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Dänische Finesse: „La Sylphide“ nach einer Rekonstruktion von Frank Andersen.

© Yan Revazov

„La Sylphide“ in der Deutschen Oper: Keuscher Spuk mit zartem Kitsch

Das Staatsballett tanzt Bournonvilles „La Sylphide“ in der Deutschen Oper.

Von Sandra Luzina

Die Eröffnung von „La Sylphide“ besitzt ihre ganz eigene Traumlogik: Der schottische Junker James sitzt schlafend in einem Lehnstuhl am Kamin. Neben ihm kniet die Sylphide, hingebungsvoll in den Anblick des Träumers versenkt. Es handelt sich nicht allein um eine Szene der Männeranbetung. Die Sylphide ist offenbar selbst ein Traumbild – und erscheint nur dem romantischen Schwärmer. Gaststar Maria Kotchetkova tanzte die geflügelte Elfe bei der Premiere des Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper. Die gebürtige Moskauerin zieht die Zuschauer vom ersten Moment an in ihren Bann. Ihre Füße scheinen den Boden kaum zu berühren. Ungemein luftig und filigran ist ihr Tanz. Scheu ist diese Elfe und dabei von mädchenhafter Anmut. So überirdisch wie Eva Evdokimova, die als Idealbesetzung der Sylphide gilt, wirkt Kotchetkova freilich nicht.

Maria Kotchetkova wurde eigentlich als Partnerin für Daniil Simkin engagiert. Doch der verletzte sich bei einer Vorstellung von „La Bayadere“, für ihn sprang der langjährige Erste Solist Marian Walter ein. Walter, der schon 2008 den James in der Choreografie von Peter Schaufuss verkörperte, macht durchaus eine gute Figur im Schottenrock. Als besonders facettenreicher Darsteller fällt er zwar immer noch nicht auf. Doch seine Sprungkombinationen absolviert er – abgesehen von einer kleinen Unsicherheit – mit Kraft und Eleganz. Ein zutiefst zerrissener Charakter ist sein James nicht, aber dass der einer Schimäre hinterherjagt, weiß er glaubhaft zu verkörpern.

Ko-Intendant Öhman pflegt die Klassiker behutsam

Denn James, dem die Elfe die Sinne verwirrt, ist mit Effie verlobt, die Hochzeitsvorbereitungen sind bereits in vollem Gang. Alicia Ruben als Effie ist gewinnend mit ihrer grazilen Fröhlichkeit. Kein Wunder, dass auch der schmucke Gurn (Ulian Topor) ein Auge auf sie geworfen hat. Den Gegensatz von realer und imaginierter Frau könnte die Inszenierung allerdings noch stärker betonen.

Schon Peter Schaufuss bezog sich in seiner preisgekrönten Choreografie auf die Fassung von August Bournonville. Johannes Öhman, der Ko-Intendant des Staatsballett Berlin, hat sich für eine Rekonstruktion von Frank Andersen entschieden, der zu den führenden Bournonville-Spezialisten weltweit gehört. Zurück zu den Ursprüngen – so scheint das Motto Öhmans zu lauten, wenn es um die Klassikerpflege geht.

Bei all ihrer dänischen Dezenz wirkt Andersens Inszenierung frisch und mitreißend. Die pantomimischen Einlagen wirken natürlich und hemmen nicht den Erzählfluss. Auch die Finessen des dänischen Stils kommen gut zur Geltung. Im Gegensatz zum russischen Stil sind die Bewegungen kleiner und weniger spektakulär, dafür aber detailreich, präzise und ungemein plastisch.

Der zweite Akt mit seinem ballet blanc entfaltet einen großen Zauber. Der Tanz der Elfen in ihren knielangen Tüllröcken betört durch seine schwerelose Grazie. Die Schwestern kreisen James ein, um die Sylphide vor dem Verlangen des Mannes zu schützen. So verlockend sie ist, berühren darf man sie nicht. Als James versucht, von ihr Besitz zu ergreifen, sie an sich zu binden mit einem vergifteten Gespinst, fallen ihre Flügel ab und sie stirbt. Kotchetkova gestaltet ihren Tod ungemein dramatisch: Ein Zittern durchläuft ihren Körper, ehe sie zusammenbricht und sie die Schwestern davontragen. „La Sylphide“ ist ein keuscher Spuk mit zarten Anflügen von Kitsch. Dem Staatsballett gelingt es, diesem Urmodell des romantischen Balletts auf hinreißende Weise Leben einzuhauchen.
Nächste Aufführungen am 12. und 22. März, je 19.30 Uhr, sowie im April

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