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© Les Films du Poisson

73. Berlinale: Wir sind alle Orlandos

Im Berlinale-Encounters-Beitrag „Orlando, ma biographie politique“ interpretiert der Queer-Denker Paul B. Preciado Virginia Woolf radikal neu.

Von Andreas Busche

„My biography exists, and it’s fucking Virginia Woolf who wrote it in 1928”, sagt Paul B. Preciado am Anfang von „Orlando, ma biographie politique“ aus dem Off. Es sei verdammt noch mal Virginia Woolf, die seine Biografie geschrieben habe, schon 1928.

Was in den nächsten gut anderthalb Stunden folgt, ist eine fantastische Re-Imagination, eine kritische Analyse und eine radikale Modernisierung des fast hundert Jahre alten Stoffs um einen jungen Adligen, der eines Morgens als Frau aufwacht.

Für den spanischen Queer-Theoretiker und Trans-Aktvisten Preciado war Woolfes Buch in der Jugend eine wichtige Referenz, der erste Roman der Weltliteratur, der von einer non-binären Erfahrung erzählt. Aber eben auch eine Fiktion.

„Wir wachen nicht einfach als Frau auf“, so Preciado. Für trans Personen sei das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein lebenslanger Kampf, bis heute. Mit „Orlando, ma biographie politique“ überführt er die literarische Fiktion in die Realität.

Wir sind alle Orlandos. 25 Darstelller:innen zwischen 15 und 70 Jahren spielen die Figur, die in Sally Potters Verfilmung von Tilda Swinton verkörpert wurde. Alle ihre persönlichen Erfahrungen und Biografien fließen in seine Woolfe-Adaption ein; das Künstlerduo Pierre & Gilles spielt die höfischen Ärzte Orlandos, die Schriftstellerin Virginie Despentes die Richterin, die am Schluss Recht spricht über die körperliche Unversehrtheit.

Für Paul B. Preciado ist die Befreiung vom heteronormativen gesellschaftlichen Modell aber nicht nur eine Frage des Bewusstseins, sondern auch eine medizinische. „Pharmacoliberación“ singen seine Protagonist:innen in einer Musical-Nummer. Befreiung wird in „Orlando“ zum poetischen, affirmativen, performativen Akt.

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