
© Gregor Hohenberg/ACT
30 Jahre ACT Records: Lasst tausend Funken sprühen
ACT, eines der erfolgreichsten deutschen Jazzlabels, feiert Geburtstag in der Berliner Philharmonie.
Stand:
Der internationale Ruf der kleinen deutschen Jazzwelt knüpft sich, zumindest was Labels angeht, gerne an drei Buchstaben. Sie heißen MPS wie Musik Produktion Schwarzwald, FMP wie Free Music Production, JMT wie Jazz Music Today oder ECM wie Edition of Contemporary Music.
Wenn es nicht gewichtige Ausnahmen wie Enja gäbe, wäre die Macht der Trinitäten fast ungebrochen. Und dann ist da seit 30 Jahren ACT. Keine archivalische Veranstaltung wie FMP, das nur noch seine wilden alten Produktionen vorhält, keine mit Wiederveröffentlichungen am Leben gehaltene Legende wie MPS, und auch kein Akronym.
ACT ist pure Gegenwart und höchstens in der Serie der allzu vielen Tribute-Alben, die zuletzt Charles Mingus oder Miles Davis galten, einer Idolatrie verhaftet, die die revolutionären Götter von einst als allzu handzahme Klassiker präsentiert.
Heute, Kinder, wird’s was geben!
ACT also wie: Handelt! ACT wie: Spielt! Oder ACT wie: Heute, Kinder, wird’s was geben! Und das auf einer ökonomisch soliden Basis, die dem Label allen Widrigkeiten zum Trotz auch außerhalb der einschlägigen Kreise Sichtbarkeit verschafft. Weder der Einbruch der CD-Verkäufe durch das Streaming noch die pandemische Delle im Konzertwesen hat es in die Knie zwingen können.
Dies ist auch das Verdienst des mittlerweile 82-jährigen Labelgründers und Produzenten Siggi Loch: Er versüßte sich seinen Abschied als Präsident der Warner Music Group seinerzeit, indem er beschloss, sich nur noch eigenen Projekten zu widmen. Anders als sein drei Jahre jüngerer Erzrivale Manfred Eicher von ECM hat er in Bezug auf seine Nachfolge vorgesorgt:
Seit 2015 steht ihm als Geschäftsführer Andreas Brandis zur Seite, der als studierter Schlagzeuger, Musikpädagoge und Kulturmanager eine Art eierlegende Wollmilchsau ist: Er weiß, was eine Marke ist – und mit dem ACT angegliederten Tambour Music Management hält er sie zusätzlich am Leben.
Grooven und Swingen
Was aber ist die Marke ACT? Und: Woran bemisst sich ihr künstlerischer Rang? Die Klischees, mit denen ECM zu kämpfen hat, das 2019 sein 50-jähriges Jubiläum feierte, hängen unter umgekehrten Vorzeichen auch ACT an. Hier das Gefällige, auf Unterhaltung Getrimmte, Groovende und Swingende, das auch Jazzhassern Jazz nahebringt, dort das Elegische, Konzertante, in den bloßen Klang Verliebte. Der ganze Gegensatz drückt sich in den beiden Musikern aus, die so etwas wie die Gesichter ihrer Labels geworden sind. Hier der Posaunist Nils Landgren, dort der Pianist Keith Jarrett.
Diese Klischees sind, auch wenn sie der Pianist Esbjörn Svensson 14 Jahre nach seinem Unfalltod mit dem im digitalen Nachlass gefundenen Soloalbum „HOME.S“ bei ACT gleich wieder auf den Kopf stellt, nicht nur an den Haaren herbeigezogen: In beiden Häusern gibt es gleichmacherische Tendenzen. Interessant wird es, wo die Produktionen sie sprengen.
Über ECM, das über die Jahre zahllose kanonische, weltweit einhellig gefeierte Alben vorgelegt hat, ist an dieser Stelle nicht zu reden. Es gilt aber, auch ACT mit seinem Schwerpunkt auf die europäische Szene gegen ungerechte Vorwürfe zu verteidigen.
In elektronischen Soundschluchten
Musikerpersönlichkeiten wie der Pianist Joachim Kühn oder der Gitarrist Nguyên Lê lassen sich so wenig auf Labelästhetiken reduzieren wie der Sänger Andreas Schaerer oder der Geiger Adam Baldych. Exklusivkünstler wie Émile Parisien, dessen Einfluss als Sopransaxofonist so groß ist, dass sich zu seinen Ehren schon ein Trio namens Émile Londonien gegründet hat, sind überdies oftmals in ihrer ganzen stilistischen Breite präsent – auch in elektronischen Kontexten.
Die sind für ACT zusehends wichtiger geworden: sei es in Eric Schafers Band The Shredz, den Soundschluchten von Tonbruket oder den im Studio nachproduzierten Hexenkesseln des „XXXX“-Quartetts von Michael Wollny, Émile Parisien, Tim Lefebvre und Christian Lillinger.
Überhaupt: Michael Wollny. Er ist der größte Schatz des Labels, weil unter seinen Händen alles, was man weniger charismatischen Pianisten des Labels vorwerfen könnte, das x-te Popcover und das x-te Dreiminutenformat, auf eine Weise zum Glühen bringt, die alle Vorgaben aushebelt. Jüngstes Beispiel ist das Album „Ghosts“, auf dem er seine schwarze Romantik wieder mit gewohnter Magie zelebriert.
Kein Vergleich mit einem Kollegen wie dem grundsympathischen, virtuosen und witzigen Finnen Iiro Rantala, der in seiner klassischen Prägung aber an einem Friedrich-Gulda-Syndrom leidet und sich in Gebieten tummelt, in denen er auch nach Jahren nicht richtig heimisch wird.
ACT meidet um jeden Preis die Nische, die Jazz zumal in seinen freieren Formen teils zu Recht, teils zu Unrecht besetzt. Risiken geht das Label lieber bei der frühzeitigen Nachwuchsförderung ein, wie sie gerade Wrise dem 21-jährigen Altsaxofonisten Jakob Manz und der 27-jährigen Pianistin Johanna Summer zuteil wird.
Auch diese beiden sind zur großen Berliner Feier in der Philharmonie jetzt mit gestandenen ACT-Musikern wie dem Drummer Wolfgang Haffner, dem Bassisten Lars Danielsson oder dem Gitarristen Ulf Wakenius eingeladen: Es wäre ein Wunder, wenn sie nicht gemeinsam und öffentlichkeitswirksam ein paar jener Funken schlagen könnten, die der Jazz in Deutschland dringend gebrauchen kann.
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