander. Am Ende aller Enden auch daran, dass die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen verloren hatten, dass diese Regierung noch irgendetwas hinbekommt.
Einen Politikwechsel hatte Friedrich Merz deshalb im Wahlkampf versprochen. Und damit die Wahl gewonnen. Nach einer aktuellen Umfrage des Politbarometers glauben aber nur 30 Prozent der Wähler, dass dieser Politikwechsel in der schwarz-roten Koalition gelingen wird. Vertrauen sieht anders aus.
Es ist ja nicht überraschend, dass dieses Vertrauen fehlt. Die Ampel hat Deutschland mürbe gemacht, mit ewigen Streitereien, mit parteitaktischen Vorstößen, dem Kreiseln um sich selbst, während draußen die Welt in Flammen zu stehen schien und die deutsche Wirtschaft absoff. Man kann den Bürgern ihre Skepsis schlecht verdenken. Doch man muss sie mitdenken, wenn die neue Regierung es besser machen will.
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Ein Koalitionsvertrag darf keine Revolution sein
Wie sich die künftige Regierung den Politikwechsel vorstellt, hat sie auf 144 Seiten im Koalitionsvertrag festgeschrieben, der nun noch abgesegnet werden muss. Es ist keine Revolution, darf keine Revolution sein, weil die Demokratie von Kompromissen lebt. Herausgekommen ist also nur eine Politikkurskorrektur, das ist in Ordnung.
Dieser Anspruch bemisst sich aber nicht nur an konkreten Gesetzesvorhaben, sondern auch daran, wie die Politik gemacht und verkauft wird. Gut möglich, dass am Ende der Legislatur alles gut gegangen sein wird. Es wäre dem Land zu wünschen. Doch wie die künftigen Partner schon jetzt miteinander umgehen, weckt fast schon Erinnerungen an die späte Phase der Ampel. Und lässt wenig Vertrauen aufkommen in den Titel des Vertrages: „Verantwortung für Deutschland“.
Kaum ist der Kompromiss verkündet, beginnen beide Seiten die Erfolge der Gegenseite – die doch eigentlich Partner sein sollte – infrage zu stellen. Da ist die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die entgegen der Vereinbarung Steuererhöhungen für Gutverdiener durchsetzen will. Da ist Unionsfraktionsvize Jens Spahn, der schon mal wissen lässt, die Mindestlohnerhöhung werde es wohl doch nicht geben. Da ist SPD-Chef Lars Klingbeil, der die eigentlich vereinbarte Mütterrente, die der CSU so am Herzen lag, noch einmal hinterfragen will.
Sie streiten selbst da, wo sie sich geeinigt haben. Sie streiten schon über die Umsetzung, bevor sie überhaupt begonnen haben. Sie gönnen sich gegenseitig die Erfolge nicht, bevor es überhaupt Erfolge gab. Wer soll dieser Regierung vertrauen, wenn sich die einzelnen Vertreter schon selbst nicht über den Weg trauen?
Taktikspiele gehören zum politischen Geschäft
Das ganze Vorgehen ist nicht neu. Der Streit, die Sticheleien, die Taktikspiele gehören seit eh und je zum Geschäft im politischen Berlin. Keine Panik also, könnte man sagen. Nur sind die Zeiten eben nicht mehr wie eh und je.
Deutschlands wichtigster Verbündeter wird von einem Mann regiert, der alle Gewissheiten infrage stellt, und wohl selbst als Letztes weiß, was er als Nächstes tut. Europa bereitet sich auf einen möglichen Krieg vor. Und Deutschland, ehemals Wachstumsmotor des ganzen Kontinents, steckt tief in einer Wirtschaftsflaute.
Es gibt viele Gründe, sich zusammenzureißen. Und angesichts dieser Aufgaben wirklich keinen einzigen, an Polit- und Parteifolklore festzuhalten.
Diesen Wechsel im Politikstil zu organisieren, ist Aufgabe von Führung. Und die liegt nun einmal bei Friedrich Merz. Viel Erfahrung hat er damit nicht, nicht auf diese Art, hat nie regiert. Seine Erfahrungen aus der freien Wirtschaft lassen sich nur bedingt anwenden, denn Parteien funktionieren nicht wie Unternehmen.
Einen Vertrauensvorschuss der Wähler, dass er es trotzdem hinbekommt, hat er offenbar nicht. Dieses Vertrauen muss er sich nun erarbeiten. Und dafür ist es nie zu früh.
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