Goldener Bär: Alles für Farhadi?
Heute werden die Berlinale-Bären verliehen. Der Film "Jodaeiye Nader az Simin" von Asghar Farhadi ist politisch wie ästhetisch so überwältigend, dass nahezu alle Wetten darauf stehen.
Hat die Jury eine Wahl? Aber gewiss doch. Es sind zwar nur großfestivalrekordträchtig wenige 16 Filme, die diesmal bei der Bärenjagd zur Verfügung stehen. Aber es sind, nun ja, immerhin 16 Filme.
Im Ernst: Das Berlinale-Ereignis namens „Jodaeiye Nader az Simin“ von Asghar Farhadi ist politisch wie ästhetisch so überwältigend, dass nahezu alle Wetten darauf stehen. Zudem hat sich wieder einmal ein Berlinale-Wettbewerb als insgesamt so schwach erwiesen, dass nur ganz wenige Filme überhaupt für Top-Ehren infrage kommen. Andererseits hat Farhadis Film soeben auf dem Teheraner Fajr-Festival drei Hauptpreise gewonnen – da könnten selbst Berliner Ehren als bloßer Nachklapp wirken.
Nur: Womit sonst könnte die Jury eigene Zeichen setzen – ein Gremium, das womöglich eher dem filmischen Experiment zuneigt als dem auch politischen Kommentar? Da gibt es die beiden fulminanten Welterfindungen dieses Festivals, Béla Tarrs „A Torinói Ló“ und Miranda Julys „The Future“. Aber ein Goldener Bär für einen Regisseur, der mit seiner umgekehrten Schöpfungsgeschichte ausdrücklich Abschied vom Filmemachen nimmt? Und ist Julys Zauberkunststückchen um eine Liebesimplosion, so sehr es einer Tüftlerin wie der Jury-Vorsitzenden Isabella Rossellini gefallen mag, nicht zu leichtgewichtig?
Schwierig, schwierig. Mit Joshua Marstons albanischer Blutrache-Geschichte „The Forgiveness of Blood“ empfiehlt sich ganz am Ende des Festivals noch ein Film jener bemerkenswerten Klasse, zu der auch JC Chandors „Margin Call“ am Anfang gehörte. Aber diese minimalistischen Studien beschädigter Gesellschaften reichen nicht an die wenigen Großen im Wettbewerb heran. Noch schwieriger womöglich die Schauspieler-Wahl – und das nicht etwa wegen Überangebots wie in früheren Jahren. Lena Lauzemis aus „Wer wenn nicht wir“, da und dort von deutscher Seite ins Spiel gebracht? Ein Doppelbär für das „Odem“-Duo, oder gar, hübsche Verdoppelung ihres Preises im Film, ein Plüschbär für die kleine Paula Galinelli Hertzog in „El premio“? Und bei den Herren: Kevin Spacey aus „Margin Call“ oder die beiden türkischen WG-Freunde aus „Bizim Büyük Caresizligimiz“? Oder, wofür am meisten spricht, der formidable Spillerschlaks Tristan Halilaj aus „The Forgiveness of Blood“?
Alles nette Such- und Ablenkungsbewegungen, bis wieder Farhadis Film in den Blick rückt. Dessen beide Hauptdarstellerinnen und beide Hauptdarsteller gemeinsam würdigen: Auch das wäre eines der Zeichen, mit denen diese Jury in Erinnerung bleibt. Jan Schulz-Ojala