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Kultur: Ab aufs Sofa

Träumerei auf roten Polstern: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ im Deutschen Theater

Zerfall einer Familie, bedachtsam, ruhig, mit gebremster Leidenschaft: kein Grund zur Erregung. Thomas Schulte-Michels macht das 1940 geschriebene autobiografische Bekenntnisdrama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugen O’Neill zum gepflegten Konversationsstück. Der Vater, gealterter Schauspieler, ein Geizkragen und routiniert hemmungsloser Säufer. Die Mutter, Morphinistin seit vielen Jahren, von Entziehungskur zu Entziehungskur taumelnd, unrettbar dem Gift verfallen. Die Söhne, Versager alle beide, trotz gelegentlicher Versuche der Lebensbewältigung an der Flasche hängend wie der Vater, aber weniger widerstandsfähig – der Jüngere zudem noch unheilbar an Tuberkulose erkrankt. An einem einzigen Tag werden die Schicksale dieses unlöslich miteinander verbundenen Clans aufgeblättert, im mitleidlosen Zwang, einen heillosen Zustand im Heraufholen des Vergangenen zu begreifen, erträglich zu machen. Aber es gibt, die Mitternacht ist nah, nur trübe Hoffnungslosigkeit – die Männer betrunken, die Mutter verloren, entrückt, unerreichbar von allem Wirklichen.

Thomas Schulte- Michels bringt das mit liebevollem Verständnis auf die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters. Er sieht keine Katastrophe, nur das Verstricktsein der Familie in ein Schicksal, dem sie nicht gewachsen ist. Vielleicht war und ist es der Geiz des Vaters, der alles ins Böse, Ausweglose wendete, vielleicht die romantische Empfindsamkeit der Mutter, vielleicht die charakterliche Schwäche der Söhne. Darüber wird in den Kammerspielen nachgedacht, mit Freundlichkeit und achtungsvollem Verständnis. Auch wenn Hass unter den Familienangehörigen hochschießt – sie wollen verbunden bleiben, koste es, was es wolle.

Schulte-Michels hat das ausufernde, aus wuchtigen monologischen Blöcken montierte Stück auf eine nicht einmal zweistündige Spielfassung verkürzt. Die klare, vorgeschriebene Zeiteinteilung (vormittags, mittags, abends, nachts) verschwimmt im Ungefähr, Ort und Zeit bleiben spielerisch unbestimmt. Die bitterböse Analyse charakterlicher Fehlentwicklungen wandelt sich um ins träumerische Gespräch. Allein eine geschwungene, portalbreite rote Polstergarnitur bestimmt die leere Bühne. Das Licht kommt von der rechten Seite.

Im Verlauf des Abends beginnt der überdimensionierte Ruheplatz zu wandern (Bühne: Christoph Schubiger). Die Figuren haben keinen Halt. Sie leben in einer unwirklichen Welt, das magische Seitenlicht bringt sie hervor und löscht sie aus. Um die Polstergarnitur vorn, in halbem Dunkel, herrscht Unruhe, Nervosität, die sich in langen Gängen entlädt. Und doch stiftet das Möbel Zusammengehörigkeit zwanghafter Art. Im ersten Akt ist es so postiert, dass der Zuschauerraum nahezu ausgeblendet wird – die Darsteller sprechen und spielen in die leere Bühne hinein.

Dieses Ungefähr, diese Scheu vor Festlegung, Zuspitzung und Entscheidung bestimmt das Spiel. Christine Schorn gibt der Mary Tyrone, schwebend, tänzelnd, stolpernd, kokettierend, etwas geheimnisvoll Entrücktes. Sie zeigt ein Wesen, das zurück will ins Kindsein. Anfallartige Liebesbeweise verdämmern in schwärmerischer Ichbezogenheit. Um diese Figur ist ein Geheimnis, etwas Unerklärbares, eine rührende, fiebrige Naivität, sie wird zum Herz der Inszenierung. Dieter Mann gibt dem James Tyrone das genussvoll Gravitätische des Familienoberhaupts, drängt das Tyrannische des vom Geiz zerfressenen eitlen Mimen aber zurück.

Glanzvoll die Szene des Zigarrenrauchens zu Beginn – da lebt einer im Einklang mit der Welt, mit großer Geste den Riesenraum mit Rauch füllend. Später zeigt Mann dann, das steife Kinn vorgereckt, welche Herrschsucht in dem Alten steckt. Er offenbart das Widersprüchliche, Unbefriedigte des Schauspielers in dem Bestreben, die Gier des Bestimmens immer wieder und professionell geschickt zu verstecken. Dass Dieter Mann und Christine Schorn, vor mehr als vier Jahrzehnten und am Beginn ihrer Karriere, schon einmal ein Paar im Deutschen Theater spielten (in „Unterwegs“ von Viktor Rosow), mag als theatergeschichtliche Besonderheit angemerkt werden.

Sven Lehmann und Stefan Kaminski, die Tyrone-Söhne, sind eher auf die Ähnlichkeit als auf die Unterschiedlichkeit der Brüder aus. Sie machen deutlich, dass die Kraft zum Widerstand trotz einiger Ausbrüche unfroher, trotziger Heiterkeit sehr schnell verbraucht ist. In der heftigen Beichte einer zerrütteten brüderlichen Beziehung gelingt Lehmann (der mit zwei gebrochenen Fingern spielte) und Kaminski dafür eine Szene, die der sonst beruhigten tragischen Dimension des Stückes am nächsten kommt. „Wer will denn das Leben sehen, wie es ist, wenn er es vermeiden kann?“ Ein Satz aus dem vierten Akt, der das Wesen der Inszenierung trifft. Auch sie vermeidet es, in die Finsternis vorzudringen.

Kammerspiele des Deutschen Theater, wieder am 28. Januar, 1., 5. und 6. Februar

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